Das Wirtschaftswachstum und ich: Konsum ist keine Lösung

Wohlstand geht nur durch Wirtschaftswachstum: Das ist eine Milchmännchenrechnung, mit der ich mich gar nicht wohl fühle. Wir sollten das System ändern.

Müll liegt am Wiesenrand und auf dem Weg um einen überquellenden Mülleimer an der Alsterwiese Schwanenwik in Hamburg-Hohenfelde.

Konsum macht Müll – hier an der Alsterwiese Schwanenwik in Hamburg Foto: dpa | Georg Wendt

Manches verstehe ich einfach nicht. Zum Beispiel, wie diese unfassbar vielen unterschiedlichen Lebensformen in der Natur nur durch Mutation und Selektion entstehen konnten. Oder warum mein Drucker immer genau dann, wenn ich es eilig habe, minutenlang herumrödelt und seltsame Geräusche macht, bevor er mir ein Blatt bedruckt. Aber ich hinterfrage diese Dinge nicht mehr, ich staune nur noch.

Etwas schwerer fällt mir das bei anderen mysteriösen Phänomenen, zum Beispiel unserer Gläubigkeit an Heilsbringung durch Wirtschaftswachstum – also durch Konsum. Auf einem Planeten mit gleichbleibender Größe kann nun mal nichts unendlich wachsen. Wer behauptet, die Wirtschaft oder eine Bohnenranke könnten das, erzählt Märchen. Eigentlich wissen wir das ja, aber weil wir gerade keine Alternative kennen, machen wir so weiter und zerstören unsere Lebensgrundlage.

Bei der apokalyptischen Rhetorik, mit der vom Absturz in die Konjunkturkrise berichtet wird, wundere ich mich, dass man noch nicht von der Konjunkturkatastrophe spricht. Um sich nebenbei um Banales wie den Klimawandel kümmern zu können, muss erst mal die Wirtschaft boomen, sonst gibt es angeblich kein Geld und auch nicht die Innovationen, die wir benötigen, um die Erde zu retten. Funfact: Die Kosten, die wir aufwenden müssen, um Umweltkatastrophen zu bekämpfen, steigern unser Bruttoinlandsprodukt sogar noch – und somit vermeintlich auch unseren Wohlstand. Das ist krank!

Dabei gibt es so viele Menschen, die Sehnsucht nach einer ganz anderen Form von Lebensqualität haben, mit mehr Natur, Gemeinschaft und Sinn anstelle von materiellem Konsum. Vielleicht sind Tauschregale, Repair-Cafés und Nachbarschafts­koope­ra­tiven schon eine Form von Wider­stand.

„Erst mal haben!“ Gegen dieses kleinkindliche (wahrscheinlich urmenschliche) Gefühl muss ich ständig ankämpfen

Ich persönlich verabscheue „Shopping“, bin aber leider weit davon entfernt, weniger Dinge zu besitzen. Was ich noch mal brauchen könnte, bewahre ich auf, und aus dem Rest will ich irgendwann Kunst machen.

Einmal, bei einem Frühstück mit einer Freundin, bevorratete sich ihr zweijähriger Sohn mit einem Berg Brötchen. Auf die Frage, ob er die alle essen wolle, antwortete er trocken: „Erst mal haben!“ Genau gegen dieses kleinkindliche (wahrscheinlich urmenschliche) Gefühl muss ich ständig ankämpfen. Zum Beispiel beim Kleidertausch oder wenn ich Treibholz sammele oder Obst einkoche. Nach „neuen“ Dingen gelüstet es mich zum Glück selten.

Ich habe mehr Freude an einem guten Sperrmüllfund ­– zum Leidwesen meines Mannes. Aber auch ihn könnte ein gekaufter Steinpilz nie so glücklich machen wie ein gefundener. Ihn erfüllt auch jede Benutzung unseres Kaffeevollautomaten mit dem stolzen Gefühl, dem Scheißkonzern (der sich zwei Monate nach Ablauf der Garantie weigerte, ihn zu reparieren) ganz persönlich eins ausgewischt zu haben, indem er ihn seitdem in stundenlanger Tüftelarbeit immer wieder selbst in Ordnung bringt. Nie wieder wird Matthias so ein Ding kaufen, dann lieber Filterkaffee!

Wenn man allerdings hört, welche Auswirkungen eine Rezession gerade auf die Geringverdiener hat – sollte man wohl beim Konsumverzicht ein schlechtes Gewissen haben. Ich gehe freiwillig im Rotkreuz-Laden einkaufen und fühle mich dabei noch besonders nachhaltig. Aber meine Freundin, die über 20 Jahre von der Grundsicherung leben musste, fühlt sich dort beschämt und entwürdigt.

Man müsste eben doch das System ändern. Anstelle des Wirtschaftswachstums könnten wir beispielsweise „Mutter Erde“ anbeten, oder von mir aus auch meinen alten Tintenstrahldrucker, nur bitte nicht immer weiter so.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Geboren 1973 in Hamburg. Seit sie Kinder hat schreibt die Bilderbuchillustratorin hauptsächlich Einkaufszettel und Kolumnen. Unter dem Titel „Die schwer mehrfach normale Familie“ erzählt sie in der taz von Ihrem Alltag mit einem behinderten und einem unbehinderten Kind. Im Verlag Freies Geistesleben erschienen von ihr die Kolumnensammlungen „Willis Welt“ und „Wo ein Willi ist, ist auch ein Weg“. Ihr neuestes Buch ist das Kindersachbuch „Wie krank ist das denn?!“, toll auch für alle Erwachsenen, die gern mal von anderen ätzenden Krankheiten lesen möchten, als immer nur Corona. Birte Müller ist engagierte Netzpassivistin, darum erfahren Sie nur wenig mehr über sie auf ihrer veralteten Website: www.illuland.de

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.