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Degrowth GegenargumentUmbauen statt schrumpfen

Gastkommentar von Karl-Martin Hentschel

Klimaschutz ist ohne Wachstum nicht möglich: Eine Auseinandersetzung mit den Degrowth-Thesen aus Ulrike Herrmanns aktuellem Buch.

Beim Kriegswirtschaftsmodell werden bestimmte Güter rationiert – wie etwa Fleisch Foto: Philipp von Ditfurth

D ie taz-Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann hat mit ihrem neuen Bestseller eine wichtige strategische Debatte angestoßen. Doch kann man bei der Analyse, wie Deutschland so schnell wie möglich klimaneutral werden kann, auch zu völlig anderen Ergebnissen gelangen.

Herrmann hält es für entscheidend, das Wachstum zu stoppen. Sie will das Bruttoinlandsprodukt drastisch reduzieren: Wenn die Menschen nur noch halb so viel arbeiteten, fehle ihnen das Geld, um neues Wachstum anzuschieben. Daher sei es konsequent, dass die Degrowth-Bewegung die kommerzielle Lohnarbeit halbieren will. Herrmann argumentiert weiter, dass die erneuerbaren Energien und die Rohstoffe nicht reichen und dass „grünes Wachstum“ nicht funktionieren kann, da der Rebound-Effekt dazu führt, dass alle Einsparungen an Energie und Emissionen durch das Wachstum wieder aufgefressen werden. Da aber der Kapitalismus auf Wachstum angewiesen ist, fürchtet die Autorin, dass Degrowth zu einer Weltwirtschaftskrise führt. Deshalb schlägt sie als Weg aus dem Kapitalismus das Modell der Kriegswirtschaft in Großbritannien im Zweiten Weltkrieg vor.

Dieser Vorschlag findet erstaunlich viel Zustimmung. Aber erstens wird das, was Herrmann vorschlägt, nicht ausreichen, um die Klimaerwärmung zu stoppen. Und zweitens kann diese Strategie ökonomisch nicht funktionieren. Drittens aber kann das Beispiel Großbritannien trotzdem sehr hilfreich sein.

Zum Ersten: Die Treibhausgas-Emissionen zu halbieren ist viel zu wenig. Nach unseren Rechnungen sollte Deutschland bis 2030 sie um 80 Prozent reduzieren und spätestens 2038 klimaneutral sein. Um das zu erreichen, sollte schon 2035 die Energie zu 100 Prozent erneuerbar erzeugt werden. Das ist möglich. Anders als Ulrike Herrmann behauptet, sind alle damit verbundenen Probleme seit Jahren in umfangreichen Studien analysiert und gelöst worden – von der Stromerzeugung, dem Leitungsbau, dem Import grüner Rohstoffe bis hin zu den Speichern für Strom und Wasserstoff, um auch im Fall einer längeren kalten Dunkelflaute die Stromversorgung zu sichern. Weiter sollten bis 2040 mindestens 80 Prozent der Häuser wärmetechnisch saniert oder sogar zu Nullemissionshäusern gemacht werden. Auch die Rohstofffragen sind ausführlich untersucht worden. Im „Handbuch Klimaschutz“ kommen wir zu dem Ergebnis, dass die Importe von Roh- und Brennstoffen um rund 80 Prozent bis 2040 zurückgehen können. Entscheidend dafür ist der konsequente Übergang zur Recyclingwirtschaft. Weiter rechnen wir mit einer Verdreifachung des Bahnverkehrs, des öffentlichen Nahverkehrs sowie des Fahrradverkehrs.

Auch wenn wir den Energie- und Rohstoffverbrauch drastisch senken, wird das Bruttoinlandsprodukt wachsen

Zum Zweiten: Degrowth kann auch ökonomisch nicht funktionieren. Da heute nur noch 20 Prozent der Beschäftigten in der Produktion tätig sind, würde die Zahl der Arbeitsplätze selbst dann nicht wesentlich zurückgehen, wenn die Produktion von Waren und zugleich die Zahl der Geschäfte halbiert würden. Mehr als die Hälfte der Menschen arbeitet bereits in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Pflege, Kinderbetreuung und anderen Dienstleistungen. Dort werden in den kommenden Jahren noch viele neue Arbeitsplätze benötigt. Auch beim Umbau zu einer klimagerechten Gesellschaft werden Millionen neuer Arbeitsplätze entstehen: Die Sanierung der Häuser, der Ausbau der erneuerbaren Energien, der Umbau der Städte, der Ausbau von Bahnen und Stadtbahnen, die Umstellung auf ökologische Landwirtschaft, Renaturierung von Wäldern und Mooren – das alles erfordert viel Arbeit und Arbeitskräfte.

Ökonomisch bedeutet das: Auch wenn wir die Emissionen von Klimagasen auf fast null reduzieren, den Rohstoffbedarf um 80 Prozent senken und den Energieverbrauch halbieren, wird das Bruttoinlandsprodukt wachsen – wie es auch heute schon wächst, wenn wir Naturschutzgebiete ausweisen oder neue Kran­ken­pfle­ge­r*in­nen einstellen – also scheinbar „unproduktive“ Bereiche ausweiten.

Auch wenn Ulrike Herrmann hier irrt, so ist trotzdem gerade der dritte Teil ihres Buchs inspirierend, in dem sie vorschlägt, die Kriegswirtschaft in Großbritannien im Zweiten Weltkrieg als Blaupause für die Klimapolitik zu nehmen. Zur Steuerung dieser Politik wurde damals das Bruttoinlandsprodukt (BIP) erfunden. Da Arbeitskräfte knapp waren, wurde das „Manpower Budget“ zum zentralen Steuerungsinstrument. Auch der Konsum wurde strikt geregelt: Milch und Eier nur für Kinder, Schwangere und stillende Mütter; Fleisch, Käse, Fett, Zucker, Tee und Seife wurden pro Kopf rationiert. Erstaunlicherweise war das System sehr beliebt, weil alle das Gleiche bekamen und die Unterschicht besser versorgt war als in Friedenszeiten.

Nun werden wir hoffentlich nicht so viel rationieren müssen. Trotzdem lässt sich daraus einiges für heute lernen: Um den gewaltigen Umbau zu schaffen, braucht es staatliche Planung und klare gesetzliche Regelungen. Ob dazu erst der Kapitalismus zu Ende gehen muss, wird sich zeigen. Auf jeden Fall aber wird Klimapolitik nur gelingen, wenn die Menschen fühlen, dass es gerecht zugeht. Und das wird auch die Gesellschaft grundlegend verändern.

Bild: privat
Karl-Martin Hentschel

ist Mitglied im Bundesvorstand des Vereins Mehr Demokratie e. V. Er war von 1996 bis 2009 Abgeordneter im Landtag in Schleswig-Holstein und Fraktionsvorsitzender während der rot-grünen Simonis-Regierung. 2019 erschien sein Buch „Demokratie für morgen“ (UVK Verlag).

Wenn aber heute die Notmaßnahmen für die Transformation immer noch nicht energisch genug in Angriff genommen werden, dann liegt das nicht daran, dass es nicht machbar ist. Es liegt an mangelnder Entschlossenheit großer Teile der Politik. Offensichtlich ist für viele die Not von Klimakrise und Artensterben noch nicht so akut, dass es Mehrheiten im Parlament gibt, die bereit sind, Notstandsmaßnahmen zu ergreifen. Weniger, weil der Kapitalismus noch nicht abgeschafft ist. Sondern weil die Mehrheit im Bundestag noch immer glaubt, freie Fahrt auf Autobahnen und billige Flüge seien wichtiger als das Klima.

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20 Kommentare

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  • Was mich freut: Der Autor hat den "Artenschutz" erwähnt! Der wird sonst immer eher für unwichtiges Beiwerk gehalten - wobei es besser "Biodiversitätsschutz" hieße. Arten zu schützen reicht nämlich nicht aus!

  • Möglicherweise hat er was missverstanden. Insbesondere ist wichtig, auch den Energieverbrauch zu reduzieren weil grüne Energie eben nicht für diese massive Verschwendung zur Verfügung steht, wie wir sie betreiben.

    Und die Energieverschwendung steigt momentan immer noch an - zum Teil eben wegen des Rebound-Effekts gepaart mit dem Green Washing der Industrie. Bsp.: Autoindustrie. Dort wird gelogen, E-Autos seien ja umweltfreundlich, also kommet her, werfet eure alten Autos weg und kauft euch einen E-SUV und alles ist gut.

    Hier muss es ein Degrowth geben. Und die Kriegswirtschaft, die Frau Herrmann vorschlägt - weil sie Planwirtschaft nicht sagen darf weil alle dann sofort unter völligem Verlust ihrer Denkfähigkeit reflexartig NEIN rufen - wäre natürlich die einzige Möglichkeit. Denn wenn man weiter den Raubtierkapitalisten unreguliert alles erlaubt, wird es natürlich nichts. Dazu braucht es eine planvolle Wirtschaft.

    • @Jalella:

      Die Kriegswirtschaft werden wir bekommen wenn wir unseren dummen Krieg gegen Natur und Umwelt fortsetzen, um noch mehr Wohlstand für uns zu erreichen - und dann sind da noch viele Menschen mit Nachholbedarf! Es wird Zeit für den Menschen 2.0. Die Software, die jetzt noch in uns läuft, stammt noch aus der Steinzeit!

    • @Jalella:

      Planwirtschaft, also top-down-Ökonomie, ist ja nicht die einzige Möglichkeit, Dinge zu regulieren und "Raubtierkapitalisten" in die Schranken zu weisen.



      Der alte Gegensatz zwischen "Kapitalismus" und "Sozialismus" ist doch Quatsch.



      Wir brauchen eine Dezentralisierung von ökonomischer Macht, ein Empowerment für die Menschen. So dass jede/r selbst über ihre/seine Arbeitskraft entscheidet, aber auch als Konsument*in eigenverantwortlich handeln kann.

      Da Frau Herrmann am Erwerbszwang festhalten will, werden auch weiterhin Arbeitsplätze um jeden Preis geschaffen werden müssen und damit bleibt der Wachstumszwang bestehen. Außerdem brauchen unglückliche Menschen viel kompensatorischen Frustkonsum.

      Wer den Wachstumszwang aufheben will, muss Erwerbsarbeit und Existenzrecht entkoppeln und den Menschen die Option eröffnen, ein erfülltes Leben ohne SUV, Flugreisen, Fleisch etc. zu führen.



      Außerdem braucht es eine drastische Umverteilung von Reich nach Arm.

      Was es nicht braucht ist eine neue politisch-administrative Elite, die den Menschen vorschreibt, was sie zu konsumieren haben und was nicht.

  • Nein, es liegt nicht an der Politik, es liegt an uns Menschen! Politiker die harte Schritte empfehlen oder durchsetzen wollen, werden von uns schlicht abgewählt!



    Aber sonst interessante Gegenrede.

  • Die Replik überzeugt nicht wirklich.

    De-Growth ist lediglich eine Idee - es wird nicht funktionieren weil 8 Milliarden Menschen es so nicht wollen.

  • 6G
    658526 (Profil gelöscht)

    die natur wird uns zeigen, was wir falsch gemacht haben. das ist sicher. egal obs geglaubt wird oder eben nicht.



    was bilden wir menschen uns ein wer wir sind? wir sind ein teil der natur und nicht umgedreht.....

    immer schoen an die naturgesetze halten!

  • "Zum Zweiten: Degrowth kann auch ökonomisch nicht funktionieren. Da heute nur noch 20 Prozent der Beschäftigten in der Produktion tätig sind"

    Ernsthaft? Ein Strohmannargument auf das man dann selber eindrischt?

    Was hat die Anzahl der Beschäftigten in der Produktion mit dem Ressourcenverbrauch zu tun? Der Erde und Natur ist es herzlich egal ob Menschen oder Maschinen die Rohstoffe verarbeiten. Der Konsum, der eigentlich relevante Faktor, mag in Deutschland, einem reichen, alternden Industrieland stagnierender Natur sein, aber das gilt nicht mal ansatzweise für große Teile der Welt. Oder anders, der weltweite Konsum kennt seit Jahrzehnten nur eine Richtung: mehr. Jegliche Ressourcenschonung durch Innovation wurde dank des Rebound-Effekts und dem wachsenden Konsum schnell wieder kassiert. Und solange der Ressourcenverbrauch weitergeht in dem Maße, muss man Zeug aus der Erde buddeln, Tiere in Massen halten, etc. pp.



    Auch wenn man evtl. alle Energie durch regenerative Methoden gewinnt (welche übrigens auch viele Rohstoffe benötigen).

    Übrigens, ich weiß das erkennen viele, die noch den kapitalistischen Traum leben, nicht an, aber die Frage heutzutage ist gar nicht mehr, ob De-Growth geht oder nicht, sondern ob er menschen-gesteuert kommt oder durch die Umstände erzwungen wird (Umwelt-/Naturkatastrophen und die vielen direkten Folgen dieser, wie Hunger, Obdachlosigkeit, Wassernot, etc. und indirekten Folgen wie Verteilungskriege, Flüchtlingsströme, etc.)

    • @Shasu:

      Ja, genau so ist es. Die Bäume wachsen nicht in den Himmel, weil es die Gravitation gibt. Wenn man diese Kraft umkehren könnte, hätte man ganz andere Möglichkeiten oder Probleme..

  • Kommentar entfernt. Bitte halten Sie sich an die Netiquette.

  • Danke!



    Es ist erfreulich, über diese wichtigen, komplexen Zukunftsthemen fachlich kompetente Kommentare lesen zu können.



    Frau Herrmanns Ausführungen fand ich bisher sehr interessant, kann aber auch dem vorliegenden Artikel Einiges abgewinnen.



    Sehr wohltuend ist die Art der Argumentation.



    Es geht scheinbar noch ohne Unterstellungen, Anfeindungen, Rassismus und Hass.



    Es wäre schön, wenn die Gesellschaft sich wieder mehr auf diese Weise auseinander setzen könnte.

  • Mich überzeugt weder Ulrike Herrmanns Kriegsplanwirtschaft, noch Karl-Martin Hentschels Erzählung vom guten BIP-Wachstum.

    Meines Erachtens müssen wir weniger (erwerbs-)arbeiten, weniger produzieren und konsumieren (v.a. natürlich was materielle, rohstoffintensive Dinge angeht). Auf der anderen Seite muss der Bereich der unbezahlten Arbeit gestärkt werden (Sorgearbeit, Demokratiearbeit, schöpferisch-kreative Arbeit). Dafür braucht es ein Bedingungsloses Grundeinkommen für alle, und zwar so schnell wie möglich weltweit. Unterm Strich gewinnen wir Zeitsouveränität und Lebensqualität und können auf Jobismus (bge-rheinmain.org/jobismus), Extraktivismus, Produktivismus und Konsumismus verzichten.

    Der Schlüssel ist also, das "Wer nicht arbeitet (oder arbeiten will), soll auch nicht essen" außer Kraft zu setzen und jedem Menschen ohne Stigmatisierung und übertriebene Bürokratie die Existenz (und grundlegende gesellschaftliche Teilhabe) zu sichern. Dann können wir endlich aufhören Krieg gegeneinander um angeblich knappe Güter zu führen - und gegen unsere Mitwelt / unsere natürlichen Lebensgrundlagen.

    Ob das BIP dann wächst, stagniert oder schrumpft ist in Wirklichkeit ziemlich egal, wie auch die Frage, ob wir dieses sozioökonomische System dann 'Kapitalimus', 'Sozialismus' oder ganz anders nennen.

    • @Eric Manneschmidt:

      "Dann können wir endlich aufhören Krieg gegeneinander um angeblich knappe Güter zu führen - und gegen unsere Mitwelt / unsere natürlichen Lebensgrundlagen."



      Wenn die natürlichen Lebensgrundlagen nur "angeblich" knapp sind - wo genau liegt dann das Problem?



      Hier geht glaub ich der propagandistische Thesaurus ein wenig zu sehr ins Galopp. Die natürlichen Lebensgrundlagen _sind_ endlich - und damit knapp. Das zu leugnen bringt doch keinen weiter.

      • @Encantado:

        Der Planet oder die natürlichen Lebensgrundlagen sind natürlich letztlich schon knapp.

        Aber die produzierten Güter (davon schrieb ich) sind bei weitem nicht so knapp, dass wir uns darum streiten müssten. Sie reichen hin, dass jeder Mensch gut leben könnte (ohne Krieg und Hunger etc.), wenn sie nur einigermaßen sinnvoll (manche sagen "gerecht") verteilt wären. Und genau darum geht es mir.



        Da ist die Knappheit menschengemacht und wird nur vorgeschützt, um nicht an die Verteilungsfrage rangehen zu müssen und gleichzeitig den Erwerbszwang (für alle, die nicht reich erben oder reich heiraten) aufrecht zu erhalten.

        • @Eric Manneschmidt:

          "Aber die produzierten Güter (davon schrieb ich) sind bei weitem nicht so knapp, dass wir uns darum streiten müssten. Sie reichen hin, dass jeder Mensch gut leben könnte (ohne Krieg und Hunger etc.), wenn sie nur einigermaßen sinnvoll (manche sagen "gerecht") verteilt wären. Und genau darum geht es mir."



          Das sind gleich mehrere große Fässer, die Sie hier aufmachen...



          Ein Kommentar ist eigentlich zu kurz um alles abzuhandeln, deshalb nur ein paar Stichpunkte - suchen Sie sich das raus was Ihnen gefällt damit wir über diese Teile weiterdiskutieren?



          a) Die produzierten Güter sind natürlich knapp. Sie werden hergestellt, _weil_ sie knapp sind und deshalb verkauft werden können.



          Wenn sie sehr knapp sind, werden mehr hergestellt und verkauft. Wenn das nicht geht, ist die Knappheit auch nicht "menschengemacht". Was genau soll in diesem Kontext eigentlich die 'menschengemachte Knappheit' genau sein? Endliche Ressourcen bedeuten endliche Güter.



          b) Die Verteilung einer endlichen Menge Güter (nehmen wir an: eine konstante Menge, das ist bereits optimistisch) auf eine wachsende Bevölkerung stößt schon rein logisch auf Probleme. Das bedeutet, dass jeder Mensch im Laufe der Zeit immer weniger hat. Scheint mir jetzt nicht wirklich tragend.



          c) Verteilungsgerechtigkeit. Ein großes Wort, und so schwierig umzusetzen...



          Wer legt eigentlich fest, wer wieviel wovon bekommt? Wer trägt eigentlich wieviel zur Schaffung des zu Verteilenden bei? Wird letzteres honoriert? Dann wären wir nämlich wieder bei ungleichen Verteilungen.



          d) Gerechtigkeit. Welcher Maßstab gilt in diesem Begriff? An dieser Vokabel haben sich schon viele Denker und Praktiker die Zähne ausgebissen.

          • @Encantado:

            c) und d) "Gerechtigkeit" finde ich auch sehr schwierig, deswegen habe ich das in Klammern gesetzt. Hab darüber mal bei der Piratenpartei philosophiert (www.youtube.com/watch?v=DX_l9M0VFoI ); Kernthese: Lassen wir den Begriff weg und sagen lieber konkret, was wir wollen.

            Wer wieviel bekommt sollten wir per Volksabstimmung festlegen (die Höhe des BGE).



            Wer Dinge schafft, kann durchaus bezahlt werden (muss nicht, kann). Eine vollständige Gleichverteilung halte ich für unrealistisch und auch nicht erstrebenswert.

            b) Die Gütermenge kann durchaus wachsen, die Bevölkerung dagegen hört irgendwann auf zu wachsen.

            a) Das trifft nur auf einen Teil der Güter zu, vieles wird auch unentgeltlich her- bzw. zur Verfügung gestellt (Care, aber auch z.B. Open Software). Man kann Dinge auch herstellen ohne Gewinnabsicht, aus Freude am Schaffen oder weil diese Dinge einfach gebraucht werden. Geht noch besser mit BGE, denn dann hat man mehr Zeit dafür.

            Es ist doch Fakt, dass wir genug Zeug haben, um alle satt zu kriegen. Trotzdem verhungern jedes Jahr mehrere Millionen Menschen. Da verstehe ich ihre Erzählung von der Knappheit nicht...

            • @Eric Manneschmidt:

              "Wer wieviel bekommt sollten wir per Volksabstimmung festlegen (die Höhe des BGE)."



              Derzeit gibt es soweit ich weiß keine Mehrheit für ein solches - ist das Thema damit durch? Eher nicht.



              Ich halte ein BGE nicht unbedingt für die seligmachende Lösung. Und wenn eine (potenzielle) Mehrheit an Leistungsempfängern über das Vermögen der Leistungsgeber abstimmt, ist das Ergebnis erwartbar. Die Reaktion der Leistungsgeber auch. Ich glaube nicht an eine Utopie aus altruistischen Menschen, dazu gibt es zuviele andere.

              "Wer Dinge schafft, kann durchaus bezahlt werden (muss nicht, kann)."



              Dieses Konzept hätte ich gerne näher erläutert. Heißt das nicht im Umkehrschluss, dass Güter (selbst lebensnotwendige) ebenfalls diesem Kann-Vorbehalt unterliegen? Manche Dinge werden eben nur gemacht, wenn man Menschen dafür in irgendeiner Form entlohnt.



              "Eine vollständige Gleichverteilung halte ich für unrealistisch und auch nicht erstrebenswert."



              Da sind wir d'accord. Allerdings stellt sich auch hier dieselbe Frage in abgemilderter Form. Wer bekommt was, wer gibt was? Das Grundproblem des Wirtschaftens, seitdem wir den Garten Eden verlassen haben...



              "Die Gütermenge kann durchaus wachsen, die Bevölkerung dagegen hört irgendwann auf zu wachsen."



              Die Gütermenge wächst also bis ins Unendliche, wohl kaum, siehe knappe Güter. Das weltweite Bevölkerungswachstum hingegen wirkt auf mich bislang eher ungebremst... wann ist irgendwann?



              "Man kann Dinge auch herstellen ohne Gewinnabsicht, aus Freude am Schaffen oder weil diese Dinge einfach gebraucht werden. Geht noch besser mit BGE, denn dann hat man mehr Zeit dafür."



              Stimmt. Sobald allerdings neben der einzubringenden Zeit weitere Ressourcen erforderlich werden, fragt man sich wer das bezahlen soll. Zum "weil es gebraucht wird/notwendig ist" verweise ich einfach auf die Frage, wer in der WG eigentlich so den Abwasch erledigt... darauf läuft es dann nämlich hinaus. Unangenehme Dinge machen selbsternannten Schöngeister nämlich eher ungern.

              • @Encantado:

                1. "Derzeit gibt es soweit ich weiß keine Mehrheit für ein solches [das BGE] - ist das Thema damit durch? Eher nicht."

                In Umfragen gibt es schon manchmal eine Mehrheit. Aber Umfragen sind natürlich mit Vorsicht zu genießen...

                2. Leistungsgeber vs. Leistungsempfänger (Altruismus):



                In der arbeitsteiligen Gesellschaft lässt sich Leistung nicht mehr klar einer Person zuordnen. Viele "Leistungsträger" werden heute schon gar nicht oder kaum bezahlt, insbesondere in den Bereichen Sorgearbeit, Demokratiearbeit, schöpferisch-kreative Arbeit. Vielleicht meinen Sie das nicht, aber das Konzept der FDP von "Leistungsträgern" - diejenigen, die viel Geld mit Erwerbsarbeit verdienen - ist Quatsch.

                Das BGE sichert nur ein Existenz- und Teilhabeminimum. Darüber hinaus (und mehr als heute) kann es durchaus "Leistungsgerechtigkeit" geben (wieder so ein Wort...). Wer mehr erwerbsarbeitet, kriegt auch mehr Geld (was ja heute nicht unbedingt so ist, jedenfalls im Niedrigeinkommensbereich, weil Einkommen auf Sozialtransfers angerechnet wird). Daher ist das BGE nicht auf altruistische Menschen angewiesen um zu funktionieren. (Allerdings haben es Altruisten mit BGE viel leichter als heute.)

                3. Das Wachstum der Gütermenge:



                Es gibt eben auch immaterielle Güter, die sind, soweit ich das sehe, den planetaren Grenzen nicht unterworfen, oder?



                Nach meinem Kenntnisstand gehen Forscher davon aus, dass das Bevölkerungswachstum abnimmt. Wenn es ein weltweites BGE gibt, fällt auch die Motivation weg, für die eigene Altersicherung möglichst viele Kinder zu bekommen.

                4. Der Abwasch



                Es bleibt uns ja gar nichts anderes übrig, als (weiterhin) darauf zu setzen, dass Menschen das Nötige erledigen. Zwingen kann man sie auf Dauer nicht - und wer sollte dann auch entscheiden, wer welche Arbeit machen muss?

  • Weitgehende Zustimmung. Es ist schon witzig, wie Kritiker der freiheitlichen Wirtschaftsweise dieser irgenwelche Eigenschaften andichten (z.B. "Kapitalismus kann nicht ohne Wachstum funktionieren"), um das dann als "Beweis" ihrer Kapitalismuskritik heranzuziehen.

    Allerdings wird die Umstellung auf klimaschonende Produktions- und Lebensweise häufig eben doch mit Schrumpfung des BSP verbunden sein. Beispielsweise bindet die Sanierung von Häusern Arbeitsplätze, vermehrt aber nicht die Wohnfläche. Soweit die Sanierungskosten auf die Mieten umgelegt werden können, ergibt das einen Preiseffekt, der bei Berechnung des realen BSP den Einkommenseffekt bei den Bauarbeitern ausgleicht. Die können aber nicht zugleich woanders arbeiten, also doch Schrumpfung.

    Die Schrumpfung ist dann aber ein Effekt, nicht das angestrebte Ziel.

    • @meerwind7:

      "Allerdings wird die Umstellung auf klimaschonende Produktions- und Lebensweise häufig eben doch mit Schrumpfung des BSP verbunden sein."



      Nicht zwangsläufig. Als Wert der Endprodukte und Dienstleistungen ist das lediglich eine Frage der Berechnung. Insofern ist die Heranziehung dieser Kennzahl nicht das, worum es eigentlich geht: der Wohlstand der betroffenen Menschen. Rauf- und runterrechnen lässt sich vieles. Aber was bedeutet das konkret im Alltag?



      "Die Schrumpfung ist dann aber ein Effekt, nicht das angestrebte Ziel."



      Wenn dabei eine Schrumpfung zwar nicht Ziel ist, aber doch hingenommen wird (vorzugsweise in der Regel, wenn es andere betrifft), sollte man sich auf Widerstände einstellen.