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Antizionismus und Antisemitismus„Wir müssen einen Konsens finden“

Die Deutschen reden viel über Israel, aber wenig von Antisemitismus. Meron Mendel und Anna Staroselski im Gespräch über Grenzen der Kritik.

Meron Mendel und Anna Staroselski Foto: Ali Ghandtschi und Sanjar Khaksari
Tania Martini
Interview von Tania Martini

literataz: Frau Staroselski, in Berlin und anderen deutschen Städten wurde kürzlich mal wieder der „Kampf auf Leben oder Tod“ gegen das „zionistische Unterdrückungssystem“ gefordert und „Tod Israel! Tod den Juden!“ skandiert. Warum ist das immer noch möglich?

Anna Staroselski

Anna Staroselski ist Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland und Vizepräsidentin der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Als Tochter jüdischer Kontingentflüchtlinge aus der Ukraine ist sie 1996 in Stuttgart ­geboren. Sie studiert Geschichte an der Humboldt Universität in Berlin und arbeitet als Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Deutschen Bundestag.

Anna Staroselski: Man muss im Detail schauen, wer zu diesen Demonstrationen mit welcher Absicht aufruft. In Berlin handelte es sich zuletzt um eine Organisation, die als Vorfeldorganisation der Terrorvereinigung PFLP einzustufen ist und die auch in ihren öffentlichen Statements ganz klar das Existenzrecht Israels aberkennt und zu einem gewaltbereiten Widerstand aufruft. Sie verharmlosen und legitimieren Terror gegen Israel. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass es zu Ausrufen wie „Tod den Juden und Tod Israels“ kommt. Warum das noch immer passiert, konnte man sehr gut an Ostersamstag in Berlin sehen, nämlich auch, weil die Polizei nicht eingeschritten ist, obwohl sogar Übersetzer vor Ort waren. Grundsätzlich finde ich, dass das palästinensische Samidoun-Netzwerk und die PFLP, die ja bereits auf der EU-Terrorliste steht, in Deutschland ein Betätigungsverbot erhalten müssen.

Das träfe auch etwa auf das dem Iran nahestehende Islamische Zentrum in Hamburg und den Al-Kuds-Marsch, auf dem zur Zerstörung Israels aufgerufen wird, zu?

Meron Mendel

Meron Mendel wurde 1976 in Ramat Gan (Tel Aviv) geboren. Er ist Direktor der Bildungsstätte Anne Frank und Professor für Soziale Arbeit in Frankfurt/Main. Im Streit um die documenta fifteen wurde er als externer Experte hinzugezogen, stieg jedoch nach zwei Wochen wegen mangelnder Bereitschaft zur Aufarbeitung seitens der Leitung wieder aus. Sein Buch „Über Israel reden“ (Kiepenheuer & Witsch) ist für den Preis der Leipziger Buchmesse 2023 nominiert.

Meron Mendel: Generell stimme ich zu. Man muss im Detail schauen, wie die Organisationen strukturiert sind und welche Gefahr sie darstellen. Wenn juristisch nichts gegen ein Verbot spricht, bin ich klar dafür.

Herr Mendel, dennoch hat man Ihnen vorgeworfen, den muslimischen Antisemitismus zu bagatellisieren.

Mendel: Gut, diejenigen, die das behaupten, müssen das auch beweisen.

Staroselski: Ich habe mich schon gewundert, warum Sie sich zum Beispiel gar nicht geäußert haben zu den Geschehnissen von Ostersamstag, wo zu direkter Gewalt gegen Juden aufgerufen wurde.

Mendel: Ja, das ist genau, was ich problematisch finde in der Debatte, dass man nicht gemessen wird an dem, was man sagt, sondern an dem, was man nicht gesagt hat. Es ist doch selbstverständlich, dass, wenn jemand zu Gewalt gegen Juden aufruft, ich das alles andere als gut finde. Es ist nicht meine Aufgabe, jedes Verbrechen, das in diesem Land passiert, zu verurteilen, und ich finde, wir haben genug andere Probleme, als mit der Lupe zu schauen, wer was nicht kommentiert hat. Wenn etwas ausreichend kommentiert und verurteilt wird, bin ich glücklich darüber, dass ich nicht in die Debatte intervenieren muss.

Frau Staroselski schrieb „Antizionismus ist Antisemitismus“. Stimmen Sie dem zu?

Mendel: Ja und nein. Es ist doch immer die Frage, woher der Antizionismus kommt und in welchem Kontext. Die ultraorthodoxen Juden in Me’a Sche’arim werden sich als dezidierte Anti­zio­nis­ten definieren. Das macht sie natürlich nicht zu Antisemiten. Zionismus war nie ein Konsens unter Juden. Der erste zionistische Kongress sollte in München stattfinden, damals hat die Jüdische Gemeinde in München, die antizionistisch war, dagegen protestiert und der Kongress wurde nach Basel verlegt. Ich will damit sagen, wir müssen immer genau schauen, wie Antizionismus begründet wird. Es gibt Formen des Antizionismus, die auch antisemitisch sind. Genauso gibt es nicht-antisemitischen Antizionismus.

Staroselski: Es ist aber ein Unterschied, ob Juden sich dazu verhalten oder nicht, und es ist auch ein Unterschied, ob das Juden in Israel tun oder in Deutschland. Hierzulande spielt der Antizionismus von Juden beziehungsweise genauer, der Satmar-Chassidim, nun wirklich keine Rolle. Darüber hinaus: Den Gedanken eines Nationalstaats abzulehnen, ist in jeder Gesellschaft möglich. Ich finde aber, wenn wir in Deutschland über Antizionismus sprechen, ist das eine andere Debatte, weil wir uns in einer Gesellschaft befinden, die antisemitische Kontinuitäten aufweist, und weil wir schon immer auch israelbezogenen Antisemitismus hatten. Auch bevor der Staat überhaupt existiert hat.

Der dann Israel etwa auch völlig unabhängig von der jeweiligen Regierungspolitik ablehnt?

Staroselski: Ja, das sind Akteure, die Israel sogar unter Jitzhak Rabin abgelehnt haben. Wir wissen auch, dass in der DDR der Antizionismus zur Staatsdoktrin dazugehörte. Und in der BRD der 1970er Jahre hat sich in linksradikalen Gruppierungen wie der RAF etc. der Antisemitismus auf Israel übertragen. Es ist sehr wichtig, zu schauen, wie der Antizionismus in Deutschland formuliert wird, und da kann man die Debatte über Antisemitismus einfach nicht außer Acht lassen. Außerdem muss man über die Erfahrungen der Jüdinnen und Juden in Deutschland sprechen. Und wenn die Mehrheit der Jüdinnen und Juden in Deutschland eine andere Haltung zu Antizionismus hat und sagt, dass Antizionismus sehr wohl antisemitisch ist, dann muss man das ernst nehmen.

Mendel: Das ist analytisch unscharf. Ob etwas in Israel oder in Deutschland formuliert wird, ist noch kein Argument. Wir müssen uns auf den Gegenstand beziehen. Wer was sagt, spielt zwar eine Rolle, aber wichtiger ist, was das Argument ist. Die Ablehnung des Prinzips Nationalstaat kann ich zwar in der Sache nicht gut finden, ist aber an sich noch nicht antisemitisch. Und zu Ihrer Aussage: wenn eine Vorstellung innerhalb der Mehrheit der jüdischen Community verbreitet ist, würde sie zwangsläufig wahr sein. Das ist kein Argument. Wie soll man diese Mehrheit überhaupt rausfinden?

Aber dass der „Antizionismus ein Vehikel geworden ist, um antisemitischen Ressentiments in einer sozial akzeptierten Form Ausdruck zu verleihen“, steht für Sie außer Zweifel, Herr Mendel, so steht es ja auch in Ihrem Buch.

Mendel: Ja. Das können wir nur an konkreten Äußerungen belegen und schauen, wer den Antizionismus als Vorwand nutzt, um Antisemitismus zu legitimieren. Das muss dann auch ganz klar benannt werden, da bin ich ganz auf der Seite von Frau Staroselski. Aber wenn Menschen jede Form des Nationalstaats ablehnen oder aus theologischen Gründen einen Nationalstaat ablehnen oder sich eine friedlichere Zukunft für den Staat Israel wünschen, indem sich der Staat nicht als jüdisch, sondern nur als demokratisch definiert, tun wir uns keinen Gefallen, diese durchaus legitimen Positionen so pauschal mit dem Antisemitismusvorwurf zu brandmarken.

Staroselski: Aber Antizionismus bedeutet die Ablehnung des Zionismus und das bezieht sich auf das Selbstbestimmungsrecht von Juden und letztlich auf Israels Existenzrecht.

Mendel: Warum? Das bezieht sich auf Israel als zionistischen Staat, aber nicht auf das Existenzrecht. Israel kann auch rein theoretisch als nicht zionistischer Staat mit oder ohne jüdischer Mehrheit existieren.

Staroselski: Zionismus bedeutete in seinem Ursprung, einen jüdischen Staat zu errichten. Wenn man ablehnt, dass ein jüdischer Staat existieren soll, ist das für mich antisemitisch.

Mendel: Was meinen Sie mit ablehnen?

Staroselski: Antizionismus bedeutet, dass ein jüdischer Staat in seiner Form nicht existieren darf. Das, finde ich, ist antisemitisch, und da ist es aus meiner Sicht erst mal egal, wer diesen Gedanken formuliert. Es gibt ja auch Arbeitsdefinitionen, beispielsweise von der International Holocaust Remembrance Alliance, die eine definitorische Übersetzung der Erfahrungen von Jüdinnen und Juden ist. Das Besondere an dieser Definition ist, dass sie eine Reihe von Beispielen gibt, die sich insbesondere auf israelbezogenen Antisemitismus beziehen. Das macht sie so besonders wichtig, weil gerade bei israelbezogenem Antisemitismus sehr häufig nicht klar ist, ob eine Aussage antisemitisch ist oder Entscheidungen der israelischen Regierung kritisiert werden. Aber wenn Israel dämonisiert oder das Existenzrecht Israels abgelehnt wird, ist das auch laut dieser Arbeitsdefinition antisemitisch.

Mendel: Ich definiere mich als Zionist. Nichtdestotrotz müssen wir das Ganze analytisch scharf stellen. Einige, die antizionistische Positionen vertreten, vertreten auch israelbezogenen Antisemitismus. Aber es gibt eben auch in der jüdischen Diaspora viele Bewegungen, auch historische, die antizionistisch sind. Es ist falsch, diese ganze Vielfalt an antizionistischen Positionen nachträglich und in der Gegenwart als antisemitisch darzustellen. Das ist paradox. Ein Großteil der Juden, die außerhalb von Israel leben, ist antizionistisch, und auch ein beträchtlicher Anteil der Juden, die in Israel leben, ist antizionistisch. Sind die alle Antisemiten?

Aber es gibt eine Schnittmenge zwischen Antizionismus und israelbezogenem Antisemitismus.

Mendel: Ja. Da geht mit der Ablehnung der jüdischen Komponente des Staates Israel der Wunsch einher, die Juden loszuwerden aus der Region. Das ist antisemitisch. Aber es gibt auch Positionen, die ich zwar nicht teile, die aber eine andere, vielleicht utopische Vorstellung haben von der Organisation des gemeinsamen Staatswesens nicht nach Religion, sondern nach Staatsbürgerschaft.

Staroselski: Wir reden ja über heute und nicht über einen utopischen Moment. Und wir reden darüber, welche Gefahr Antizionismus für Jüdinnen und Juden in der Diaspora bedeuten kann. Es geht darum, welche Gefahr die antizionistische Propaganda mit sich bringt. Ich habe nicht gesagt, dass alle Juden Zionisten wären, und der Zionismus ist auch keine monolithische Ideologie. Aber es geht doch darum, dass es heute de facto einen jüdischen Staat Israel gibt und dass es Personen gibt, die sagen, dass dieses Land in seiner Form nicht existieren darf und was daraus folgt.

Mendel: Wenn Leute sagen, Israel darf nicht als jüdischer Staat existieren, ist das sicherlich antisemitisch, da würde ich zustimmen. Aber wenn es heißt, Israel soll nicht als jüdischer Staat existieren, ist das vielleicht nicht richtig, aber keinesfalls antisemitisch.

Aber wie geht man mit einem antisemitischen Antizionismus um? Wir führen bei all den Skandalen von Mbembe bis documenta immer wieder dieselbe Diskussion.

Mendel: Genau deswegen brauchen wir Definitionsschärfe. Einige sehen überall Antisemitismus und andere sind blind dafür oder leugnen ihn per se. Wir müssen Werkzeuge erarbeiten, um den Antisemitismus – aber auch falsche Antisemitismusvorwürfe – zu entlarven, und ich denke, an dem Punkt sind wir jetzt: Wir sind uns einig, dass es Formen der Israelkritik gibt, die klar antisemitisch sind.

Aber das Problem ist häufig, dass es nicht um Inhalte, sondern um Sprecherpositionen geht. Wenn etwa auf der documenta in einem Kunstwerk Gaza mit Guernica gleichgesetzt wird, geht es in der Diskussion nicht darum, aus welchen Gründen das eine falsche Parallelisierung ist, sondern es geht um die Herkunft der Künstler:innen.

Staroselski: Ja. Für mich ist außerdem als in Deutschland lebende Jüdin das Problem mit Antisemitismus kein analytisches, sondern ein gesellschaftliches Problem, was auf dem Rücken von Jüdinnen und Juden ausgetragen wird. Wenn Jüdinnen und Juden sich in Deutschland nicht sicher fühlen, wenn sie nicht sicher auf die Straße gehen können, wenn sie Sorge haben, als Jüdinnen und Juden erkannt zu werden, ihre jüdischen Symbole verstecken müssen, dann geht es nicht um analytische Diskussion, sondern darum, dass der Rechtsstaat Jüdinnen und Juden schützen muss, und es bedeutet, dass man sich auseinandersetzen muss mit Antisemitismus und mit Kontinuitäten des Antisemitismus in der Gesellschaft.

Das heißt, die Beschäftigung mit Antisemitismus findet eigentlich gar nicht statt? Sie haben einmal geschrieben: „Der Vorwurf des Antisemitismus wiegt schwerer als der Antisemitismus selbst“.

Staroselski: Man muss die Sprecherposition von Jüdinnen und Juden ernst nehmen und ich finde, dass das Beispiel documenta, das Sie angebracht haben, ein sehr passendes dazu ist, weil es bereits vor der Eröffnung der documenta jüdische Stimmen gab, die gewarnt haben, dass diese Ausstellung Antisemitismus öffentlich zur Schau stelle. Darauf wurde kaum bis gar nicht reagiert. Die documenta wurde ausgesessen, es gab dann eine Untersuchungskommission und Debatten in Feuilletons über Ausstellungsstücke und am Ende ist nichts passiert. Stattdessen ist man genau in die Situation geraten, zu debattieren, ob jetzt die Künstler, die diese Kunstwerke ausgestellt haben, Antisemiten sind oder nicht. Mir geht es nicht um pauschale Antisemitismusstempel, sondern um die Auseinandersetzung mit antisemitischen Verschwörungserzählungen, mit reproduzierten antisemitischen Inhalten, weil sie eine konkrete Auswirkung auf das Sicherheitsgefühl von Jüdinnen und Juden in Deutschland haben.

Mir scheint, der Zeitgeist ist hier ein anderer.

Staroselski: Es gibt Umfragen, die zeigen, dass heute etwa 70 Prozent der Deutschen glauben, dass ihre Vorfahren keine Täter waren. Im letzten Herbst ist eine Studie herausgekommen, die besagt, dass knapp über die Hälfte der Deutschen eine Schlussstrichdebatte fordert. Wir hatten bis in die 1980er Jahre personelle Kontinuitäten von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern in Verantwortungspositionen und wir sind noch immer nicht an einem Punkt angelangt, wo man sagen kann, dass Antisemitismus keine reale Existenz mehr in der deutschen Gesellschaft hat. Auch vor diesem Hintergrund müssen die Debatten geführt werden, und das ist nicht ausschließlich eine akademisch-analytische Debatte von Wissenschaftlern im Elfenbeinturm, sondern das ist eine Debatte, die in erster Linie Jüdinnen und Juden betrifft, deren Stimme gehört werden muss.

Mendel: Natürlich. Leider ist es so, dass Juden die Leidtragenden sind, aber das gibt niemandem die Berechtigung, den Antisemitismusvorwurf leichtfertig zu benutzen. Wir müssen uns mit jedem Vorwurf auseinandersetzen. Was sich antisemitisch anfühlt, muss nicht auch antisemitisch sein.

Staroselski: Würden Sie das beim Thema Rassismus auch so sagen?

Mendel: Absolut. Wir können nicht die Debatte auslagern und sagen, nur die Schwarzen können jetzt entscheiden, was Rassismus ist und nur die Juden können entscheiden, was Antisemitismus ist. Aus dem einfachen Grund: Es gibt nicht nur eine Meinung von Juden und es gibt nicht nur eine Meinung von Schwarzen. Verletzte Gefühle sind keine Substanz, mit der wir argumentieren können. Es fehlt uns auch nicht an Sonntagsreden und Bekenntnissen gegen Antisemitismus, sondern wir müssen einen Umgang mit den wiederkehrenden Debatten finden, sie differenziert führen und schauen, wie wir wirklich den versteckten oder codierten Antisemitismus analytisch decodieren. Gefühle sind noch kein Beweis.

Staroselski: Man muss erst mal überhaupt ernst nehmen, wenn Jüdinnen und Juden sagen, hier findet Antisemitismus statt, und das nicht als Antisemitismusvorwurf in Anführungszeichen abtun oder den Antisemitismusvorwurf an sich skandalisieren.

Mendel: Warum in Anführungszeichen? Das ist aber doch zunächst einmal faktisch ein Vorwurf.

Der Apartheidvorwurf gegen Israel ist falsch und verharmlost die Realität der Menschen in Südafrika bis in die 1990er.

Anna Staroselski, Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion

Staroselski: Das haben wir bei so vielen Debatten gesehen. Es geht dann nur noch um die Person, die diesen Antisemitismusvorwurf erhalten hat und man setzt sich nicht mit dem Inhalt auseinander oder damit, was tatsächlich passiert ist.

Mendel: Ich habe eine schlechte Nachricht: Jede Debatte funktioniert so, dass es erst einmal einen Vorwurf gibt. Und dieser Vorwurf muss überprüft werden. Klar müssen die Juden ernst genommen werden, so wie die Katholiken oder Evangelen, Frauen oder Männer auch. So ist das in der Demokratie. Jeder muss ernst genommen werden. Darüber gibt es keinen Streit. Aber im Endeffekt ist die Beweislast an denjenigen, die den Vorwurf erheben.

Roger Waters hat neulich im Gespräch mit Ihnen, Meron Mendel, im Spiegel gesagt, „Sie kennen das Wort, das wir nie benutzen durften, aber jetzt benutzen dürfen, weil es ständig benutzt wird, und das ist: Apartheid.“ Mir scheint, er hat da genau die perfide Grenzverschiebung benannt, die auch in postkolonialen Kreisen oft anzutreffen ist, das heißt, so oft in Bezug auf Israel die Wörter Apartheid und Genozid zu wiederholen, bis alle dran glauben, egal wie falsch die Aussage ist.

Mendel: Der Apartheidvergleich ist falsch, aber ich würde nicht sagen, dass jeder, der den Vergleich anstellt, antisemitisch ist. Man muss diese Diskussion führen und Argumente und Belege dafür bringen, warum dieser Vergleich zwischen Israels Besatzungspolitik und der Apartheidpolitik nicht zutreffend ist. Das ist der einzig mögliche Umgang mit diesem Vorwurf. Wir dürfen uns dieser Diskussionen nicht entziehen, indem die Gegenposition pauschal als antisemitisch dargestellt wird.

Staroselski: Der Apartheidvorwurf gegen Israel ist falsch und verharmlost die Realität der Menschen in Südafrika bis in die 1990er. Was die postkolonialen Grenzverschiebungen in Bezug auf die Genozidfrage angeht, sind wir uns vielleicht einig: Man muss an der Präzedenzlosigkeit der Shoah festhalten. Die Behauptung oder Verschwörungserzählung ist ja, dass es jüdische Eliten gäbe, die Deutschland eine Erinnerungskultur aufoktroyiert hätten – mit den Juden als einer besonderen Opfergruppe. Die Absicht ist nun, die Shoah als einen Genozid unter vielen darzustellen. Was aber faktisch nicht richtig ist, schon allein wegen der sogenannten „Endlösung“ – es sollten ausnahmslos alle Juden und Jüdinnen aufgespürt und getötet werden. Die Nichtanerkennung des Präzedenzlosen führt auch zu einer Art Entlastung. Wenn man sagt, Jüdinnen und Juden sind keine besondere Opfergruppe, dann braucht es auch keine besondere Erinnerungskultur in Deutschland. Deutschland wäre dann nur noch eine Nation von vielen imperialistischen zur Zeit des Kolonialismus und Imperialismus, und man bräuchte auch keine besondere Verantwortung gegenüber Jüdinnen und Juden und entsprechend auch nicht gegenüber Israel.

Mendel: Die Präzedenzlosigkeit sehe ich genauso, nichtsdestotrotz sehe ich nicht, was das Problem ist, darüber zu diskutieren. Wir müssen einfach die besseren Argumente auf den Tisch legen, damit wir in der Wissenschaft wie auch in der breiten Gesellschaft einen Konsens finden.

Staroselski: Man kann diese Debatten führen und das tun wir tagtäglich, übrigens seit Jahren. Ich finde nur, diese Debatte wie auch die documenta haben gezeigt, dass, wenn wir uns in einem Klima von Relativierung und Schlussstrichforderungen befinden, jüdische Per­spek­ti­ven, die klar den Antisemitismus benennen, abgewehrt werden. Wenn man diese Positionen auch legitimiert, wenn man auch mit Roger Waters, der ein Antisemit ist, spricht und seine Position zulässt, dann kommt man eben zwangsläufig dazu, dass Antisemitismus verharmlost oder legitimiert wird. Und die Konsequenz dessen ist, dass man dann vielleicht nicht solche Demonstrationen wie die, über die wir eingangs sprachen, verhindert, sondern einen gesellschaftlichen Rahmen schafft, in dem solche Demonstrationen zunehmen können.

Mendel: Sie sagen immer, jüdische Perspektiven müssen ernst genommen werden. Was sind jüdische Positionen? Ich finde es problematisch, bestimmte Positionen als jüdische zu deklarieren und andere, die vielleicht für Sie nicht bequem sind, als nichtjüdische.

Staroselski: Ich beziehe mich hier auf demokratisch legitimierte Institutionen, die einen repräsentativen Anspruch haben, die jüdischen Gemeinden und jüdische Menschen in Deutschland zu vertreten, also zum Beispiel der Zentralrat, die Zentralwohlfahrtsstelle etc. Das sind Institutionen, die die Mehrheit der jüdischen Menschen in Deutschland repräsentieren.

Mendel: Die Hälfte der Juden in Deutschland ist nicht organisiert in den Gemeinden.

Staroselski: Viele Jüdinnen und Juden, die von Marginalisierungserfahrungen betroffen sind, haben kein Sprachrohr, und der Zentralrat ist die politische Interessenvertretung dieser Menschen. Ich frage mich, wenn es nicht das organisierte Judentum oder jüdisches Leben in Deutschland gäbe, wie diese Personen überhaupt berücksichtigt werden würden.

Mendel: Ich habe gar nichts gegen den Zentralrat, aber die Frage war doch, wie man bestimmte Kunstwerke oder eine Demonstration bewertet. Und da gibt es eben nicht eine jüdische Perspektive. Wir haben keinen Hohepriester, der uns allen die Linie vorgibt.

Weder eine Anti-BDS-Resolution noch ein Antisemitismusbeauftragter oder eine IHRA-Antisemitismus-Definiton haben bisher konkret viel weitergeholfen in den Debatten. Was tun?

Mendel: Da würde ich zustimmen. Ich glaube, dass mit dem Bundestagsbeschluss oder einem Antisemitismusbeauftragten kein einziger antisemitischer Vorfall verhindert wurde. Da helfen auch keine Sonntagsreden. Wir müssen Antisemitismus bekämpfen, wo er existiert, und Verbündete finden. Dass Menschen sich gegen Antisemitismus auch in ihrem Alltag einsetzen, wird nicht per Dekret passieren.

Staroselski: Aber wie wollen Sie Antisemitismus bekämpfen?

Mendel: Über Bildungsarbeit, das, was ich in der Bildungsstätte Anne Frank auch mache.

Staroselski: Sicher spielt die Bildungsarbeit bei der Prävention gegen Antisemitismus eine wichtige Rolle. Aber in einer solidarischen und demokratischen Gesellschaft braucht es auch Formen der Intervention und – falls nötig – auch Formen der Repression, die Antisemiten Einhalt gebietet. Dazu gehört eine wachsame Zivilgesellschaft, die bei antisemitischen Vorfällen einschreitet, ebenso wie ein funktionierender Rechtsstaat, der antisemitisch motivierte Straftaten verfolgt und ahndet.

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23 Kommentare

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  • Aus dem israelischen Nationalstaatsgesetz:

    „Das Land Israel ist die historische Heimat des jüdischen Volkes, in welchem der Staat Israel gegründet wurde. (b) Der Staat Israel ist der Nationalstaat des jüdischen Volkes,



    in dem es sein natürliches, kulturelles, historisches und religiöses Recht auf Selbstbestimmung ausübt. (c) Die Verwirklichung des Rechts auf nationale Selbstbestimmung ist im Staat Israel einzig für das jüdische Volk.“ (Art.1)

    Zitat Antisemitismus-Definition/Beispiele der IHRA:

    „Erscheinungsformen von Antisemitismus können sich auch gegen den Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, richten.“

    Das Problem, das ich sehe ist, dass der Staat Israel sich in diesem Artikel selbst als jüdisches Kollektiv definiert, was dann konsequenterweise dazu führt, dass Kritik am Staat Israel automatisch als antisemitisch betrachtet werden muss, oder verstehe ich da etwas falsch?

    Das zweite Problem das ich sehe ist, dass es für mich bis heute nicht ganz klar ist, wer als Jude/Jüdin bezeichnet wird: offensichtlich ja nicht nur ihren Glauben praktizierende, sondern auch säkular lebende Menschen, die aus historischen/religiösen Gründen als jüdisch markiert sind. Wenn ich das Konstrukt „Rasse“ als unwissenschaftlich und rassistisch ablehne, und das tue ich, was ist dann ein*e Jude/Jüdin?



    Mir wäre die Definition israelische*r Staatsbürger*in / Israeli deshalb tausendmal lieber, was aber, ich gebe es zu, wiederum all jene ausschließt, die in der Diaspora leben und eine andere Staatsbürgerschaft haben, und andererseits all jene einschließt, die zwar die israelische Staatsbürgerschaft besitzen, aber keine Juden/Jüdinnen sind.

    Falls Herr Mendel hier noch mitliest, würde ich mich freuen, wenn er mir helfen würde, diesen veritablen Knoten in meinem Kopf zu lösen. Ich meine das übrigens keineswegs ironisch, sondern bin ernsthaft an einer Antwort interessiert.

  • "Was sich antisemitisch [rassistisch] anfühlt, muss nicht auch antisemitisch [rassistisch] sein." Die Haltung zu dieser Aussage ist DER Grunddissens zwischen den beiden Interviewpartnern. Ein tiefgreifender Unterschied in der Auffassung, was Wissenschaft ist, was Politik ist und wie sich beide zueinander verhalten.

  • "weil wir schon immer auch israelbezogenen Antisemitismus hatten. Auch bevor der Staat überhaupt existiert hat."



    Israelbezogener Antisemitismus ohne den Staat Israel ist doch ein Widerspruch in sich. Intellektuelle Gymnastik vom feinsten!

  • Es ist ganz fantastisch das du einen interessanten akademischen Austausch hast Meron.

    Ohne dich aus zu interessanten Konversationen mit Leuten wie Roger Waters zu reißen.

    Aber reden wir doch mal über die Lebenswirklichkeit und nicht über nette aksdemische Diskussionsforen.

    An jedem Schultag steht die Polizei mit der MP5 vor der Lichtigfeld Schule in Frankfurt, an jedem Feiertag vor der Westendsynagoge.

    Wenn du mal wieder im Life Deli im jüdischen Museum Shakshuka essen willst, da sind die Sicherheitsvorkehrungen strenger als am Landgericht, inclusive Metalldetektor, Sicherheitsglas, Schutztüren und die Terasse geht nur in den Innenhof, damit du nicht auf dem Präsentierteller sitzt, aber kennst du ja alles.

    Bei Fußballspielen von Maccabi kannst du praktisch bei bestimmten Partien immer mit der Polizei rechnen.

    >Der Makkabi-Spieler wird antisemitisch beleidigt, dann eskaliert die Situation vollends, andere Spieler und Zuschauer mischen sich ein, es kommt zu Tätlichkeiten, jemand zieht ein Messer.

    www.fr.de/frankfur...smus-11788910.html

    Oder beim Tennis:

    www.journal-frankf...och-nie-38284.html

    Und wenn hier mal wieder Demos gibt oder es zwischen Israel und den Palästinensern eskaliert, muss der jüdische Supermarkt seine Scheibe mit Holzbrettern schützen, damit ihm nicht die Scheibe eingeschlagen wird. Die Jüdische Allgemeine bekommst du seit Jahren nur noch in neutralen Umschlag, damit es ja keiner sieht und so weiter.

    Du willst, das andere Leute, deine Toleranz aushalten.

    • @Sven Günther:

      Schöner Beitrag. Allerdings völlig am Thema vorbei.

  • 0G
    04405 (Profil gelöscht)

    Die Ausnahmestellung bzw. der Exzeptionalismus Israels in der deutschen Öffentlichkeit muss bald mal überwunden werden. Wenn man den Ballast der deutschen Geschichte mal ein paar Minuten außen vor lässt, hat man einen souveränen Staat (Israel), dessen staatliche Integrität von der UN-Charta gedeckt wird. Nicht mehr und nicht weniger.

    Dann hat man noch einen historischen Konflikt, der frappierende Ähnlichkeit mit den Konflikten Pakistan vs Indien, Sudan vs Südsudan, Armenien vs Aserbaidschan oder sogar Nord-Irland vs Irland hat.

    Und dann gibt es noch den deutschen Judenknax, der in ganz besonderer Mimikri einfach als Zombie "besondere Verantwortung gegenüber Juden und Jüdinnen" weiterlebt. Was dann zu den häßlichen Diskussion führt, ob denn Antisemitismus überhaupt Rassismus sei (natürlich ist er das), wo man denn jetzt ganz genau die Grenze zwischen Israelkritik und Antisemitismus ziehen muss, wie viele rosa Schweinchen mit Davidstern auf einem Roger Waters gerade noch gehen und und und. Was dem Antisemiten jede Gelegenheit gibt, seinen Judenhass als "Zionismusdiskurs" öffentlich zu zelebrieren.

    Die besondere Verantwortung ist gut gemeint. Sie liefert den Judenhassern aber auch Gratisargumente und führt zu nicht viel. Niemand muss irgendeinem Staat garantieren, dass man ihn nicht wegbomben darf. Das ist einfach selbstverständlich. Rassismus zu ächten auch.

    • @04405 (Profil gelöscht):

      "Dann hat man noch einen historischen Konflikt, der frappierende Ähnlichkeit mit den Konflikten Pakistan vs Indien, Sudan vs Südsudan, Armenien vs Aserbaidschan oder sogar Nord-Irland vs Irland hat." Mit dem erheblichen Unterschied, dass alle aufgezählten einen eigenen Staat haben. Palästina keinen.

  • ich empfinde beide positionen als richtig in unterschiedlichen bereichen, die den gleichen kern besitzen. die eine, da wir systematischen antisemitismus haben und den anderen weil wir inhaltlichen antisemitismus haben.

    • @tobio:

      Was soll denn nun "systematisch" in diesem Zusammenhang bedeuten?

      • @Amandas:

        ich meinte damit, das wir einmal in allen teilen der deutschen bevölkerung vorhandenen antisemitismus haben und der wirkt sich meiner meinung nach anderes aus als der inhaltliche und sollte auch anderes begegnet werden.



        d.h. vereinfacht: mit "nazis" muss man nicht reden, denen muss man sich entgegenstellen. und die inhaltliche ebene ist eine, in der man im diskurs versucht "verhaltens-" oder "denkweisen" offenzulegen und zu verändern.

  • "oder sich eine friedlichere Zukunft für den Staat Israel wünschen, indem sich der Staat nicht als jüdisch, sondern nur als demokratisch definiert, tun wir uns keinen Gefallen, diese durchaus legitimen Positionen so pauschal mit dem Antisemitismusvorwurf zu brandmarken."

    Danke, das sehe ich auch so. Es sollte niemand als Antisemit gebranntmarkt werden, der/ die sich für Gerechtigkeit, Frieden, Demokratie, eine plurale Gesellschaft und gegen einen Gottesstaat einsetzt.

    Der Ansatz "Antizionismus = Antisemitismus" hat etwas Totalitäres, und erinnert stark an den Gottesstaat Iran. Wo im übrigen die jüdische Minderheit einen Parlamentssitz innehat und der "iranische Zionist" Chomeini erklärt hat: „Wir erkennen an, dass unsere Juden mit diesen gottlosen Zionisten nichts zu tun haben.“

    Es ist nicht an uns Deutschen, über die zionistische Staatsform zu entscheiden, das können die Israelis selbst. Aber ich muss mir auch keine Denkverbote auferlegen lassen. Auch nicht von hierzulande diskriminierten religiösen Personen, die leider potentielle Partner verprellen, überall nur Feinde sehen und irrtümlich glauben, man könnte die "Feinde" mit ideologiesierten und abstrusen Antisemitismusdefinitionen bekämpfen.

    • @Dorian Müller:

      Das Antizionismus manchmal mit Antisemitismus gleichzusetzen ist, ist IMHO keine Frage. Die Frage diskutierte Frage ist, ob dies IMMER der Fall ist

    • @Dorian Müller:

      "Gerechtigkeit, Frieden, Demokratie, eine plurale Gesellschaft und gegen einen Gottesstaat einsetzt."

      Das wollten Juden in Europa vor dem Holocaust ebenfalls.

  • Der Gorilla im Raum wurde wieder einmal völlig übersehen bzw. schlicht ignoriert: Die seit Jahrzehnten bestehenden israelischen Annexionsbestrebungen in den besetzten Gebieten und die illegale Siedlungspolitik, die sich seit Jahren immer mehr Gebiete und in den besetzten Gebieten einverleibt, von dehnen die eigentlichen Eigentümer und Bewohner vertrieben werden und zu denen sie nun nur noch eingeschränkt Zugang haben.

    • @Rudolf Fissner:

      Korrektur: die Juden haben 1905 zwar nicht die Bevölkerungsmehrheit in Jerusalem gestellt, waren aber die größte Gruppe der Bewohner von Jerusalem.

    • @Rudolf Fissner:

      Und jetzt erläutern Sie bestimmt noch, warum palästinensiche Araber, die *eigentlichen* Eigentümer und Bewohner sind. Etwa deswegen:



      www.spiegel.de/ges...-0000-000177512611 ?



      Sie wissen schon, dass etwa Jerusalem um die Jahrhundertwende nach osmanischem Zensus eine jüdische Bevölkerungsmehrheit hatte?:



      www.bpb.de/shop/ze...er-heiligen-stadt/



      Daraus: "In Jerusalem bildeten die Juden laut einem osmanischem Zensus 1905 mit 13.300 von insgesamt 32.400 Personen die größte Bevölkerungsgruppe."

      • 0G
        04405 (Profil gelöscht)
        @Henriette Bimmelbahn:

        das Kunststück ist eben, so vage zu bleiben, dass die Botschaft durchscheint, obwohl andere Interpretationen genauso möglich bleiben.

        In diesem Fall bleibt völlig offen, ob mit "besetzten Gebieten" die Autonomiegebiete gemeint sind, oder nicht vielleicht doch Palästina vom Sinai bis zum roten Meer. Die erste Interpretation wäre sachlich mindestens vertretbar, die zweite wird lautstark auf dem Al-Kuds-Tag vertreten. Die Formulierung "eigentliche Bewohner" macht dann klar, dass ganz Palästina gemeint ist. Immer schön am Rande des Sagbaren entlang balancieren.

        • @04405 (Profil gelöscht):

          Ja.



          Der Terminus "eigentlicher Bewohner" soll ja implizieren, dass - im Gegensatz zur Urbevölkerung - Juden definitiv da, wo immer sie sich aufhalten "nicht hingehören" und Fremdkörper und Eindringlinge sind, die weg müssen. Das unterscheidet sich Nullkommanix von den Positionen Wilhelm Marr, dem stolzen Gründer der Antisemitenliga:



          de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Marr



          Der einzige Unterschied ist, dass Juden seiner Meinung nach gerade in Europa als "Semiten" total falsch waren und weg sollten.

  • "Wenn Leute sagen, Israel darf nicht als jüdischer Staat existieren, ist das sicherlich antisemitisch, da würde ich zustimmen. Aber wenn es heißt, Israel soll nicht als jüdischer Staat existieren, ist das vielleicht nicht richtig, aber keinesfalls antisemitisch."

    Was für ein Rumgeeiere.

    Deutlich konkreter wird Frau Staroselski:

    "Es geht darum, welche Gefahr die antizionistische Propaganda mit sich bringt. Ich habe nicht gesagt, dass alle Juden Zionisten wären und der Zionismus ist auch keine monolithische Ideologie. Aber es geht doch darum, dass es heute de facto einen jüdischen Staat Israel gibt und dass es Personen gibt, die sagen, dass dieses Land in seiner Form nicht existieren darf und was daraus folgt."

    Antisemitismus kommt schon seit Jahren vor allem als "Israel-Kritik" und Antizionismus daher.

    Selbst der dümmste Antisemit hat gelernt, dass er sich nicht direkt gegen Juden äußern darf.

    Und was die Deutungshoheit darüber angeht, was Antisemitismus ist und was nicht, da hat die Debatte um die Documenta zweierlei gezeigt.

    Erstens, wenn Juden sich über Antisemitismus beschweren, geht das den meisten am Arsch vorbei, von den Kulturmandarinen bis zum Publikum.

    Der Interimsleiter hat sich sogar entblödet zu sagen, er wisse gar nicht genau, was das eigentlich sei.

    Auch berufene Stimmen aus der Antisemitismusforschung wurden ignoriert und Maron Mendel, der geholt wurde, als die Hütte brannte, hat die Brocken hingeworfen, weil keiner mit ihm kooperierte.

    Soviel zur Wissenschaft.

    • 0G
      04405 (Profil gelöscht)
      @Jim Hawkins:

      meistens stimme ich Ihnen beim Thema Antisemitismus zu, diesmal nicht: Unter der Netanyahu-Regierung wurde das Staatsbürger-Recht zuletzt soweit "verschärft", dass das Unwort vom "Apartheids-Staat Israel" langsam erschreckend reale Züge annimmt.

      Genau so kann man "Israel sollte nicht als [rein] jüdischer Staat existieren" verstehen. Mendel hat sich immer wieder kritisch zu dieser Form des Zionismus geäußert und sich nahe an der israelischen Linken positioniert. Die von Ihnen kritisierte Aussage bleibt auf dieser Linie.

      Wobei ich Ihnen uneingeschränkt zustimme: "Antizionismus" ist ein antisemitischer Code, so wie "Fachkräfte" und "importierter Antisemitismus" ein rassistischer Code ist. Jeweils von denselben Leuten mit derselben Absicht benutzt.

  • "Wir können nicht die Debatte auslagern und sagen, nur die Schwarzen können jetzt entscheiden, was Rassismus ist und nur die Juden können entscheiden, was Antisemitismus ist. Aus dem einfachen Grund: Es gibt nicht nur eine Meinung von Juden und es gibt nicht nur eine Meinung von Schwarzen. Verletzte Gefühle sind keine Substanz, mit der wir argumentieren können. (...) wir müssen einen Umgang mit den wiederkehrenden Debatten finden, sie differenziert führen und schauen, wie wir wirklich den versteckten oder codierten Antisemitismus analytisch decodieren. Gefühle sind noch kein Beweis." Auf den Punkt gebracht, wohin wir bei der Bearbeitung sämtlicher Formen Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit aus meiner Sicht hin müssen. Eine wissenschaftliche Analyse und das Benennen objektiv belastbarer Indikatoren sind etwas anderes als Gefühle und persönliche Betroffenheit. Beides hat seine Berechtigung, beides ist ernst zu nehmen - das rational Messbare wie das private Gefühl - aber nur das eine kann Grundlage für eine wissenschaftliche Debatte und darauf aufbauende (präventive) Handlungsansätze (die wiederum die persönliche Betroffenheit berücksichtigen können, ohne diese als objektiv zu verabsolutieren).

  • "Deutschland wäre dann nur noch eine Nation von vielen imperialistischen zur Zeit des Kolonialismus und Imperialismus, und man bräuchte auch keine besondere Verantwortung gegenüber Jüdinnen und Juden und entsprechend auch nicht gegenüber Israel."



    Meines Erachtens gibt es sogar Positionen die so weit gehen, dem Holocaust oder dem Generalplan Ost den Rassismus und den Kolonialismus absprechen wollen. Dies würde nämlich den Rassismus gegenüber Schwarzen relativieren - jüngstes Beispiel die britische Abgeordnete Abbot.

  • "Die Deutschen reden viel über Israel, aber wenig von Antisemitismus."

    Einen Artikel zu lesen, der so beginnt, widerspricht meiner intellektuellen Selbstachtung.



    Die Deutschen sind und handeln, wie andere auch, nämlich unterschiedlich.