Parteitag der „neuen“ Linkspartei: Marktlücke sucht Füllung

Die Linke zeigt sich als neue Partei: jünger, migrantischer, weiblicher. Ohne Wagenknecht hat die Partei eine echte Chance für einen Neuanfang.

Die beiden Linken-Spitzenkandidaten Martin Schirdewan und Carola Rackete halten freudig Blumensträuße in die Kamera

Noch happy: Die Linken-Spitzenkandidaten für die Europawahl, Rackete und Schirdewan Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbrand

„Wer nicht kämpft, hat schon verloren“, zitierte Linkenchef Martin Schirdewan den großen Literaten Bertolt Brecht beim Parteitag in dessen Geburtsstadt Augsburg. Mit der parteilosen Spitzenkandidatin Carola Rackete zieht er in den Europa-Wahlkampf: Die Klima-Aktivistin und Sea-Watch-Kapitänin soll frischen Wind bringen und neue Wählerkreise ansprechen. Mit neuem Logo, neuen Mitgliedern, ungewohnter Einigkeit und neuem Elan lässt die Partei den zermürbenden Streit der vergangenen Jahre um den richtigen Kurs hinter sich. Wagenknecht ist für die Linken Geschichte.

Die Partei müsse jünger, weiblicher und migrantischer werden – das hatten schon die früheren Chefs Katja Kipping und Bernd Riexinger gefordert. Knapp drei Jahre nach deren Ära und dem Abgang der Linksnationalisten um Wagenknecht startet die Partei ihre Erneuerungskampagne: Eine „Linke für alle“ wollen sie sein.

Parteichefin Janine Wissler erinnerte in ihrer Rede daran, dass sie beim Gründungstreffen der Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit (WASG) in Hessen 2004 die einzige Frau war neben 38 Männern, die meisten von ihnen doppelt so alt wie sie.

Damals trieben die unsozialen Hartz-IV-Gesetze der rot-grünen Koalition viele enttäuschte SPD-Mitglieder und Gewerkschafter zum westdeutschen Vorläufer der Linkspartei. Der Enttäuschung über den neoliberalen Rechtsruck unter Gerhard Schröder verdankte die Linkspartei in jener Zeit ihre größten Wahlerfolge.

Die aktuelle Situation ist vergleichbar: Der Rechtsruck der Ampel in Migrations-, Klima- und sozialen Fragen treibt den Linken neue Menschen zu. In Augsburg präsentierten sich drei Neuzugänge, alle um die 30, die der Linken neuen Schwung verleihen wollen und sollen.

Der Rechtsruck der Ampel in Migrations-, Klima- und sozialen Fragen treibt den Linken neue Menschen zu

Neustart oder linke Folklore?

Die Nachfrage ist da, aber reicht das schon für einen Neustart? Mit ihrem Beharren darauf, die Migrationspolitik menschenfreundlich und den ökologischen Umbau sozial zu gestalten, hat die Linke zwar ein Alleinstellungsmerkmal. Und mit rechten Populisten wie Trump, Meloni und dem Millionär Elon Musk gibt es genügend Feindbilder, die Gemeinsamkeit stiften.

Aber dass potenzielle Neumitglieder mit linker Folklore fremdeln können, zeigte eine Nebenbemerkung von Carola Rackete über die SED-Vergangenheit der Partei, mit der sie in ein Fettnäpfchen trat und sich später dafür entschuldigte.

Entscheidend für die Zukunft der Linken ist die Frage: Was bedeuten Vielfalt und Erneuerung jenseits der Strömungen und ideologischen Lager, die sie bisher prägen? Sich auf Säulenheilige der Vergangenheit wie Bertolt Brecht zu beziehen, wird da allein nicht reichen.

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Daniel Bax ist Redakteur im Parlamentsbüro der taz. Er schreibt über Innen- und Außenpolitik in Deutschland, über die Linkspartei und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW). 2015 erschien sein Buch “Angst ums Abendland” über antimuslimischen Rassismus. 2018 veröffentlichte er das Buch “Die Volksverführer. Warum Rechtspopulisten so erfolgreich sind.”

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