Die SPD will Erben ärgern

Dem Staat fehlt Geld, etwa für eine solide Kindergrundsicherung. Po­li­ti­ke­r:in­nen der SPD wollen deshalb die Ausnahmen für Firmenerben streichen. Denn das ist die größte aller Steuersubventionen

Wer hat, dem wird gegeben: An dieser Devise soll sich mit dem Schließen von Steuerschlupflöchern ein bisschen was ändern Foto: Erik Irmer

Von Anna Lehmann

Zum Beispiel Mathias Döpfner. Vor gut zwei Jahren schenkte Verlegerin Friede Springer dem Springer-Vorstandsvorsitzenden Unternehmensanteile im Wert von über 1 Milliarde Euro. Davon hätte Döpfner eigentlich mindestens 300 Millionen Euro an den Staat abtreten müssen. Doch bis heute kann der Potsdamer Bürger höchstens einen Bruchteil gezahlt haben. Das Netzwerk Steuergerechtigkeit hat sich die Einnahmen des Landes Brandenburg aus Schenkungs- und Erbschaftsteuer seit 2020 angeschaut. Die lagen wesentlich niedriger.

Döpfner wandte einen Trick an. Kurz vor dem Milliardengeschenk kaufte er im Wert von 276 Millionen Euro Aktien am Springer-Konzern. Etwa die Summe, die er an den Fiskus hätte zahlen müssen. Denn es gilt: Bei großen Vermögen ab 26 Millionen Euro müssen die Begünstigten keine Steuern zahlen, wenn sie bedürftig sind. Dazu müssen sie nur nachweisen, dass sie kein privates Vermögen haben, um ihre Steuerschuld zu begleichen. Aktienanteile in großem Umfang gelten als Betriebsvermögen und werden geschont. Wer, wie Döpfner, Privatvermögen also rechtzeitig in Betriebsvermögen umwandelt, muss nichts abgeben. Und zwar völlig legal.

Weil sie diese und andere Schlupflöcher nutzen, können gerade die Erben und Beschenkten großer Vermögen jedes Jahr Milliardensummen am Staat vorbeischleusen. Von den rund 400 Milliarden Euro, die hierzulande pro Jahr vererbt oder verschenkt werden, erhält die Allgemeinheit nur einen Bruchteil. „Die Ausnahmen für Firmenerben bei der Erbschaftsteuer sind die größte aller Steuersubventionen“, sagt Julia Jirmann vom Netzwerk Steuergerechtigkeit. Laut Subventionsbericht der Bundesregierung entgehen dem Staat dadurch mindestens 5 Mil­liar­den Euro pro Jahr.

Geld das aktuell fehlt, etwa für eine Grundsicherung, die Kinder vor Armut schützt. Familienministerin Lisa Paus (Grüne), die die Kindergrundsicherung umsetzen soll, hat diese Woche Alarm geschlagen. „Die Zeit rennt“, sagte sie dem Deutschlandfunk. Wenn die Kindergrundsicherung 2025 eingeführt werden soll, müsse man jetzt drüber reden. Der Grund für Paus’ Panik: Finanzminister Christian Lindner blockt ab. Die FDP hält die Pläne von Paus für zu teuer. Denn schon der Haushalt fürs kommende Jahr ist überbucht – noch ganz ohne Kindergrundsicherung.

Paus hatte sich bei ihrem Parteikollegen, dem grünen Vizekanzler Robert Habeck, beschwert. Der schrieb dem „Kollegen Lindner“ am Valentinstag einen Brief und erinnerte ihn an wichtige Projekte aus dem Koalitionsvertrag. Er schlug Lindner auch vor, darüber zu beraten, wie man die Einnahmen des Staates verbessern könne. Lindner antwortete, diese Anregung wolle er nicht aufgreifen.

Bei den Koalitionsverhandlungen hatten sich die Liberalen mit der Forderung durchgesetzt, dass die Ampel keine Steuern erhöht. Doch nicht nur Habeck, auch die SPD würden gern nochmal über Staatseinnahmen, sprich Steuern für Reiche und Krisengewinner, reden. Sie halten den Koalitionsvertrag durch den Krieg in der Ukrai­ne und dessen Folgen in diesem Punkt für überarbeitungsbedürftig. Der Parteivorstand setzte zu Jahresbeginn eine Kommission „Steuern und Finanzen“ ein. Ein Dutzend Ge­nos­s:in­nen aus Bund und Ländern bis ins Kanzleramt soll bis zum Parteitag im Dezember ein Konzept für ein „solide und vor allem gerechte Finanzierung von Krisenkosten und Zukunftsinvestitionen“ erarbeiten.

Mit dabei im Arbeitskreis ist auch der finanzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Michael Schrodi. „Wenn man über den Abbau von Subventionen spricht, dann kommt man an der größten Steuersubvention in Deutschland, der Privilegierung größter Betriebsvermögen in der Erbschaftsteuer, sicher nicht vorbei“, meint Schrodi. Auf weitere Instrumente wolle er sich derzeit nicht festlegen, aber der Kasten sei ja überschaubar.

Die Parlamentarische Linke der SPD hat schon mal vorgearbeitet. Ende vergangenen Jahres verschickte sie intern ein Konzept für eine solidarische Finanz- und Steuerpolitik in der Zeitenwende. Darin findet sich neben einer Vermögensteuer oder einer Vermögensabgabe auch die Idee, die Erbschaftsteuer zu reformieren. Schon im Wahlprogramm hatte die SPD versprochen, die Überprivilegierung großer Betriebsvermögen abzuschaffen, das aber in den Koalitionsverhandlungen ad acta gelegt.

Nun hat auch ein Trio aus der Fraktion erneut Anlauf genommen: Tim Klüssendorf, Berichterstatter für Erbschaft- und Vermögensteuer, Armand Zorn und Parsa Marvi, beide Mitglieder des Finanzausschusses. Nur Klüssendorf gehört zur Parlamentarischen Linken, Zorn ist Mitglied der Netzwerker und Marvi im Seeheimer Kreis, den Konservativen im SPD-Spektrum. Alle drei verbindet, dass sie neu im Bundestag sind und eine Reform der Erbschaftsteuer für dringend geboten halten.

Kurz vor dem Jahreswechsel machten sie ihr Papier „Fair erben“ öffentlich. Dass die ganz großen Vermögen praktisch steuerfrei weitergegeben werden könnten, sei ungerecht, argumentieren sie. Es leiste der gravierenden Ungleichverteilung von Vermögen Vorschub, gefährde den sozialen Zusammenhalt und die wirtschaftliche Resilienz.

Tatsächlich ist Vermögen in Deutschland extrem ungleich verteilt. Auf einer Skala von 1 – einer Person gehört alles – bis 0 – allen gehört alles – liegt Deutschland bei 0,8. Dieser sogenannte Gini-Koeffizient, der die Vermögensverteilung misst, liegt im Kreis der westlichen Industrieländer nur in Schweden und den USA noch höher. „Erbschaften spielen die Hauptrolle, wenn es um extreme und wachsende Vermögensungleichheit geht“, sagte die Ungleichheitsforscherin Martyna Linartas auf einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung im November. Mehr als die Hälfte der Privatvermögen werde nicht mehr selbst erarbeitet, sondern vererbt oder verschenkt. „Deutschland ist eine Erben- und keine Leistungsgesellschaft.“

Um für mehr Gerechtigkeit zu sorgen, schlagen die drei SPD-Bundestagsabgeordneten vor, die Vergünstigungen für große Unternehmenserbschaften weitestgehend aufzuheben. Dazu zählt Döpfners Trick. Aber auch die Möglichkeit, das Betriebsvermögen in eine Stiftung umzuwandeln. Egal wie reich die Begünstigten sind – eine Stiftung gilt im Sinne des Steuerrechts als bedürftig. „Der Trend geht gerade in Richtung Stiftung“, berichtet Jirmann vom Netzwerk Steuergerechtigkeit, die sich Vermeidungsstrategien der letzten zehn Jahre angeschaut hat.

Mehr als die Hälfte der Privatvermögen wird nicht mehr selbst erarbeitet, sondern vererbt oder verschenkt

Die Schlupflöcher sind also bekannt, sie zu schließen wäre kein Hexenwerk. Zumal das Bundesverfassungsgericht schon 2014 geurteilt hatte, dass die Ausnahmen für Firmenerben zu weitreichend seien und gegen den Gleichheitsgrundsatz verstießen.

Auch deshalb entschloss sich die damalige Große Koalition zu einer Reform der Erbschaftsteuer – die das Problem allerdings verschlimmbesserte. Es fehlte der politische Wille fürs Kräftemessen mit den Firmenerben. Und heute, bei der Ampel? Die Grünen müssen nicht überzeugt werden. Wohl aber die FDP. Das SPD-Trio aus der Fraktion setzt vor allem auf Argumente. Bei der Erbschaftsteuer gehe es nicht um Erhöhung, sondern darum, Schlupflöcher schließen. Und Arbeitsplätze seien durch eine Reform nicht gefährdet. „Wir müssen wegkommen von falschen Erzählungen“, sagt SPD-Mann Armand Zorn. „Niemand will Familienunternehmen und den Mittelstand kaputt machen.“ Er und seine beiden Frak­tions­kollegen können sich sogar vorstellen, Freibeträge für Betriebsvermögen zu erhöhen und den Firmen die Möglichkeiten zu geben, ihre Steuerschuld über einen langen Zeitraum abzuzahlen.

Man wüsste gern, was die Firmen­erben von der aktuellen Diskussion halten. Doch auf taz-Anfrage teilte der Verband der Familienunternehmer mit, es sei nicht gelungen, einen geeigneten Ansprechpartner zu finden

Man hält sich bedeckt. Noch. Aber das kann sich ändern, wenn die Debatte Fahrt aufnimmt.