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Hassrede nach VergewaltigungsprozessDie standhafte Richterin

Die Hamburger Jugendrichterin Anne Meier-Göring wird seit Dienstag im Internet mit Hass überschüttet. Dabei ist sie mutig und klug.

Lässt sich nicht von Meinungsmache unter Druck setzen: Anne Meier-Göring, hier im Juli 2020 Foto: dpa | Daniel Bockwoldt

Hamburg taz | Man muss nicht mit der Jugendkammer des Hamburger Landgerichts übereinstimmen, die neun Jugendliche im „Stadtpark-Prozess“ zu teils milden Strafen verurteilte. Trotzdem ist der Hass, mit dem die Vorsitzende Richterin Anne Meier-Göring seit dem Urteil überschüttet wird, völlig unangebracht.

Die Prozessbeteiligten hatten anderthalb Jahre lang unter Ausschluss der Öffentlichkeit über die mehrfache Vergewaltigung einer 15-Jährigen im September 2020 im Stadtpark verhandelt. Im Corona-Lockdown war der Stadtpark zeitweise der einzige Ort gewesen, wo sich Jugendliche treffen konnten. Während eines abendlichen Besäufnisses mit Tausenden Jugendlichen nutzten neun von ihnen die Trunkenheit der 15-Jährigen aus und vergewaltigten sie in den Büschen.

Meier-Göring sprach am Dienstag alle Angeklagten schuldig und verhängte für acht von ihnen Jugendstrafen von bis zu zwei Jahren auf Bewährung. Für einen 19-Jährigen ordnete sie eine Haftstrafe von zwei Jahren und neun Monaten an. Seitdem tobt in den sozialen Netzwerken der Mob. Die Use­r*in­nen nennen Meyer-Göring „die Schande von Hamburg“ und wünschen ihr, sie möge selbst vergewaltigt werden.

Vielleicht würde der Hass nicht so überschäumen, wären die Verurteilten weiße Deutsche statt Jugendliche mit Migrationsgeschichte, und wäre die Richterin keine Frau. Zudem ist Meier-Göring nicht irgendeine Frau, sondern eine sehr mutige und kluge. Schon oft hat sie durch ihre Rechtsprechung gezeigt, dass sie sich nicht von öffentlicher Meinungsmache unter Druck setzen lässt und keine Angst hat, staatliche Stellen zu kritisieren.

Kritik an den Ermittlungen der Polizei

Dafür wurde sie bislang von verschiedenen Seiten angefeindet: Beim G20-Elbchaussee-Prozess 2018 schossen ihre Kol­le­g*in­nen aus dem Justizapparat schon gegen sie, bevor sie die Hauptverhandlung überhaupt eröffnet hatte. Mit dem Urteil dann stellte sich Meier-Göring gegen die windige Rechtsauslegung der Staatsanwaltschaft, die alle am Protest Beteiligten in Sippenhaft für den Sachschaden nehmen wollte. Stattdessen äußerte die Richterin massive Kritik an den Ermittlungen der Polizei.

Schon 2016 hatte sie im Prozess wegen sexueller Nötigungen an Silvester auf dem Kiez Bestürzung über die stümperhafte Polizeiarbeit geäußert.

Bei Verhandlungen wie dem Stadtpark-, G20- oder Silvester-Prozess liegt viel Druck auf den Rich­te­r*in­nen – die Öffentlichkeit hat oft schon geurteilt, bevor die Verhandlung abgeschlossen ist. Es macht Mut, dass Meier-Göring sich davon nicht bedrängen lässt. Möge sie die Hatespeech ignorieren oder anzeigen – und standhaft bleiben.

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18 Kommentare

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  • "Vielleicht würde der Hass nicht so überschäumen, wären die Verurteilten weiße Deutsche statt Jugendliche mit Migrationsgeschichte, und wäre die Richterin keine Frau."

    Vielleicht wäre die taz Teil des Mobs wenn die Verurteilen Biodeutsche wären und der Richter ein Mann? Vielleicht wäre das sogar der Aufakt für eine Themenreihe darüber wie Männerseilschaften in der Judikative die Vergewaltigung wieder zum Kavaliersdelikt machen wollen?

    Fragen kann man ja bekanntermaßen alles.

    Aber können wir diese spekulativen Suggestivfragen bitte bei den Witwenschüttlern von der Bild belassen?

    PS: Ich habe zu dem Thema nur ein paar Artikel gelesen, aber dies ist der erste der eine Aussage zum Migrationshintergrund der Täter trifft. Mir ist bewußt, dass ich damit vermutlich zur Minderheit gehöre, aber skurril ist es schon

  • 6G
    699549 (Profil gelöscht)

    Wie mein türkischer Nachbar vor 20 Jahren mal zu mir sagte: Es gibt in Deutschland nur eine Straftat, bei der der Staat keine Gnade kennt und das ist Steuerhinterziehung! Es zerstörtes Leben zählt dagegen nichts.

  • Kommentar entfernt, bitte halten Sie sich an unsere Nettiquette. (Die Moderation)

    • @Strolch:

      Nicht nachvollziehbar? Vielleicht weil Sie Mann sind und die Angeklagten nicht biodeutsch?

  • Der Fall aus Freiburg zeigt, dass höhere Haftstrafen möglich sind.



    de.m.wikipedia.org...tigung_in_Freiburg

  • Die jetzt "verurteilten" sind 19+ Jahre und haben eine 15 jährige mehrfach vergewaltigt.



    Mich interessiert weder ein Migrationshintergrund, noch das "jugendliche" Alter der Täter oder ob sie selber unter Einfluß von Alkohol und evtl. anderen Substanzen gestanden haben.



    Für solche Taten gehören Täter für mehrere Jahre ins Gefängnis und in Therapien, keine weitere Diskussion.



    Diese oftmals verteilten Bewährungsstrafen für solche Taten sind einfach grundlegend falsch.



    Ich schäme mich für die Justiz und Rechtsauslegung dieses Landes diesbezüglich.

  • Mich würde nur interessieren, ob der Kommentar genauso ausgefallen wäre, hätte ein Mann geurteilt - von mir aus auch den Gedanken im Kommentar aufnehmend, die Täter wären Jugendliche aus einem eher guten Hamburger Viertel gewesen.

  • Es wurden nicht alle Angeklagten für schuldig befunden sondern es gab auch 2 Freisprüche. Interessant das hier nur beim Haupttäter das Alter mit 19 angegeben wird. Die anderen hier nur als Jugendliche bezeichneten Mittäter waren ja teilweise bis zu 23 und bekamen trotzdem nur Jugendstrafen. Besonders daran wird ja im Internet überall Kritik geäußert, passt aber scheinbar nicht zum Tenor des Artikels.

  • Mir erscheinen die Strafen in Vergewaltigungsprozessen oft zu mild, aber ich hoffe darauf, dass das Bewusstsein, dass es sich, meiner Meinung nach, um seelischen oder psychischen Mord handelt, in unserer Gesellschaft und somit auch der Richterschaft und Staatsanwaltschaft wächst und die Täter/Mehrfachtäter irgendwann einmal nicht mehr mit Bewährungsstrafen davonkommen.

    Ich denke auch, vielleicht ist das falsch, dass den Tätern/Mehrfachtätern auf diese Weise nicht klar werden wird, dass sie ein entsetzliches Verbrechen begangen und das Leben eines anderen Menschen in vielerlei Hinsicht zerstört haben.



    Eine Bewährungsstrafe ist meiner Einschätzung nach eher "so eine Art schriftlicher Verweis", ein verschärfter "Strafzettel". Unangemessen für ein solches Verbrechen, das ich umgangssprachlich als Kapitalverbrechen bezeichne.

  • Frau Schipkowski, was Sie hier schreiben ist ungeheuerlich!

    Die Strafe ist ein Schlag ins Gesicht aller Frauen, aber insbesondere in das des Opfers.

    Jetzt die Hasstiraden gegen die Richterin mit dem Migrationshintergrund der Täter zu erklären, ist unglaublich erbärmlich.! Ich kann es nicht fassen, dass hier so etwas geschrieben wird.

  • Das Gericht muss vorurteilsfrei und unabhängig urteilen; es war zudem ein Prozess mit mehreren Richtern und Schöffen. Das Jugendstrafrecht setzt auf Erziehung, hat allerdings bei besonderer Schwere die Möglichkeit Haftstrafe anzuordnen. Dies hätte hier für alle Angeklagten erfolgen müssen, da die Schutzlosigkeit des Mädchen wieder und wieder von verschiedenen Gruppen vergewaltigt und neben der Vergewaltigung auch noch gefilmt und beraubt wurde. Ich hoffe auf eine Revision.

  • Jugendstrafe von 2 Jahren auf Bewährung für eine Tat, welche das Leben eines Menschen zerstört hat, ist ein neuer Schlag ins Gesicht des Opfers. Vergewaltigungsopfer kämpfen ein ganzes Leben gegen die Trauma. Die Täter gehören in den Knast. Und im Falle von Ausländern entweder zur Verbüßung des letzten Drittels der Strafe in Heilmatland geschickt, oder ohne entsprechende Verträge, nach Ende der Haftzeit ohne weitere Frage ausgewiesen. Wer keine Rücksicht auf seine Mitmenschen nimmt, auf den sollte nur bedingt Rücksicht genommen werden. Gilt auch für unsere Biodeutschen Straftäter, die gehören in Verwahrung bis sie ungefährlich sind.

  • Die TAZ ist die einzige Zeitung, in der ich bisher neben dem vollen Namen der Dame auch ein Foto sehen konnte.



    Dadurch kann jetzt jeder erkennen, mit wem er es zu tun hat, wenn er die Dame mal trifft. Ob ihr viele Menschen jetzt öffentlich Dank sagen für ihre Rechtsprechung wage ich allerdings zu bezweifeln.

  • Es ist ein strukturelles Problem der deutschen Justiz das die Opfer wenig bis gar nicht interessieren. Speziell im Jugendstrafrecht wo es eher um Erziehung geht. Auch ist es hier in diesem Fall ja nicht die Richterin alleine, sondern die StA hat ja diese Strafen gefordert in dessen Rahmen diese Richterin bleibt. Die StA ist weisungsgebunden und jetzt mal bitte auch schauen welche Partei / Politiker dort gerade das Sagen hat.

    Auf die Bevölkerung wirkt so etwas natürlich verheerend und untergräbt das Vertrauen in eine gerechte Justiz. Denn da werden Urteile gefällt und nicht Gerechtigkeit geübt. Das dies eine Steilvorlage für extremistische Parteien bis hinein in die bürgerliche Mitte ist sollte klar sein. Eine bessere Wahlwerbung gibt es für die nicht.

    Auch weil die Justiz sich üblicherweise zu fein ist das dem Bürger so zu erzählen das es nachvollziehbar ist. Man ist dann in diesen Kreisen dann immer "erschrocken" und regt sich über den "Mob" auf. Auch kann man sich so schön berechtigter Kritik entziehen, weil ist ja nur der "übliche Wutbürger".

  • Dieses Urteil ist für Nicht-Juristen nicht im Ansatz nachvollziehbar, die Einlassung der Verteidiger, dass die Täter davon ausgingen, dass das Mädchen Sex mit ihnen wollte, setzt dem ganzen die Krone auf. Nichtmal das übliche Reueeingeständnis hat es gegeben. Und ich möchte an dieser Stelle unterstellen, dass die Empörung bei weißen, dt. Tätern genau so ausgefallen wäre.

  • "Die Hamburger Jugendrichterin Anne Meier-Göring wird seit Dienstag im Internet mit Hass überschüttet. Dabei ist sie mutig und klug."

    Hm. Ist es mutig und klug eine Gruppe jugendlicher Vergewaltiger mit relativ milden Bewährungsstrafen zu verurteilen?

    Wäre meine Tochter betroffen würde ich wohl auch auf die Barrikaden gehen, und es wäre mir dabei vollkommen gleichgültig ob die Täter Deutsche oder Migranten sind.

  • Das Urteil sollte eher dazu genutzt werden, das Strafmaß grundsätzlich zu hinterfragen. Zwei Jahre auf Bewährung empfinde ich als zu gering, ganz ungeachtet ob jugendlich oder nicht. Aus meiner Sicht ist eine große Strafmaß- bzw. Strafrahmenreform notwendig.

    Auch das Jugendstrafrecht sollte vollständig neu überdacht werden.