Forderung nach 12-Stunden-Tag: Nicht bedingungslos flexibel
Dem Wunsch nach flexibleren Arbeitszeiten kann man sich nicht gänzlich verschließen. Doch sinnvoll ist eine Neuregelung nur in engen Grenzen.
E s ist ein alter Wunsch der Arbeitgeber in der Gastronomie: Beschäftigte sollten auch mal zwölf Stunden am Stück arbeiten können und nicht nur zehn Stunden, was derzeit gesetzlich die tägliche Höchstarbeitszeit ist. Die bayerische Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) will mit den Bundesländern über eine entsprechende Initiative reden. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert warnte umgehend davor, dass die CSU die Belegschaften „wie eine Zitrone ausquetschen“ wolle.
Das stimmt so nicht, denn es geht um freiwillige lange Schichten mit entsprechender Bezahlung oder umfangreichem Freizeitausgleich. In der Gastronomie etwa soll es dadurch möglich sein, mal bis spät in die Nacht hinein an einem Stück zu arbeiten oder an den Hauptjob an manchen Abenden noch einen Nebenjob in der Kneipe dranzuhängen. Die tägliche gesetzliche Höchstarbeitszeit abzuschaffen würde allerdings Risiken bergen. Es gibt zwar jüngere Beschäftigte, die etwa eine Zwölfstundenschicht durchhalten und sich freuen würden, danach länger Freizeit zu haben. Aber älteres Personal hat eher Probleme, so lange zu ackern, und würde ausgegrenzt.
Trotzdem kann man sich dem Wunsch nach Flexibilisierungen nicht mehr grundsätzlich verschließen. Und die Zeit ist günstig, weil die Arbeitgeber Personal suchen und bereit sind, auf Wünsche der Beschäftigen einzugehen, und wahrscheinlich wenig Chancen hätten, irgendwelche Mammutschichten zu erzwingen.
Die Ampelregierung will laut Koalitionsvertrag im Rahmen von Tarifverträgen mehr Flexibilität in Sachen Arbeitszeit erlauben: mit „Evaluationsklauseln“. Denkbar wäre zum Beispiel, dass Unternehmen mit Betriebsrat und Tarifvertrag nur unter bestimmten Bedingungen und im Rahmen bestimmter Kontingente von der täglichen Höchstarbeitszeit von zehn Stunden abweichen dürfen und dies dann gegebenenfalls anteilig höher vergütet würde. Mehr Flexibilität kann man wagen – ein schlichter Cut der täglichen gesetzlichen Höchstarbeitsgrenze aber wäre falsch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin