Tarifstreit im öffentlichen Diskurs: Danke für den schönen Streik!

Die Streiks dürfen uns freuen – weil Menschen sich gegen Unverschämtheiten von oben wehren. Das mediale Geklingel dazu ist plumpe Täter-Opfer-Umkehr.

Zwei Hände mit Wasserpistolen

Streik in Deutschland: Spüren Sie auch die kalte Waffe im Rücken und den Angstschweiß auf der Stirn? Foto: Fuse/Getty Images

Achtung, Achtung, Deutschland wird ab Montag „in Geiselhaft“ genommen! Die Bundesrepublik ist „zur Immobilität verdonnert“, denn die Gewerkschaften holen nichts Geringeres als „ihre Folterwerkzeuge aus der Schublade“, ja, sie wählen „die höchste Eskalationsstufe“.

Spüren Sie auch schon die kalte Waffe im Rücken und den Angstschweiß auf der Stirn, während ohrenbetäubend die Alarmsirenen heulen?

Nun kann es ja mal vorkommen, dass einem als Journalist oder Lobbyist die passenden Metaphern ausgehen. Aber vielleicht sollte man dann lieber ganz auf Äußerungen fürs Publikum verzichten. Was hier jedenfalls angesichts eines Tarifstreits im öffentlichen Diskurs betrieben wird, ist eine plumpe Täter-Opfer-Umkehr.

In der Verantwortung steht nämlich nur eine Seite: die Unternehmen. Unternehmen, die ihrer hart arbeitenden Belegschaft viel zu geringe Löhne auszahlen. Es herrschen Inflation und Energieknappheit. Menschen müssen beim Heizen und beim Einkauf im Supermarkt sparen, obwohl sie arbeiten. Unverschämt ist es, in dieser Situation weiter Niedriggehälter auszuzahlen. Unverschämt ist nicht, wer für seine Arbeit angemessene Bezahlung fordert, um in Würde leben zu können.

Haben diejenigen, die nun mediale Schnappatmung bekommen, sich einmal gefragt, welche körperliche Anstrengung und welche menschliche Verantwortung etwa eine Busfahrerin täglich trägt? Ein Krankenpfleger?

Haben diejenigen, die nun mediale Schnappatmung bekommen, sich einmal gefragt, welche körperliche Anstrengung und welche menschliche Verantwortung etwa eine Busfahrerin täglich trägt? Ein Krankenpfleger?

Der „Monster“-Montag

Denn, ja, das wird in der Berichterstattung häufig ignoriert: Auch Krankenhäuser in Berlin und Brandenburg streiken an diesem heutigen „Monster“-Montag.

Unverschämt ist, dass es sich bei manchen der Unternehmen zudem um solche handelt, die exorbitanten Profit machen. Die Helios-Krankenhäuser etwa fahren Gewinne ein, während die Kliniken nicht ausreichend Personal haben, das zudem unterbezahlt ist. Ähnlich geht es in der Flugbranche zu. Statt angemessene Gehälter daraus zu machen, werden solche Gewinne fröhlich an Ak­tio­nä­r*in­nen ausgezahlt, die für das Erwirtschaften dieses Profits keinen Finger krumm gemacht haben – oder doch, und zwar beim Klicken, als sie die Aktie kauften. Es war sicher sehr anstrengend.

Dass ÖPNV und Bahn wiederum vor allem von öffentlichen Geldern abhängen, mindert die Verantwortung nicht – im Gegenteil. Es sind dies nämlich genau die Sektoren, in die die Politik dringend mehr Geld stecken muss, um die alle betreffende Klimakatastrophe abzufedern. Im Übrigen haben auch bei solchen öffentlich-privaten Unternehmen ein paar Ma­na­ge­r*in­nen schlicht die Taschen viel zu voll. Bahnchef Richard Lutz verdient etwa 900.000 Euro im Jahr.

Absurd bleibt, dass viele Me­di­en­ver­tre­te­r*in­nen die Perspektive von Unternehmensführungen übernehmen, obwohl sie selbst im Normalfall überhaupt nicht zu diesen Superreichen gehören. Stockholm-Syndrom? Die Einbildung, man könne sich durch die diskursive Konformität auch finanziell den Mil­li­ar­dä­r*in­nen annähern? Das Wunschdenken, man zähle selbst zu einer Elite und müsse nur kräftig genug nach unten treten?

Schließt euch zusammen

Was auch immer es ist: Dem liegt ein gewaltiger Irrtum zugrunde. Wer sich nach mehr Wohlstand sehnt, sollte sich schleunigst mit allen anderen Lohnarbeitenden verbünden und um höhere Gehälter kämpfen. Jeder Fünfte in Deutschland arbeitet im Niedriglohnsektor und die meisten anderen sind diesem Niedriglohnsektor deutlich näher als dem Gehalt von Richard Lutz.

Na klar, jetzt kommt natürlich noch das Argument, dass andere Berufssparten doch deutlich schlechter dastehen als diejenigen, die jetzt streiken. Ein schlechtes Argument. Miserable Arbeitsbedingungen, von denen es immer noch erschütterndere Beispiele gibt, sollten für nichts und niemanden ein Maßstab sein.

Was es braucht, sind – sofern und solange es an fairen Bedingungen und verhandlungsfähigen Ar­beit­ge­be­r*in­nen fehlt – noch mehr Streiks, in noch mehr Sektoren.

Was es braucht, ist ein Zusammenschluss der arbeitenden Masse gegen die ungerechte Konzentration von Reichtum in wenigen Händen.

Was es braucht, ist ein Bewusstsein: Gerechte Löhne und Bedingungen wurden immer nur erkämpft und nie verschenkt. Der Weg dahin kann übrigens schön, fröhlich und bestärkend sein – eben voller solidarischer Erfahrungen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.