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Betrug bei der SchulanmeldungWenn Eltern jedes Mittel recht ist

Friederike Gräff
Kommentar von Friederike Gräff

In Hamburg melden sich etliche bildungsaffine Eltern zum Schein um, damit ihr Kind auf die gewünschte Schule kommt. Das ist eine Bankrotterklärung.

Bitte melden, wessen Eltern den Schulplatz erschlichen haben: Schü­le­r:in­nen in Hamburg Foto: Daniel Reinhardt/ dpa

K ürzlich erzählte mir ein Bekannter – Lehrer übrigens –, dass ihn eine Freundin gefragt habe, ob sie sich zum Schein bei ihm anmelden könne. Ihr Kind soll nämlich auf das Gymnasium gehen, in dessen Nähe der Bekannte wohnt – nicht aber das Kind. Da aber die Schulplätze in Hamburg nach Wohnortnähe verteilt werden, will die Mutter auf Nummer sicher gehen.

Schulanmeldezeit ist Scheinanmeldezeit, und die Hamburger Schulbehörde versucht nicht mal, das Ganze als Einzelfallproblem kleinzureden. Es gibt zwar wenig aufgedeckte Fälle – pro Jahr im einstelligen Bereich –, aber die Dunkelziffer ist „als sehr hoch einzuschätzen“, schreibt der Behördensprecher auf Anfrage. Und weiter: Man geht davon aus, „dass gerade die besonders stark angewählten Schulen mutmaßlich regelmäßig und alle von Scheinummeldungen betroffen sind“.

So klingt Resignation. Gemischt ist der Ton mit Zorn oder vielleicht auch Galgenhumor, wenn der Sprecher darauf verweist, dass es auch Eltern gebe, die eine Zweitwohnung im Einzugsbereich der Wunschschule kaufen – fertig ist die Laube.

Aber das Tricksen ist keineswegs eine Strategie der Reichen, dazu ist es schlicht gesprochen zu häufig. Die Scheinummelder:innen, die ich persönlich kenne, sind nicht reich, sondern gehobene ­Mittelschicht. Sie sprechen sich in der Theorie für die weniger elitäre Stadtteilschule aus und schicken in der Praxis ihre Kinder aufs Gymnasium.

Die elterliche Furcht wächst ins Unermessliche

Ich bin nicht in der Position, Steine auf besorgte Eltern zu werfen, ich bin selbst besorgtes Elternteil. Steine werfe ich aber auf diejenigen, für die der Betrug lediglich ein weiteres Instrument im Werkzeugkasten zur Förderung des Kindes ist. Es ist sonderbar: Warum wächst die elterliche Furcht um die Zukunft der heutigen Kinder ins Unermessliche? Es ist doch die kommende Generation, der die Demografie­ so goldene Brücken baut, dass es wirklich schwierig für sie wird, beruflich zu scheitern.

„Mein Kind soll die Mängel des Systems nicht ausbaden“, sagen die bildungsaffinen ­Eltern unisono – und das ist nachvollziehbar. Indem sie sich dem System entziehen, betonieren sie es allerdings, denn vor was sie fliehen, ist in der Regel eine bildungsfern aufgewachsene Mitschüler:innenschaft.

Das Ergebnis ist eine sich selbst erfüllende Prophezeiung und ein immer polareres System: hier die mutmaßlich guten, dort die mutmaßlich schlechten Schulen. Hinzu kommt, dass die Sorge ums Fortkommen des Kindes immer früher beginnt: Schon die Wahl des Kindergartens nimmt tragische Ausmaße an – da darf bei der Schulwahl erst recht nichts schiefgehen.

Den meisten Schei­num­mel­de­r:in­nen gibt der Erfolg recht. Die wenigsten fliegen auf – dann müssen es allerdings ihre Kinder ausbaden, die von der Schule fliegen. Vorher müssen alle ihren Kindern erklären, warum sie plötzlich eine neue Adresse haben und dass sich die Eltern nicht wirklich getrennt haben.

Wer sich dabei nicht nur smart, sondern auch vage unbehaglich fühlt, könnte dem Gefühl weiter nachgehen: Vielleicht liegt dort die Grenze des darwinistischen Kampfs ums Bildungswohl? Es gibt keine einfache Antwort auf die Frage nach den Alternativen. Aber Betrug als elterliche Fürsorgetechnik zu etablieren, kann es nicht sein.

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Friederike Gräff
Redakteurin taz nord
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33 Kommentare

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  • Dass der Volksentscheid vor vielen Jahren, bei dem es um die ging, die nicht abgestimmt haben, nicht erwähnt wird, ist journalistische Nachlässigkeit. Nachlässigkeit ist wenig attraktiv, mit vielen Problemen, z.B. den hier geschilderten.

    • @Sarg Kuss Möder:

      Das war ja nicht das Thema, sondern es ging um Eltern, die sich unter einer 'falschen' Adresse anmelden, um ihre Kinder auf eine bestimmte Schule, ein bestimmtes Gymnasium anzumelden. Dann ging es um Motive dieser Eltern, insofern verstehe ich Ihre Behauptung mit der Nachlässigkeit nicht. In den Kommentaren geht es wohl eher darum, dass dieses Schulsystem kritisch bewertet wird und damit sicherlich auch um den Volksentscheid, wobei die Politiker daran nicht gebunden ist, siehe Krankenhäuser.

  • Das Problem ist einfach zu lösen: In Polen gibt es perspektywy.pl, ein allpolnisches Ranking der weiterführenden Schulen, das nach bestimmten Kriterien erhoben wird: Erfolg in den Pflichtfächern der Abschlussprüfungen, Erfolg in weiteren Fächern der Abschlussprüfungen, Erfolg in polenweiten Wettbewerben (Olympiaden). Schuleinzugsbereiche bestehen gar nicht. Eltern können also frei wählen, auf welche weiterführende Schule ihr Kind geht. In dem Ranking oben stehende Schulen können sich ihre Schüler wegen der vielen Bewerbungen auswählen. Schulen, die dort weit unten stehen, drohen wegen mangelnder Bewerbungen geschlossen zu werden. Guter Nebeneffekt: Alle Schulen geben sich Mühe, guten Unterricht zu erteilen, um in dem Ranking weit oben zu stehen. Von Polen lernen heißt siegen lernen!

    • @knackwurst:

      Ich glaube, dass dies kein Vorbild sein kann, weil es ja immer nur 10 oder 20 Top-Schulen geben kann. In so einem System wären immer ein Drittel der Schulen absolut mies. Übrigens bewertet die Schulbehörde schon, wie die Schüler sind und was sie können, dafür gibt es Extra-Förderung und Unterstützung, nur sind die Wirkungen dieser Zuwendungen sehr begrenzt. Es ist nicht so, dass es in Hamburg keine Rankings gibt, es gibt sogar Stadtteilschulen, die eine sehr gute Oberstufe haben.

  • Ich habe Kinder auf einer Stadtteilschule. Das ist der Kontrastpunkt zu den Gymnasien und den Adressenschwinderlnnen.

    Die sorgen dafür, dass in Hamburg die Kinder der Stadtteilschulen tief nach unten sacken, drlbdz wenn sie Abitur machen, dann fallen sie in den Unis nah Hinten.

    Der Punkt ist, in Hamburg wird Schulpolitik für 30 Prozent der Eltern gemacht, der Rest ist egal, der Rest lernt eines: Prügle Dich, kämpfe, meide kriminelle, gestörte und desintegrierte Menschen, auch wenn Du Jahre mit denen in der Schule bist / warst.

    Bei den eigenen Kindern enden die politischen Überzeugungen, zeigen die Menschen, wo sie stehen, was sie sich für ihre Kinder wünschen.

    Wäre es nicht so, wäre das Stadtteilschulsystem nicht so eine Resterampe für schwache Kinder und Jugendliche.

    Und wer wollte Stadtteilschulen und elitäre Gymnasien?

    Das waren Grüne und CDU.

    Da die SPD das nicht ändert, wahrscheinlich gar nichts ändert, bleibt es dabei, wer sein Kind auf eine Stadtteilschule schickt / schicken muss, der geht ins Risiko und der hat politisch kaum noch Freunde oder Lobby.

    Die Politik wird nichts ändern und solange es elitären Eltern leicht fällt das System zu täuschen und vor allem auch sich selbst auch, wird es auf dem Gymnasium um die Mittelschicht von Morgen und bei der Stadtteilschule um die Unterschicht von morgen gehen.

    Dazu muss man wissen, dass die Stadtteilschulen immer wieder die gescheiterten Kinder und Jugendlichen aus den Gymnasien aufnehmen müssen. Die kommen dann mit dummen Sprüchen und teurer Kleidung und versuchen die idiotischen Ansprüche ihrer Eltern weiter aufrecht zuerhalten. Ein Gewinn sind die meist nicht, weil falsch sozialisiert, deren Eltern eher eine Herausforderung.

    Ich bin für eine Schule für alle, für die Abschaffung aller Gymnasien.

    In Dänemark gibt es das, dort ist die Wirtschaft nicht nach Unten gegangen - umgekehrt. Und unzufrieden sind dänische Eltern auch nicht.

    Hier sind gefühlt alle unzufrieden.

    • 0G
      04405 (Profil gelöscht)
      @Andreas_2020:

      ich würde gerne noch ergänzen: Stadteilschulen sind von vornherein das falsche Mittel. Kinder aller Schichten zusammenzuführen, wie u.A. in Skandinavien Praxis, ist der beste Weg um sprachliche Probleme und große Lernunterschiede zu bekämpfen.

      Die Stadteilschule macht genau das Gegenteil: Da die Postleitzahl ein super Hinweis auf den sozioökonomischen Status ist, sortieren die Stadtteilschulen die Gewinner- und Verliererkinder zusammen. Egal wie viel Herzblut und Einsatz die Lehrkräfte investieren, auffangen können die das niemals.

    • @Andreas_2020:

      Im Volksentscheid wurde damals gegen Gemeinschaftsschulen entschieden.

      • @Michael Drewitz:

        Schulpolitik ist das Kerngeschäft eines Bundeslandes, die könnten anders, wenn sie wollten. Leider finden sich immer wieder einflussreiche Kreise, die jede positive Änderung verhindern. Inzwischen fehlen in Hamburg Schulabgänger, die wirklich ausbildungsplatzfähig sind. Trotzdem bleibt alles gleich, wird eine 'Elite' auf Kosten des Rests gezüchtet. Es gab auch einen Volksentscheid gegen die Privatisierung der Krankenhäuser, das wurde ignoriert, heute hat Hamburg einen Monopolanbieter. Damit würde ich nicht argumentieren.

  • Danke für die Schilderung. Ist nachvollziehbar.



    Es soll verdeutlicht werden, dass die Kontrolle erstaunlicherweise keine Rolle bei der Hamburger Schulbehörde spielt, die sich sonst bürokratisch bis ins letzte Karo in den Unterricht einmischt. Ein Phänomen, das nach einer Erklärung verlangt.

    Wenn viele Eltern ihre Ellenbogen ausfahren, ohne dass das bekannt wird und öffentlich thematisiert wird, stimmt etwas grundsätzlich im Hamburger Schulsystem und am Sozialverhalten etlicher Eltern nicht!

    Ärgerlich ist, dass eine ganz bestimmte relativ gut gestellte soziale Schicht, die Vorteile des Stadtteiles, in dem sie wohnt, schätzt, aber die vermeintlichen Nachteile der für sie zuständigen Schule erfolgreich mit Tricks ausschaltet, anstatt sich dafür einzusetzen, dass sich die Bedingungen an der zu vermeidenden Schule verbessern.



    Das hat der taz-Artikel gut herausgearbeitet, ohne erstaunlicherweise Betroffene zu zitieren. Zudem wird mit sehr fragwürdigen soziologischen Begriffen (siehe anderer Kommentar) gearbeitet.



    Soziologisch handelt es sich um Segregation, die im Heimlichen verläuft und bei der alle Beteiligten mehr oder weniger aus einer Schicht stammen und Stillschweigen bewahrten, was durch die taz zum Teil aufgebrochen wurde.

    Im Nobelviertel Hamburg-Blankenese führte Segregation dazu, dass eine Flüchtlingsunterkunft nur einige Jahre bestehen darf.



    Die Anwohner hatten das nötige Kleingeld, um über das Baugesetz gegen den Bau einzuschreiten und die Stadt ließ sich auf einen faulen Deal ein. Offiziell sollen diese Wohnheime auf alle Stadtteile gleich verteilt werden, aber einige Stadtteile sind eben gleicher als andere.



    Und das in einer Stadt, in der die Sozialdemokratie seit einer Ewigkeit das Sagen hat. Hier wirken Mechanismen, die der Soziologe Bourdieu beschrieb, und die tief in der Hamburger Gesellschaft verankert sind.



    Zum Nachteil der fortschrittlichen Stadtteilschulen, die viel mehr finanzielle Ressourcen brauchen, aber sie nicht bekommen.

  • Wir würden unsere Kinder liebend gerne in die nächste Schule bringen. Würde jede Tag mindestens eine Stunde Fahrzeit sparen.



    So lange das Niveau derart unterschiedlich ist, solange die Unterschiede so krass sind, werde wir unsere Kinder auf eine vertretbare Schule schicken.

    Einfach die Schulhausanwesenheitspflicht aufheben und auch dieses Problem würde merklich besser werden. Wenn die Kinder nicht kommen müssen, dann würde die Schulen automatisch besser werden, um nicht leer auszugehen.

  • 0G
    04405 (Profil gelöscht)

    Das ist keine Bankrotterklärung, das ist die soziale Schere bei der Arbeit.

    Ich weiß, anekdotische Evidenz ist von schwacher Aussagekraft - aber die Oberärztende Nachbarin, die sich die meiste Zeit ethisch einwandfrei verhält, hat Stolz erzählt was für eine interessante Schulpraktikumsstelle sie ihrer Tochter besorgen konnte. Bei einer angesehenen Neurochirurgin in einer 500Km entfernten Großstadt. Nicht ohne einzugestehen "wenn man die richtigen Verbindungen hat, dann klappt sowas".

    Da sortiert sich der Scheinumzug in der Nähe der Wunschschule ins ganze normale Spektrum von "wer kann der kann" ein. Dass "bildungsfern" ein schlecht gewählterEuphemismus für "Unterschicht" ist, und genaugenommen noch nicht mal das, sondern lupenreiner Klassismus, ist da auch nur ein weiterer, hübscher Mosaikstein.

  • Ein bekannter von mir hat das auch gemacht. Resultat ist, das die Schule zu weit weg ist um früh zu lernen selbständig den Schulweg zu meistern und alle Schulfreunde in einem anderen Stadtteil wohnen. Jeden Tag werden die Kinder mit dem Auto durch die Stadt gefahren. Zur Schule oder zu Freunden. Auch nicht das Gelbe vom Ei.

  • Man hat an den Unis das Diplom für das unsägliche Bachelor/Master System abgeschafft. Warum nicht auch endlich das Gymnasium abschaffen? Abitur ist Abitur und es ist mittlerweile sogar egal, wo es abgelegt wird. Einheitsschule für alle und Ruhe im Busch.

    • @alchemist77:

      An der Uni meren es die Menschen schon, wo und wie sie jahrelang gelernt haben. Hamburger Gymnasien sind elitär, sie sortieren bis zum Ende ständig aus. Sie sorgen damit für harte Bedingungen und sozialisieren die erfolgreichen Absolventen auf Auslese, Elite und eine Abneigung gegen schwache, arme und prekäre Menschen. Abitur ist leider nicht Abitur, das ist nur formal so. Leider.

  • Ich bin an die näheste gegangen in der Grundschule, ich habe es gehasst, das Problem war ja nicht mal das die Kinder dümmer waren, vielmehr dass generell eine hohe Gewalttätigkeit an der Schule herrschte und die Umgangsformen für die "schwachen" Kinder nicht nett waren um es nett zu sagen. Im Gymnasium bin ich auf eine Privatschule gekommen, manchmal fand ich es da ein bisschen versnobbt aber insgesamt angenehm. Ich kann es niemanden übelnehmen, dass man das seinen Kind nicht antun möchte.

    • @wirklich?:

      Kann ich sehr gut verstehen.



      Mein Enkel muss in eine Schule gehen, an der es extreme Gewalt gibt. Eine Lehrein wurde von Schülern verprügelt und ein Vater hat jemandem mit dem Tod gedroht.



      Mein Sohn und seine Partnerin wollten eine andere Schule für ihr Kind. Ist aber nicht möglich. So geht mein Enkel jeden Morgen mit grosser Angst dort hin. Natürlich leidet auch der Unterricht darunter.

  • Habe ich es richtig verstanden? Es geht in dem Artikel um die gesetzliche Bestimmung, wonach Eltern verpflichtet sind, Kinder in die von der Wohnung nächstgelegene Grundschule einzuschulen? Richtig? Die Regelung haben CDU/FDP in NRW schon vor Jahren abgeschafft. Die nachfolgende Rot/Grüne Landesregierung hat diese Regelung einfach beibehalten. Schon vor Jahrzehnten thematisierten Eltern, dass es der hohe "Ausländeranteil" an der für sie zu wählenden Grundschule der Bildungskarriere ihrer Kinder abträglich sei. Jetzt haben wir in NRW wieder seit Jahren durch die Schulwahlfreiheit im Grundschulbereich die Klassengrundschulen. Lange Zeit waren die Konfessionschulen noch das Refugium bürgerlicher Bildungsambitionen. Auch vorbei. Eltern zieht nach NRW. Hier müsst ihr nicht betrügen.

  • Man kann es auch umgekehrt sehen - für sich selbst ist der Mensch noch bereit, Opfer zu bringen für die gute Idee, das Kind aber soll "nur das beste" bekommen (ohne behaupten zu wollen, es sei wirklich das beste).

    Daran scheitern nahezu alle Ideen von einer großen solidarischen Gemeinschaft. Jeder hat irgendwo eine Grenze, wie weit er geht, manche eine sehr enge (Egoisten), manchen gehen sehr weit.

  • Der Betrug ist doch, dass Politik so tut als gäbe keine guten und schlechten Schulen.

  • Ich möchte das Argument gern in die andere Richtung wenden. Vielleicht sollten noch mehr Eltern proaktiv werden, damit Kinder und Jugendliche eine flächendeckend bessere Schule bekommen. Ohne Richtungsänderung empfinde ich die Etikettierung „Betrug“ als zu stark, wenn Eltern sich nicht korrekt verhalten, weil sie befürchten, die örtliche Schule hat wenig Potenzial.

    • @Reiner Schwope:

      Der aktuelle Zustand bedeutet doch, das Bildung und Bildungserfolg vom Zufall abhängt.

      Nämlich von dem Zufall auf welche Schule ein Kinde geht.

      Aber man will ja gar keine Bildungsgerechtigkeit. Dann gäbe es nämlich Intelligentztests für alle Schüler:innen verbunden mit einer potentialangemessenen Förderung.

      Aktuell wird ja definitiv nach der Dicke der elterlichen Brieftasche gefördert oder eben nicht.

  • Warum war keiner aus dem Bekanntenkreis der Redakteurin bereit, gegenüber der taz (zur Not anonym) die Gründe für die Abwertung der Stadtteilschulen und die Scheinummeldung zu schildern?

    Scham, weil das eigene Verhalten - eine vermeintliche Elitenauswahl - so gar nicht mit dem eigenen politischen Anspruch (jeder hat die gleiche Chance auf Bildung) zusammenpasst?



    Eltern, die sich nicht für ihre Kinder interessieren, gibt es in jeder Gesellschaftsschicht. Trotzdem nutzt Gräff die Begriffe bildungsaffin und bildungsfern, die der Pädagoge Roland Reichenbach, bei dem es in seiner Kindheit kein Bücherregal gab, stark kritisiert. „Man sagt ,bildungsfern' und denkt ,ungebildet'". Der Ausdruck "bildungsfern", als verständnisvoller Euphemismus gedacht, ist in Wahrheit grausamer als "ungebildet", sagt er.

    Stadtteilschulen, die Kindern die gleichen Chancen bis zum Abitur vermitteln sollen, sind Teil eines ungerechten Hamburger Bildungssystems, denn Hamburger Gymnasien sind gar nicht darauf ausgerichtet, sozial bedingte Bildungsunterschiede auszugleichen.



    Hier haben viele Eltern Zeit, ihre Kinder zu fördern. An Stadtteilschulen ist das oftmals nicht so. Vom Gymnasium abgeschulte Kinder landen auf Stadtteilschulen, die der Stolz der SPD sein müssten und entsprechend finanziell gefördert werden müssten, aber in Wahrheit ist das oftmals nicht so.

    Ein Beispiel: der Fächerkanon in Geschichte, Erdkunde, Politik, Wirtschaft wurde zugunsten eines Faches (GEW) an Stadtteilschulen abgeschafft. Folge: es wurden etliche zu gebende Stunden eingespart. Weil derartige Rechentricks der Schulbehörde, die mit Sparen und nicht mit mehr Förderung der Kinder zu tun haben, nie auffallen und kritisch diskutiert werden, kann die SPD den Gleichstellungsanspruch der Stadtteilschulen politisch aufrechterhalten. Scheinummelder ahnen vermutlich, dass die Schulbehörde rumtrickst und fangen selbst an zu tricksen.

    www.sueddeutsche.d...weit-weg-1.2596342

    • @Lindenberg:

      Sie möchten gern das Symptom bekämpfen. Vielleicht sollte man eher die Ursache angehen?

      • @Dr. McSchreck:

        Das war für den anderen Beitrag von Lindenberg.

  • Mit ein wenig Amtshilfe des Finanzamtes (Zweitwohnungssteuer) und der Bundesagentur für Arbeit (Kindergeld) und IT-know how, wären diese Betrugsfälle vielleicht schnell aufzudecken. Doch besteht überhaupt ein Willen bei der Schulbehörde das im Verbund mit anderen Behörden zu tun? In dem Bericht klingt das nicht so. Die taz könnte das genau recherchieren.

    Die Schul-Meldedaten der Eltern könnten mit Elterndaten von Finanzamt und Bundsagentur für Arbeit abgelichen werden.



    Bei Verdachtsfällen geht Post mit Verweis auf die möglichen Rechtsverstöße (Zweitwohnungssteuer, verschwiegener zweiter Wohnsitz gegenüber der Bundesagentur für Arbeit, etc.) an die Eltern. Es wird Auskunft über den jeweiligen Mietvertrag des Zweitwohnsitzes, Besitz der Wohnung, der möglicherweise zu entrichtenden Zweitwohnungssteuer gebeten. Spätestens an diesem Punkt werden sich die Geber der Scheinadressen genau überlegen, ob sie diesen Betrug weiter unterstützen wollen.

    • @Lindenberg:

      Das die Schulbehörden zurückhaltend agieren, was Verdachtsfälle angeht, könnte vielleicht auch daran liegen, dass nicht alle Eltern aus den im Artikel unterstellten Gründen handeln. Das System an sich birgt nämlich auch enorme Fehler.

      Ich wohne in einer mittleren Großstadt, die sich weiter im Wachsen befindet. Da der Wohnraum innerhalb der Stadtgrenze endlich ist, breiten sich die Wohngebiete in den Landkreis aus. Ich sprechen von einem "Spekgürtel", der etwa 20000 Einwohner umfasst, Tendenz steigend. Ein unbeteiligter Beobachter würde auf Google-Earth eine gewachsene Stadt sehen, es gibt jedoch die unsichtbare Grenze. Diese hat zur Folge, dass meine Nichten - wollen sie ein Gymnasium und keine Oberschule besuchen - nicht die nächstgelegene Schule in ca. 800 Metern Entfernung besuchen dürften, sondern auf das Gymnasium des Landkreises gehen müssten - 34 Kilometer von ihrer Wohnung entfernt. Die gewachsenen (Schul-)Freundschaften würden zerbrechen, da die meisten die Stadtschule besuchen dürfen (obwohl sie nur eine Straße weiter wohnen). Neue Freundschaften zu schließen wäre auch schwierig, da meine Nichten nach der Schule sofort den nächsten Schulbus nach Hause nehmen müssten.

      Selbstverständlich sind meine Nichten deshalb bei mir gemeldet und können dadurch die nächstgelegene Schule besuchen. Ein schlechtes Gewissen haben wir deshalb nicht, lediglich ein gewisses Unverständnis hinsichtlich bestimmter Gesetze und Regeln im Land, die eindeutig auf Kosten der Kinder gehen...

  • Wir sind aus den genannten Gründen bereits vor der Geburt unserer Kinder bewusst aus Kreuzberg weggezogen, um die Kinder später an die richtige Schule zu schicken.

    Das Problem ist, dass wir keine gleichmäßige Beschulung der Kinder haben, sondern sich Lehrer nach den Kindern richten - im Zweifel nach den schwächsten Kindern. Dadurch werden gute Kinder auf schwachen Schulen abgehängt und sind im Zweifel schlechter als schlechte Schüler auf guten Schulen. Hätten wir bestenfalls deutschlandweit gleiche Bildungsstandards (durch einen vereinheitlichten Lehrstoff), dann hätten wird dieses Problem nicht.

    Ich bin übrigens in Neukölln (nähe U-Bahnhof Neukölln) auf die Schule gegangen und werde meinen Kindern diese Erfahrung ganz ganz sicher ersparen.

    • @DiMa:

      Ich glaube nicht, dass es so einfach mit Bildungsstandards gelöst ist. In meiner Klasse konnten einige schon vor der ersten Klasse lesen und das nicht Mal, weil die Eltern fanatisch geübt hätten mit ihnen. Der Bildungsvorsprung durch Eltern, die Bildung vorleben, ist teilweise erheblich. Was macht man dann in der Schule? In meinem Büro sind Kinder, die teilweise bestimmt vor der Schule noch nie ein Buch gesehen haben. Wie soll ich dieses Kind zusammen mit einem unterrichten, das mit Büchern aufgewachsen ist und schon die Eltern dauernd über Bücher und Zeitungen gebeugt erlebte?

      • @larasu:

        Ja, das funktioniert nicht. Das ist das Dilemma.



        Das wagt aber niemand zu sagen, politisch. Sonst kommt gleich der Hammer.

      • @larasu:

        Sie begründen hier, warum in Deutschland der Bildungserfolg so stark von der Herkunft abhängt. Daran könnte man nur etwas ändern, wenn man sehr früh anfinge, Kinder aus benachteiligtem Umfeld zu fördern - was aber oft auch linke Parteien ablehnen, weil es stigmatisierend sei...

      • @larasu:

        Vielen Dank für Ihren Hinweis.

        Hier müsste differenziert, also dem Ausgangsniveau entsprechend gefördert werden. Aber die finanziellen Mittel dafür sind viel zu gering. Viele Kinder haben dazu erhebliche Lernschwächen, die eigentlich inklusiv gefördert werden müssten, aber hier fehlt es an Personal (Sozialpädagogen, zweite speziell ausgebildete Lehrkraft im Unterricht).



        Folge: Die Zahl der Jugendlichen ohne Bildungsabschluss ist riesig. Rund 80.000 bundesweit. Wird von allen Bildungspolitikern beklagt, aber politisch tut sich seit Jahren rein gar nichts.



        Karl Lauterbach besuchte seine ehemalige Grundschule an einem sozialen Brennpunkt und war ehrlich genug zu sagen, wie schockiert er ist, dass sich rein gar nichts geändert habe. Für einen Sozialdemokraten eine bittere Erkenntnis, die innerhalb der SPD-Bildungspolitik keine politischen Konsequenzen hatte.

        Ein Blick nach Finnland lohnt. Hier gibt es keine Massenschulen und keine aufgeblähte Schulbürokratie, die den Bedarf an zusätzlichen Personal ignoriert, weil gespart werden muss.

        Zitat SWR



        Es gilt das Prinzip, jede und jeder hat Fähigkeiten, von denen andere lernen können. Ermöglicht wird das z.B. durch viel Gruppenarbeit im Unterricht, bei der jeder jedem hilft. Sonderpädagogen, die eigens dafür da sind, schwächere Schüler besonders zu fördern, nehmen am Unterricht teil.



        Alle Schüler werden bis zur 9. Klasse zusammen unterrichtet. Erst danach wird entschieden, wie die Laufbahn für die Schülerinnen und Schüler weitergeht. Der große Vorteil des späteren Selektierens besteht darin, dass die Schüler schon viel weiter entwickelt und klarer ist, worin ihre Stärken liegen und wie ihre Zukunftswünsche aussehen.



        Der Lehrerberuf genießt in Finnland – im Gegensatz zu Deutschland – sehr hohes Ansehen.



        Da das finnische Curriculum nur festlegt, welche Kernkompetenzen im Unterricht vermittelt werden müssen, sind Lehrerinnen und Lehrer frei in der Unterrichtsgestaltung und deshalb motivierter.

        • @Lindenberg:

          Ich empfehle mal den Besuch einer Schule in den abgehängten Stadtteilen von Helsinki. Dort wird auch nur mit Wasser gekocht und die Lehrkräfte sind maximal genervt. Und manche Eltern finden auch dort 'Alternativen', zum Beispiel an Schulen mit straffem Fremdsprachenprogramm.