Die Verständnisfrage: Lasst eure Emotionen zu!

Warum wollt ihr die Menschen nicht im Herzen berühren?, fragt eine Leserin. Weil das nicht ausreicht, antwortet eine Letzte-Generation-Aktivistin.

Ein Aktivist mit Warnweste blockiert eine Straße und hält ein gelbes Holzkreuz in der Hand

Aktivisten der Organisation „letzte Generation“ blockieren eine Straße in der Kölner Innenstadt Foto: Henning Kaiser/dpa

In der Verständnisfrage geht es jede Woche um eine Gruppe, für deren Verhalten der Fragesteller_in das Verständnis fehlt. Wir suchen eine Person, die antwortet.

Anna W., 70, Rentnerin aus Mecklenburg-Vorpommern fragt:

Liebe Letzte Generation, warum startet ihr keine Aktionen, die Menschen im Herz berühren, anstatt sie aufzuregen?

***

Carla Rochel, 20, Aktivistin aus Berlin antwortet:

Uns war von Anfang an klar, was uns an Hass, Ablehnung und Empörung entgegenschlagen würde. Wir sind nicht davon ausgegangen, dass wir uns beliebt machen, das war nie unser Ziel und dafür auch nicht relevant.

Wir haben nach den Demonstrationen von Fridays for Future verstanden, dass das einfach nicht ausreichen wird. Damals waren über eine Million Menschen in Deutschland auf der Straße und sie hatten die Sympathien der gesamten Bevölkerung hinter sich. Doch auch das hat nicht ausgereicht, um die Regierung dazu zu bewegen, endlich effektiven Klimaschutz umzusetzen. Dass wir den brauchen, steht ja außer Frage.

Die Personen, die 2021 mit dem Hungerstreik starteten, haben sich vorher viel mit der Geschichte des zivilen Widerstands beschäftigt. Zum Beispiel mit dem Frauenwahlrecht, das wurde auch erkämpft, indem Gesetze gebrochen wurden. Diesen Punkt haben wir in der Klimakrise jetzt auch erreicht. Wir haben nur noch wenige Jahre, um das Ruder herumzureißen. Deshalb brauchen wir jetzt dringend mehr Maßnahmen von der Bundesregierung und haben uns bewusst für diese Form des friedlichen Widerstands entschieden.

Wir versuchen schon, die Menschen im Herzen zu berühren. Das gelingt uns auch oft. Die Voraussetzung ist aber, dass die Menschen ihre Emotionen auch zulassen, dass sie sich damit beschäftigen, was unsere Aktionen bei ihnen auslösen. Die Menschen dürfen Gefühle wie Angst nicht abblocken. Das ist ganz wichtig für uns.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Unsere Leute, die da jetzt gerade auf die Straße gehen, lassen ihre Emotionen zu. Und diese sind so stark, dass es sich anfühlt, als würde ihnen jemand den Boden unter den Füßen wegreißen. Das tragen sie dann nach außen, zum Beispiel indem sie protestieren.

Miteinander sprechen hilft

Ich habe häufig erlebt, dass die Autofahrer*innen, die in den ersten Reihen stehen, aussteigen und nach vorne kommen. Die sind dann erst mal wütend und schreien uns an. Wenn man dann aber mit ihnen ins Gespräch kommt, ist da oft auch viel Verständnis.

Letztens ist ein Autofahrer ganz knapp an der Blockade vorbeigerast und ist dabei einer Freundin fast über die Hand gefahren. Er ist erst weitergefahren, kam aber nach zwanzig Minuten zurück. Er hat dann gesagt, er habe nicht so recht gewusst, was ihn dazu gebracht habe, und hat sich entschuldigt. Wenige Wochen später saß er dann mit uns gemeinsam auf der Straße.

Unsere Aktionen lösen auch deshalb viele Emotionen aus, weil wir bereit sind, in Kauf zu nehmen, ins Gefängnis zu kommen. Wir sind bereit, hohe Strafen auf uns zu nehmen und vielleicht unser Leben lang verschuldet zu leben. Das geht anderen sehr nahe und macht für sie spürbar, wie dramatisch die Situation ist.

Die Autobahn ist kein Ort, an dem man gerne sein möchte. Da sitzen nicht nur Jugendliche, sondern auch Menschen, die mitten im Berufsleben oder kurz vor der Rente stehen oder sogar schon Rent­ne­r*in­nen sind. Wir wären wirklich dankbar, wenn wir diese Proteste nicht machen müssten, wenn wir uns nicht immer und immer wieder in die Schusslinie begeben und uns diesem Konflikt aussetzen müssten. Aber uns bleibt keine andere Wahl.

Häh? Haben Sie manchmal auch diese Momente, wo Sie sich fragen: Warum sind andere Leute so? Wir helfen bei der Antwort. Wenn Sie eine Gruppe Menschen besser verstehen wollen, dann schicken Sie Ihre Frage an verstaendnis@taz.de.

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