Dramatischer Lehrermangel: Auf dem Rücken der Lehrer

Mit den kürzlich vorgeschlagenen Maßnahmen werden die Bundesländer das Problem des Lehrkräftemangels nicht lösen. Weder jetzt noch in zehn Jahren.

Proteste mit Schildern

Leh­re­r:in­nen sind nicht einverstanden: Proteste der GEW in Berlin am 7. Februar Foto: Florian Boillot

Mit Spannung waren sie erwartet worden, die „Empfehlungen zum Umgang mit dem akuten Lehrkräftemangel“ der Ständigen Wissenschaftliche Kommission (SWK). Doch für Lehrkräfte, die immer häufiger über der Belastungsgrenze arbeiten und täglich die Folgen des Lehrkräftemangels erleben, sind die vorgeschlagenen Maßnahmen ein Schlag ins Gesicht. Die zentralen Empfehlungen der SWK – Einschränkung von Teilzeitarbeit, Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung und Möglichkeiten für längeres Arbeiten im Alter – lassen sich in einem Satz zusammenfassen: Leh­re­r*in­nen sollen halt mehr arbeiten. Und dann ’nen Yoga- oder Achtsamkeitskurs als Ausgleich machen, falls es durch die Mehrarbeit zu stressig wird. Nichts gegen Maßnahmen zur Gesundheitsförderung. Aber hier werden sie zur Rechtfertigung von individueller Mehrarbeit in Zeiten des strukturellen Problems Lehrkräftemangel missbraucht. Neoliberalismus at its best.

Die Vorschläge der SWK sind vor allem auch deshalb eine Enttäuschung, weil sie die zentralen politischen Versäumnisse der letzten 20 Jahre außen vor lassen. So werden die jetzt politisch Handelnden in die Verantwortungslosigkeit entlassen.

Dass der Lehrkräftemangel durch eine politische Fehlsteuerung hervorgerufen wurde und in fast allen Bundesländern Jahr für Jahr zu wenig Lehrkräfte ausgebildet sowie tausende Be­wer­be­r*in­nen für ein Lehramtsstudium abgelehnt wurden, weil der NC zu hoch war und es in vielen Fächern zu wenige Studienplätze gab und gibt, erwähnt die SWK nicht. Doch wer das Problem und seine Ursachen nicht anerkennt, wird keine brauchbaren Lösungsvorschläge machen können.

Dazu passend wird gerade in der öffentlichen Debatte immer wieder das Mantra des „demografischen Problems“ als Ursache für den Lehrkräftemangel wiederholt. Dabei ist der Lehrkräftemangel vor allem das Ergebnis politischen Versagens, das jetzt von der demografischen Entwicklung verstärkt wird.

Ohne eine echte Ausbildungsoffensive wird sich der Lehrkräftemangel nicht in den Griff bekommen lassen. Leider wird eine solche Ausbildungsoffensive in den Empfehlungen der SWK nicht einmal erwähnt.

Wie eklatant die Situation ist, zeigt sich beispielsweise in Berlin. Dort müssten die Schulen in den nächsten Jahren jährlich rund 3.000 Lehrkräfte einstellen, aber nicht mal 1.000 Lehr­amts­ab­sol­ven­t*in­nen verlassen jährlich die Berliner Unis. Dennoch wurden im letzten Wintersemester knapp 3.000 Bewerbungen auf einen Lehramtsstudienplatz abgelehnt, darunter viele in Mangelfächern. Jetzt die Studienbedingungen zu verbessern, um die Abbruchquoten zu verringern und parallel mit einer Ausbildungsoffensive mehr Studienplätze für das Lehramt zu schaffen, um so zusätzlich ausgebildete Lehrkräfte in sechs, acht oder selbst zehn Jahren zu haben, wäre ein zentraler Schritt auf dem Weg zu einer nachhaltigen Lösung des Lehrkräftemangels.

Eine Ausbildungsoffensive braucht es aber nicht nur in Berlin, sondern bundesweit. Auch hier ist das politische Versagen immens: Es gibt in Deutschland keine funktionierende bundesweite Koordination zwischen den Ländern in Bezug auf die Zahl der auszubildenden Lehrkräfte. Auch in der jetzigen Situation setzen einzelne Länder, beispielsweise Bayern, auf wettbewerbsorientierte Lösungen statt auf eine abgestimmte Prognostik, eine koordinierte Bedarfsplanung und eine gemeinsame Ausbildungsoffensive.

Um in diesen Punkten etwas zu erreichen, muss man nicht den Föderalismus im Bildungsbereich abschaffen. Aber ein Staatsvertrag Lehrkräftebildung, eine grundsätzlich bessere Bund-Länder-Kooperation und eine Aufweichung des 2006 im Zuge der Föderalismusreform beschlossenen Kooperationsverbots sind notwendig.

Die Umsetzung ist eine Frage des politischen Willens. Gerade im Bildungsbereich, den der Staat quasi monopolartig organisiert, muss er doch alles unternehmen, um Bildung in guter Qualität zu sichern. Die Abwärtsspirale geht sonst weiter. Wie können wir uns zehntausende Schul­ab­gän­ge­r*in­nen ohne Abschluss und eine weitere Spaltung der Gesellschaft leisten?

Denn das sind die eigentlichen Themen der Debatte: Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit. Der Lehrkräftemangel findet in einem schon überlasteten und ungerechten Bildungssystem statt. Der Mangel betrifft zwar alle, aber nicht alle gleich, er hat eine unsoziale Schlagseite. Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit sind in der SWK-Stellungnahme abgesehen von zwei Halbsätzen aber kein Thema.

Die Frage, wie der enorme Druck im Bildungssystem in der aktuellen Mangellage reduziert, Lehrpläne entrümpelt und Schule umgestaltet werden kann, kommt in den SWK-Überlegungen nicht vor. Dabei wäre eine solche “Weniger ist mehr“-Debatte ein sinnvoller und notwendiger Baustein, um Wege aus der aktuellen Bildungskrise zu finden.

Dass die Stellungnahme durchaus auch einige brauchbare Vorschläge wie zur einfacheren Anerkennung von im Ausland erworbenen Lehramtsabschlüssen, 1-Fach-Lehrkräften oder zur Entlastung der Lehrkräfte von Verwaltungsaufgaben enthält, ändert nichts daran, dass die Empfehlungen in ihrer Gesamtheit nicht dafür sorgen werden, dass die Bundesländer das Problem des Lehrkräftemangels lösen, schon gar nicht auf eine Weise, die das Bildungssystem gerechter macht. Weder jetzt noch in zehn Jahren.

Hoffentlich nimmt die SWK die Kritik ernst und macht in ihrem ausführlichen Gutachten Anfang 2024 sinnvolle Vorschläge für die Lehrkräftebildung. Weil es daran nach der aktuellen Stellungnahme berechtigte Zweifel gibt, formieren sich gerade alternative Projekte, um eigene, gerechtere Vorschläge zum Umgang mit dem Lehrkräftemangel vorzulegen.

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