Berlins CDU-Verkehrssenatorin Schreiner: Abtritt einer Glücklosen
Manja Schreiner verliert ihren Doktortitel und zieht daraus eine berlinuntypische Konsequenz: Sie tritt als Senatorin zurück.
Parallel zu Schreiners Rücktrittserklärung hatte die Universität Rostock bekannt gegeben, dass der Fakultätsrat einstimmig beschlossen habe, Schreiner den ihr 2007 für ihre Dissertation „Arbeitnehmerberücksichtigung im Übernahmerecht“ verliehenen Doktortitel wieder zu entziehen.
„Die Quantität der Fehler und ihre qualitative Gewichtung ließen den Fakultätsrat zu dem Schluss kommen, dass das Werk den Ansprüchen an eine wissenschaftliche Arbeit nicht genügt. Daher hätte Frau Schreiner der Doktorgrad nicht verliehen werden dürfen“, teilte die Universität mit.
Bereits im Sommer vergangenen Jahres hatte es Berichte über Unregelmäßigkeiten und mögliche Plagiate in ihrer Dissertation gegeben. Schreiner selbst hatte daraufhin erklärt, dass sie ihre Doktorarbeit von der Universität überprüfen lasse.
Unabhängig von ihrem Rücktritt: Mit dem jetzt vorgelegten Urteil will sich Schreiner gleichwohl nicht abfinden. „Ich habe an keiner Stelle meiner Dissertationsarbeit vorsätzlich getäuscht oder betrogen. Als Privatperson werde ich deshalb gegen diese Entscheidung der Fakultät Widerspruch einlegen“, sagte die gewesene Senatorin.
Selbst Grüne zollen Schreiner Respekt für den Schritt
Wie Schreiner plagte am Dienstag auch den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) das „schwere Herzen“, mit dem er in seinem Fall Schreiners Bitte um Entlassung aus dem Amt entsprochen habe. Sie habe sich für eine Verkehrspolitik eingesetzt, die alle Verkehrsteilnehmer:innen in den Blick nehme, wiederholte Wegner das CDU-spezifische Mantra.
Ähnlich lobende Worte fand SPD-Fraktions- und Noch-Landeschef Raed Saleh, der Schreiner nach ihrem Rücktritt „für die gute Zusammenarbeit im Senat und mit den Fraktionen“ dankte. „Frau Schreiner hat sich stets dafür eingesetzt, verschiedene Interessen auszugleichen und die Mobilitätswende in Berlin weiter voranzutreiben“, teilte Saleh mit. Eine Aussage, der Mobilitätswendebewegte vehement widersprechen.
Die verkehrspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Antje Kapek, zollte Schreiner dennoch Respekt für ihren Schritt: „Ich finde es ausgesprochen respektabel, wie Frau Schreiner mit diesem Vorgang umgegangen ist und dass sie ihr Amt umgehend und unaufgefordert niedergelegt hat.“ Nicht alle Senatsmitglieder seien so konsequent gewesen, sagte Kapek mit einem Seitenhieb auf Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD), die sich 2021 nach Aberkennung ihres Doktortitels deutlich schwerer tat, vom Amt der Bundesfamilienministerin zu lassen.
Jetzt treibe aber viele die Sorge um, dass es nach Schreiner noch schlechter um die Mobilitätswende bestellt sein könnte. „Sie hat vieles geprüft und gestoppt, aber andererseits nicht Tabula rasa gemacht, wie man sich das bei manchen potenziellen Nachfolger:innen vorstellen könnte“, so Kapek zur taz. Schreiner sei „keine klassische Hardlinerin und empfänglich für Argumente“ gewesen.
„Baulobbyistin“, Chaossenatorin, Prüfsenatorin
Das Fast-Lob der Grünen-Politikerin überrascht insofern, als ihre Partei seit Schreiners Amtsantritt Ende April 2023 in der Regel kein gutes Haar an der Politik der Senatorin gelassen hatte. Tatsächlich wirkte die als „Baulobbyistin“ geschmähte ehemalige Hauptgeschäftsführerin der Fachgemeinschaft Bau in Verkehrssachen häufig überfordert.
Auch deshalb galt Schreiner vielen von Beginn an als Fehlbesetzung. Unbestritten war ihre interne wie externe Kommunikation gewöhnungsbedürftig, manche sagen: katastrophal. Da mochte sie Kai Wegner vor ihrer Ernennung zur Senatorin noch so sehr loben, sie stehe „für eine unideologische, pragmatische Verkehrspolitik“.
Vor allem der Planungsstopp für den Radwegeausbau Mitte Juni vergangenen Jahres sorgte für massive Proteste. Schreiner selbst sprach von einer harmlosen „Atempause“, sie und eine in ihrem Haus eingerichtete „agile Taskforce“ würden doch nur die bisherigen Planungen prüfen.
Als sie bald darauf auch noch anfing, die bisherigen, längst durchgeprüften Ausbauplanungen für das Tramnetz einer neuerlichen Überprüfung zu unterziehen, hatte sie einen weiteren Namen weg. Schreiner war nun nicht mehr nur „die Chaossenatorin“, sie war nun auch „die Prüfsenatorin“.
Die CDU-Politikerin bekannte sich bei alldem immer dazu, dass sie eben auch die Sorgen der Autofahrer:innen fest im Blick habe: „Wenn ich sage, wir nehmen hunderte Parkplätze wegen eines Fahrradweges weg, dann heißt das aber nicht, dass die Autos sich just wegzaubern, die sind ja immer noch da. Das bedeutet, dass es eben im Kiez drumherum einen enormen Druck noch mal gibt und die Leute natürlich auch verzweifelt sind“, hatte sie kurz vor dem Radwegestopp ihre Position deutlich gemacht.
Keine Trauer bei Radverkehrs-Aktivist:innen
Womöglich gebietet es nur der parlamentarische Anstand, dass Antje Kapek von den Grünen nach Schreiners Rücktritt nicht in diese Richtung nachgetreten hat, die ihr zuvor regelmäßig im Abgeordnetenhaus und darüber hinaus den Puls hochgetrieben hat. Weit weniger zurückhaltend äußerten sich jedenfalls die außerparlamentarischen Radverkehrs-Aktivist:innen.
„Mit ihrem Radwegestopp hat Frau Schreiner der Verkehrswende ordentliche Knüppel zwischen die Fahrradspeichen geworfen“, fasste etwa Karl Grünberg, Sprecher des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs, die Position seines Verbands gegenüber der taz zusammen. „Seitdem fahren wir den Radwegen hinterher, die eigentlich schon längst hätten gebaut sein müssen.“ Schreiner hinterlasse „keine gute Bilanz“. Nötig sei jetzt wieder eine Verkehrspolitik, „die Rad-, Fuß- und öffentlichen Personennahverkehr stärkt und nicht das Auto fördert“, so Grünberg.
In dieselbe Kerbe schlägt der Verein, der mit der CDU-Politikerin seit deren Amtsantritt im Dauerclinch lag: Mara Hasenjürgen von Changing Cities sagte der taz, die Senatorin sei zwar nicht für ihre Verkehrspolitik zurückgetreten, „Grund dafür hätte es aber allemal gegeben“.
Schreiner zeichne verantwortlich für „ein Jahr Blockade beim Ausbau von Radwegen und zukunftsfähiger Verkehrsinfrastruktur“ und habe damit „enormen Schaden angerichtet“. Berlin könne sich einen weiteren Stillstand in der Verkehrspolitik nicht leisten.
Nachfolgedebatte läuft auf Hochtouren
Komplett anders bewertet Jens Wieseke, der Sprecher des Fahrgastverbands IGEB, die nur einjährige Dienstzeit Schreiners. Er habe „im Gegensatz zu vielen anderen ein eher positives Bild von ihr gehabt“, die zurückgetretene Senatorin habe sich „durchaus für den ÖPNV engagiert, genau zugehört und diskutiert“, sagte Wieseke zur taz.
Allerdings sei Schreiner „von den Alphamännchen in ihrer Partei dominiert“ worden, so Wiesekes Einschränkung mit Blick auf CDU-Fraktionschef Dirk Stettner und den verkehrspolitischen Sprecher der Unionsfraktion, Johannes Kraft. Deren Ideen – etwa die einer Magnetschwebebahn durch Berlin – halte er unverändert für „unrealistisch und dumm“.
Zu möglichen Nachfolgern sagte der Fahrgastvertreter: „Wenn die CDU klug wäre, würde sie jemanden wie Danny Freymark nehmen – der weiß, was er will und kennt die Probleme“. Der klima- und umweltpolitische Sprecher der CDU-Fraktion hatte sich in den vergangenen Wahlkämpfen mit Aussagen hervorgetan, die auch mit einer grünen Mobilitätspolitik kompatibel waren.
Für die Nachfolge Schreiners werden Namen wie Johannes Kraft oder Dirk Stettner in der Szene der Berliner Mobilitätsaktivist:innen dann auch eher als Horrorszenario gehandelt. Nicht zuletzt Stettner war es, der mit der Schwebebahndebatte oder Aussagen zu Tempolimits gern an Schreiner vorbei eine Art Parallel-Verkehrspolitik gemacht hatte.
Von manchen wird auch Thorsten Schatz ins Spiel gebracht, Spandaus CDU-Bezirksstadtrat für Bauen, Planen, Umwelt- und Naturschutz und enger Vertrauter Kai Wegners. Und wo die Gerüchteküche schon mal angeworfen ist, erklären wieder andere, Berlins CDU-Generalsekretärin Ottilie Klein sei die heißeste Anwärterin für den Posten.
Klein teilte am Dienstag mit, Schreiners Entscheidung verdiene großen Respekt. „Die vor einem Jahr begonnene Wende hin zu einer fairen Mobilität für alle trägt ihre Handschrift.“ Anders als Stettner und Kraft war Klein bisher nicht durch größere verkehrspolitische Initiativen aufgefallen. Aber im schwarz-roten Senat war das vor einem Jahr auch kein Hinderungsgrund, Schreiner zur Senatorin zu machen.
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