Außenministerin Baerbock in Kasachstan: Gratwanderung in Zentralasien
Kasachstan setzt sich sanft von Russland ab. Der Westen will die Chance nutzen und eine Energiekooperation eingehen – aber nicht um jeden Preis.
Wer in das Gebäude will, muss an einem Mini-Supermarkt vorbei, einem Matratzenladen, einem kleinen Cafe. Es riecht eigentümlich nach einer Mischung aus scharfem Putzmittel und verbrannten Reifen. Oben angekommen, wirken die bunt bemalten Wände des Flurs eher wie ein abgehalfteter Jugendclub als ein Menschenrechtszentrum.
Der Raum für das Treffen mit der Außenministerin ist karg eingerichtet: ein paar Klappstühle, ein Flipchart, ein Schränkchen für Tassen und die Kaffeemaschine. Über eine Stunde sitzt Baerbock dort mit den drei Aktivist:innen und tut das, was sie vor Beginn ihrer Reise angekündigt hat: zuhören.
Die Grünen-Politikerin besucht zum ersten Mal Kasachstan. Ein Amnesty International Report zu den zentralasiatischen Land bescheinigt dem Staat eher eine durchschnittlich bis schlechte Lage, was die Einhaltung von Grund- und Menschenrechten angeht. Eingeschränkte Versammlungs- und Meinungsfreiheit, Repressionen gegen Regimekritiker:innen, Stigmatisierung von LGBTIQ-Personen, Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen. Die Liste der Verwerfungen ist lang. Nach den Ausschreitungen im Januar dieses Jahres kam es zu Festnahmen, es gibt Berichte über Folter und Gewalt gegen die Demonstrant:innen. Die Regierung Kasachstans verspricht Aufklärung. Doch die lässt auf sich warten.
Kasachstan kritisiert Putin nicht, unterstützt aber auch nicht
Baerbock will ihr Credo einer wertegeleiteten Außenpolitik hier setzen. Und sie will die deutschen, die europäischen, Wirtschaftsbeziehungen mit dem zentralasiatischen Land stärken. Der Zeitpunkt ihrer Reise ist gut gewählt. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine verschieben sich historisch gewachsene Verbindungen weltweit. In Zentralasien ist es Kasachstan, das den Kurs Putins zwar nicht ausdrücklich kritisiert, aber auch nicht unterstützt.
Offensichtlich wurde diese Haltung beim Internationalen Wirtschaftsforum im Juni in St. Petersburg. Präsident Kassym-Schomart Tokajew kündigte dort an, dass Kasachstan die ostukrainischen Separatistenrepubliken Donezk und Luhansk nicht als selbstständige Staaten anerkennen werde. Auch bei der UN-Vollversammlung im März, die mit großer Mehrheit den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine verurteilte, setzte Kasachstan ein Zeichen. Das zentralasiatische Land enthielt sich bei der Abstimmung über diese „historische“ Resolution, wie UN-Generalsekretär Antonio Guterres sie nannte.
Und das, obwohl die Abhängigkeiten von Russland groß sind. Kasachstan ist Mitglied in der von Moskau geführten Organisation des Vertrags über Kollektive Sicherheit. Als es im Januar zu Demonstrationen und Ausschreitungen im Land kam, rief Kasachstan auch Russland zu Hilfe.
Die gemeinsame Grenze beider Staaten ist über 7.600 km lang. Im Zuge der Teilmobilisierung in Russland flohen rund 200.000 Russ:innen nach Kasachstan. Hinzu kommen etliche wirtschaftliche Verbindungen. Es geht um Rohstoffe, um Öl, um Gas, um gemeinsame Transportwege.
Wirtschaftliche Interessen und Rechtsstaatlichkeit
Noch kurze Zeit vor dem Treffen mit den Menschenrechtsaktivist:innen war die deutsche Außenministerin Baerbock in einer anderen Welt. Ihr kasachischer Kollege Muchtar Tleuberdi empfing sie im herrschaftlichen Palast des Außenministerium. Vergoldete Treppengeländer, Marmorsäulen im Empfangsraum, ein echter Staatsempfang eben.
Baerbocks Angebot an Tleuberdi: faire, verbindliche Wirtschaftsbeziehungen. Auf Augenhöhe, wie die deutsche Außenministerin es nennt, sollen diese laufen. Für Baerbock gehen wirtschaftliche Interessen und Rechtsstaatlichkeit, die Einhaltung von Menschenrechten zusammen. Nur wenn es die Sicherheit gebe, dass diese Regeln auch eingehalten würden, könnten auch wirtschaftliche Beziehungen gelingen, betont sie. „Nachhaltiger Wohlstand entsteht nur dort, wo die Rechte der Menschen gewahrt und geschützt sind.“ Es sind Sätze wie diese, die nachhallen sollen. Nicht nur in Kasachstan.
Baerbock lobt öffentlich die Haltung der kasachischen Regierung gegenüber Russland und sagt ihre Unterstützung zu. Vermutlich zieht Amtskollege Tleuberdi nicht ganz dieselben Schlüsse. Nach dem Treffen mit seiner Kollegin Baerbock erwähnt er den russischen Angriffskrieg kein einziges Mal bei einer offiziellen Pressebegegnung. Stattdessen schwärmt er über die neue geplante Zusammenarbeit zu grünem Wasserstoff am Kaspischen Meer. Kern dabei ist die EU-Initiative Global Gateway. Bis zu 300 Milliarden Euro sollen über die EU in die Infrastruktur von Schwellen- und Entwicklungsländern fließen.
Auch EU-Ratspräsident Charles Michel war vor kurzem erst in Astana, um für das Projekt zu werben. Baerbock bestärkt nun das Vorhaben und bringt als Beweis gleich eine zehnköpfige Wirtschaftsdelegation mit nach Kasachstan, die den Deal vorantreiben soll. Gelingt die Zusammenarbeit, könnte dies nicht nur die Bindung Zentralasiens an den Westen stärken, sondern auch Chinas Pläne für eine „Neue Seidenstraße“ ausbooten.
Seit 30 Jahren bestehen die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Baerbock spricht bei ihrem Antrittsbesuch in Astana zarten Klartext. Die deutsche Außenministerin weist auf Reformen hin, die angegangen werden müssen. Aber viel länger spricht sie über ein Wasserstoffbüro, das bald eröffnet werden könnte, vom großen Potenzial für Wind- und Sonnenenergie. Ein Windpark – so groß wie Brandenburg, Baerbocks Heimatbundesland, soll entwickelt werden. Von einem deutschen Unternehmen. Kasachische Unternehmer:innen und deutsche Investor:innen sind also zuversichtlich, dass sie irgendwie zusammenkommen.
Im 14. Stock des Plattenbaus unweit des kasachischen Außenministeriums sind weder Windparks noch Milliardeninvestitionen Thema. Den Menschenrechtsaktivist:innen geht es darum, wie junge Menschen geschützt werden können, eine Perspektive haben in Kasachstan. Und überhaupt darum, wie es weitergehen kann. Baerbock hört ihnen zu. Und eilt dann zum nächsten Termin.
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