Schulsenator über Schule in der Pandemie: „Andere Länder haben mehr Herz“

Hamburgs Schulsenator Ties Rabe geht davon aus, dass es dank Masken, Tests, geimpfter Lehrer und Luftfiltern nicht wieder zu Schul-Schließungen kommt.

Ein Mann im Anzug mit weißer Maske guckt in die Kamera

Hatte im vergangenen Schuljahr nicht nur Freude an seinem Job: Hamburgs Schulsenator Ties Rabe Foto: Marcus Brandt/dpa

taz: Herr Rabe, am 5. August beginnt in Hamburg die Schule. Wie lange bleiben die Schulen diesmal offen?

Ties Rabe: Ich gehe davon aus, dass wir dieses Mal den Unterricht aufrecht erhalten können. Ich bin optimistisch. Erstens, weil Wissenschaftler noch einmal klar gestellt haben, wie schädlich Schulschließungen für junge Menschen sind. Zweitens, weil sich alle Erwachsenen haben impfen lassen können. Wir müssen Schulen nicht mehr schließen, um Eltern und Großeltern zu schützen. Und drittens haben wir in Hamburg das umfangreichste Sicherheitskonzept.

Und wenn die Inzidenz steigt? Die Bundesnotbremse sah bei 165 Schließung vor.

Die Grenzwerte galten bis zum 30. Juni. Ich bin sicher, der Bundestag setzt diese Werte nicht wieder fest. Corona hat ein Stück seines Schreckens verloren. Höhere Inzidenzzahlen führen nicht mehr dazu, dass sich drei Wochen später Intensivstationen füllen und wir vier Wochen später mit schrecklichen Todesfolgen zu tun haben. Diese Folgen sind abgemildert durch die hohe Impfquote der älteren Bevölkerung.

Sie sind gut vorbereitet?

Im Bundesvergleich müssen wir uns nicht verstecken. Erstens: Die Schulbeschäftigten erhielten alle ein Impfangebot. Zweitens: Wir testen weiter zweimal in der Woche alle Schüler. Ohne negativen Test darf keiner die Schule betreten. Drittens: In allen Gebäuden herrscht die Maskenpflicht. Viertens: Es bleibt bei der Lüftungspflicht. Alle 20 Minuten werden die Fenster komplett geöffnet. Und fünftens: Wir kaufen Lüftungsgeräte als zusätzlichen Schutz vor Aerosolen.

60, ist Hamburger Schulsenator und Koordinator der SPD-geführten Länder in der Bildungspolitik. Früher war er Lehrer für Religion, Deutsch und Geschichte am Luisen-Gymnasium Bergedorf.

Aber Hamburg hat nicht die sichereren PCR-Lolli-Tests.

PCR-Lolli-Tests werden in allen Ländern erprobt. Sie haben Nachteile, weil sie im Labor ausgewertet werden. Immer mehr Virologen sagen, dass bei höheren Inzidenzen die Labore so ausgelastet sind, dass der Lolli-Test nicht mehr untersucht werden kann. Dann haben die Schulen keine Testmöglichkeit mehr. Das muss man beachten.

Warum schickt Hamburg nicht wie Schleswig-Holstein 250 Impfteams in die Schulen?

Wir nehmen den Rat der ständigen Impfkommission, Stiko, ernst. Die ist vom Bundesgesundheitsminister eingesetzt, damit wir uns rein fachlich beraten lassen, was gut für die Kinder und Jugendlichen ist. Und die Stiko ist hier klar: Ab 18 Jahre sollte sich jeder impfen lassen, unter 18 sollten sich jene mit einem Gesundheitsrisiko impfen lassen. Wer kein Risiko in sich trägt, kann sich impfen lassen, aber eine klare Empfehlung gibt es nicht. Hamburg nimmt das ernst. Denn wir haben das Wohl der Kinder im Blick und weniger die mediale Diskussion.

Können Eltern, die das wollen, ihre Kinder impfen lassen?

Selbstverständlich. Die Gesundheitsbehörde ist dabei, Praxen zu organisieren, in denen Ärzte so ein Angebot machen. Auch Kliniken wirken daran mit. Und wir setzen an den berufsbildenden Schulen Impfteams ein.

Warum nicht in den Oberstufen der Schulen?

Wir möchten erst mal dort impfen, wo wir viele junge Menschen erreichen. Die 30 Berufsschulen besuchen fast 50.000 einer Altersgruppe, denen die Stiko die Impfung empfiehlt. So viele sind es in keiner anderen Schulform.

Sie wollten 10.000 Luftfilter besorgen. Sind die schon da?

Wir haben eine Ausschreibung gemacht, wie es Vorschrift ist. Normalerweise dauert so etwas rund ein halbes Jahr. Wir haben die Frist deutlich verkürzt und sind zuversichtlich, dass wir in der nächsten Woche entscheiden können, welche Firmen entsprechende Geräte zuliefern. Die ersten Probegeräte sind bereits geliefert und werden zusammen mit den Herstellern von Fachleuten der Schulbehörde in Augenschein genommen.

Wann steht das erste Gerät?

Wir gehen davon aus, dass 14 Tage nach Schulöffnung die ersten Geräte geliefert werden. Zurzeit ist das nicht so dringend nötig, weil Lüften angesichts der hohen Temperaturen draußen gut möglich ist. In dem Moment, wo es kühler wird, rund um die Herbstferien, möchten wir alle Geräte ausgeliefert haben.

Müssen oder können Schulen diese Geräte einsetzen? Es könnte ja auch sein, dass von ihnen Geräusch ausgeht.

Die Geräte funktionieren wie eine Dunstabzugshaube in der Küche. Ein Ventilator saugt Luft an und drückt sie durch ein Mehrschichtfiltersystem. Das ist mit Geräusch verbunden. Wir achten darauf, dass es leise Geräte sind und wollen sie jetzt erst mal mit den Schulen ausprobieren. Ob es dann eine Pflicht gibt, sie ständig zu betreiben, muss dann erörtert werden. Im Kern sind sie angeschafft, damit sie laufen und nicht, damit sie in der Ecke stehen.

Wie lange müssen Hamburgs Schüler noch Maske tragen?

Die Maske hat sich als Mittel bewährt, um Corona-Infektionen zu vermeiden. Wir werden diese Regel aber spätestens mit den Herbstferien noch einmal überprüfen und uns mit den anderen Bundesländern kurzschließen. Es kann im Einzelfall Lockerungen geben, wenn es sie auch in anderen Lebensbereichen gibt. Wir haben vor Kurzem im Senat beschlossen, dass beim Vereinssport die Maske abgesetzt werden kann. Das haben wir dann auf den Schulsport übertragen.

Was ist Ihr Eindruck, wie geht es den Schülern?

Die meisten haben die größte Sorge, dass der Unterricht wieder eingeschränkt wird. Der Ärger über Maßnahmen wie Testen oder Maske steht dahinter zurück. Wir hören von Schulleitungen herzzerreißende Geschichten. Kinder flehen, nicht in Quarantäne zu müssen und weiter die Schule besuchen zu dürfen.

Es haben jetzt zum zweiten Mal Schüler in der Pandemie ihre Schulzeit beendet. Sie finden weniger Ausbildungsplätze. Tut der Senat genug, ihnen eine Perspektive zu bieten?

Ja, sehr viel. Nur ist das Wichtigste, dass hier die Wirtschaft auch an die Zukunft denkt und Ausbildungsplätze anbietet. Wir finden es schwierig, dass hier das Angebot erheblich zurückging. Darüber reden wir mit den Kammern. Damit die jungen Menschen nicht auf der Straße sitzen, haben wir unsere Auffangmaßnahmen deutlich verstärkt.

Ihre Bremer Kollegin Claudia Bogedan hat aufgehört. Ist es frustrierend, in der Pandemie Bildungssenator zu sein?

Ja. Alle Kultusminister waren doch überrascht, mit welcher Leichtigkeit in Deutschland Schule zur Disposition gestellt wurde. Andere Länder wie beispielsweise Frankreich haben mehr Herz für Kinder und Schule entwickelt. Es hat im letzten Jahr nicht nur Spaß gemacht, dieses Amt auszuüben und immer wieder gegen hoch emotionale Vorbehalte und Vorwürfe aus Politik, Verbänden, Medien und Öffentlichkeit für offene Schulen zu kämpfen.

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