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EU-Gipfel zur EnergiekriseFauler Kompromiss made in Germany

Eric Bonse
Kommentar von Eric Bonse

Statt eines Gaspreisdeckels kommt nur ein vager „Fahrplan“. Deutschland hat seine Eigeninteressen durchgesetzt – und damit Europa geschwächt.

Wer auf Ursula von der Leyen gebaut hatte, sah sich nach dem Energiegipfel enttäuscht

D ie EU lässt ihre Bürger und Unternehmen hängen. Nichts anderes bedeutet der Beschluss des EU-Gipfels zum sogenannten Gaspreisdeckel, den die 27 Staats- und Regierungschefs nach zehnstündigen Diskussionen am frühen Freitagmorgen in Brüssel verkündet haben.

Kanzler Olaf Scholz und seine Amtskollegen haben keine Sofortmaßnahmen gegen die Mondpreise bei Gas und Strom beschlossen, sondern nur einen „Fahrplan“. Das ist so, als würde man eine Arbeitsgruppe zur Brandbekämpfung gründen, wenn das Haus in Flammen steht.

Die EU-Chefs wollen auch kein verbindliches Preislimit einführen, sondern bloß einen „vorübergehenden dynamischen Preiskorridor“ für Notlagen. Der Kessel kocht über – doch die Köche scheuen sich, die Temperatur herunter zu stellen und den Deckel drauf zu machen!

Zu verdanken haben wir diesen faulen Kompromiss der deutschen Regierung. Ein Jahr lang hat sie in Brüssel alle Vorschläge gegen die Energiekrise abgebügelt. Dann hat sie eine nationale Gaspreisbremse eingeführt. Beides hat Deutschland in der EU isoliert.

Doch statt auf die EU-Partner zuzugehen und ein europäisches Pendant zum bis zu 200 Milliarden Euro teuren deutschen „Doppelwumms“ vorzuschlagen, schaltete Scholz in Brüssel auf stur. Kein verbindlicher Preisdeckel und keine neuen EU-Hilfen, so seine Ansage.

Nun hat er sich durchgesetzt – doch um welchen Preis! Bürger und Unternehmen müssen weiter auf eine europäische Lösung warten. Von dem vagen „Fahrplan“ für einen Gaspreisdeckel können sie sich nichts kaufen. Hilfe aus Brüssel kommt viel zu spät – wenn überhaupt.

Selbst wenn sich die Energieminister wie geplant in der kommenden Woche über den mageren Gipfelkompromiss beugen und die fehlenden Details nachtragen sollten – der Schaden ist längst angerichtet. Viele Bürger sind schon zahlungsunfähig, viele Unternehmen gehen gerade pleite.

Wer auf die EU und ihre Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gehofft hatte, sieht sich schwer enttäuscht. Die deutsche Politikerin hat sich an die deutsche Linie gehalten. Eigene Initiativen hat sie nicht gewagt, Vorschläge aus anderen Ländern hat sie allzu lange ignoriert.

Doch auch Scholz’ Ansehen hat schwer gelitten. Angetreten war er mit dem Versprechen, Deutschland und die EU aus der Krise zu führen. Nun ist er der Kanzler, der Europa in der schwersten Krise seit dem 2. Weltkrieg ausgebremst und das nationale deutsche Interesse obenan gestellt hat.

Sogar der vielbeschworene deutsch-französische „Motor“ ist beschädigt. Die Regierungskonsultationen, die eigentlich in der kommenden Woche stattfinden sollten, wurden auf Januar verschoben. Es hakt nicht nur in der Energiepolitik, sondern auch bei der Verteidigung – und das mitten im Krieg.

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Eric Bonse
EU-Korrespondent
Europäer aus dem Rheinland, EU-Experte wider Willen (es ist kompliziert...). Hat in Hamburg Politikwissenschaft studiert, ging danach als freier Journalist nach Paris und Brüssel. Eric Bonse betreibt den Blog „Lost in EUrope“ (lostineu.eu). Die besten Beiträge erscheinen auch auf seinem taz-Blog
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14 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Joar - da hat man sich auf etwas geeinigt, aber so richtig weiß keiner auf was eigentlich. Tatsächlich ist die Position von Scholz (leider) korrekt: Einen echten Gaspreisdeckel kann man nur dann erzwingen, wenn man den Weltmarkt kontrolliert - das tut Europa sowas von überhaupt nicht. Wenn man also hier beschlösse, Gas nur bis zu einem bestimmten Preis zu kaufen, würde das nur heißen, dass man kein Gas mehr bekommt. Tatsächlich hatten sich die anderen EU-Mitglieder mehr odeer minder offen die "iberische" Variante erhofft, bei der das Gas zum Weltmarktpreis gekauft und dann subventioniert innerhalb der EU verteilt wird. Die Rechnung dazu wollte man dem deutschen Steuerzahler schicken. Wen wundert es dass Scholz das ablehnt?

  • Scholz hatte sowieso keine Chance. Auch wenn er hier alles blockiert, es wird den deutschen Großkonzernen nicht mehr helfen können, zu sehr haben sie sich von einem Weltmarkt abhängig gemacht. Konsequenz: Das Kapital produziert ausserhalb Mitteleuropas und zieht weiter und hinterlässt Armut und Trümmer so wie es schon im Vereinigten Königreich oder in weiten Teilen der USA gelaufen ist. Dass dabei immer weniger 'Kunden' an den Segnungen der kapitalistischen Wirtschaft mangels Kaufkraft teilhaben können und damit den ganzen Markt ad absurdum führen, nimmt die Politik und die verblendeten Ökonomen kaum wahr bei allen Durchhalteparolen, die das Klima weiter zerstören. Nur wer jetzt die Zeichen richtig setzt -und das kann eigentlich nicht mehr so schwer sein, an dieser Stelle überzeugen zu können- und die Großverbraucher der fossilen Energien einfach abstellt, die Versorgung dem Mittelstand überlässt oder verstaatlicht, hilft, Panik und Chaos zu vermeiden. Ja, wir müssen uns einschränken bei der Mobilität, Großprojekte wie z.B. die Fehmarn-Belt-Querung, die niemand braucht, einstellen und lernen nachhaltig mit den Ressourcen umzugehen und sie Gemeinwohl-orientiert zu verteilen. Wenn die Politik das jetzt nicht angeht und in den Griff bekommt, gehen viele Errungenschaften wie z.B. ein hoher wissenschaftlicher Standard in der Medizin erst einmal verloren und hinterlassen unnötig verbrannte Erde.

  • Hallo, wenn man den Deckel beim Überkochen nicht wieder drauf tut, ist das eigentlich richtig. Genauso wie ihr Vergleich, so ist auch ihre Analyse etwas zu oberflächlich.

    Auf jeden Fall ist es besser für alle, dass sich die europäischen Staaten beim Einkauf zusammentun wollen. Hoffentlich geht wenigstens da ein wenig was. Hoffnung ist ja derzeit alles was wir noch haben.

    Das Argument der Unterversorgung zieht natürlich. Eine schnelle faire Lösung für die Verteilung wäre auch nicht Mal eben so zu machen.

    Ich denke mal, dass es einfach durch die deutsche Vorarbeit zur Vergrößerung der Abhängigkeit von Gasprom, eine solidarische Lösung derzeit einfach nicht realisierbar ist.

    Natürlich wäre es hier eigentlich richtig, trotzdem in den sauren Apfel zu beißen. Ich stimme da völlig zu. Insbesondere ist natürlich die Bereicherung der Energiekonzerne unerträglich. Da würde ich versuchen anzusetzen. Die Übergewinnsteuer hat aber auch nicht geklappt.

    Am Ende steht Europa doof da und Scholz kann sich an nichts erinnern und bezieht einen Aussichtsratsposten bei einem Energiekonzern.

  • Der Deckel ist das Selbe wie die Sanktionen. Das schadet Deutschland nur. Und dass manche Staaten von den deutschen Rettungsmilliardem auch gerne etwas abbekommen möchten ist auch verständlich. Hat doch in der Vergangenheit auch immer geklappt.

  • Die Regierungskoalitionen wurden auf Januar verschoben. Mit welcher Begründung bitte ? Wichtigste Verhandlungen einfach mal ebenso ein Quartal hinauszögern, ist für alle Bürger der beteiligten/ betroffenen Staaten unzumutbar. Es gibt keine verlässlichen Rahmenbedingungen, die die Bevölkerungen der Länder für ihre eigenes Handeln und eigen Entscheidungen für die nahe Zukunft aber nötigst braucht und von ihren Regierenden zu Recht einfordern sollten.

  • Solange die (weltweite) Nachfrage größer ist als das Angebot, bestimmen die Anbieter den Preis.



    Es gibt keinen "Gaspreisdeckel", falls man etwas Ahnung von VWL hat, ist das auch klar.

    Was nicht ausschließt, dass man einfach ab einem bestimmten Preis nicht kauft, aber dann hat man auch kein Gas.

  • Die EU ist für die Frage des Energieeinkaufes nicht zuständig. Zuständig sind allein die Mitgliedsländer.

    Wenn die EU nicht zuständig ist, kann sie "ihre" Bürger und Unternehmen auch nicht hängen lassen.

    Anstatt solche Defätismus mit solchen Artikeln Vorschub zu leisten sollte die taz in solchen Artikeln doch besser die Fakten darstellen.

  • Mir fehlt ehrlich gesagt die Berichterstattung über alternative Konzepte.

    Ein Preislimit, liebe TAZ? Haltet ihr das wirklich für eine schlaue Idee? Gas ist knapp, und wird noch knapper ohne hohe Preise.

    Was ist denn überhaupt möglich? Wie soll denn ein Preislimit eingeführt werden? Den Preis runtersubventionieren? Da haben wir ja bei der Steuersenkung der Spritpreise gesehen dass die Lieferanten da dankeschön sagen aber die Subvention selbst einkassieren und die Preise konstant lassen. Oder als gesetzliches Limit? Dann bekommen wir Knappheiten, weil das Gas lieber in andere Regionen verkauft werden.

    Eine Option ist meiner Meinung nach nicht ein Preislimit, sondern eine Übergewinnsteuer für Erneuerbare, Atom und Kohle, und das an die armen Haushalte und betroffenen Betriebe umverteilen.

    Aber ich wüsste wirklich gern welche Vorschlage gerade von Experten erarbeitet werden, und wie sie sich unterscheiden. In der Presse hab ich dazu bisher nichts gefunden.

  • Sehr unterkomplexer Kommentar. Er blendet mindestens zwei Nebeneffekte aus:



    (a) Wenn man einen gedeckelten Preis für Gas zahlt, dann wird das Gas halt anderweitig verkauft. Norwegen hat z.B. gesagt, daß sie auf ihr Gas keinen Rabatt geben, sondern den besten Kunden beliefern



    (b) ein Preisdeckel führt zu einem Ende der Energiesparbemühungen. In Spanien kann man das schon sehen: der Gas-Verbrauch steigt wieder.

  • Der Egoist Deutschland kann keinen Gaspreisdeckel im Einkauf akzeptieren, denn dann dürfte er ärmeren Staaten das Gas nicht mehr vor der Nase wegkaufen. Und müsste zudem seiner Bevölkerung erklären, dass sie frieren müsse.



    Oder anders rum: Was können denn wir dafür, dass ihr anderen euch das nicht leisten könnt.



    Mir ist es seit Jahren peinlich Deutscher zu sein.

    • @Tom Farmer:

      Es steht Ihnen frei auszuwandern.

      Warum ist es ein Problem, wenn Deutschland den eigenen Bürgern helfen will und es auch kann? Über die Maßnahmen kann man steiten. Aber glauben Sie ernsthaft, dass kein anderer Staat, in einer ähnlichen Situation, nicht das gleiche machen würde? Macron verkauft demnächst Atomstrom nach Spanien und ist gleichzeitig der Meinung, dass die Gaspipeline von Spanien nach Mitteleuropa, die wir bräuchten, nicht mehr gebraucht wird. Gleichzeitig finanziert unsere Wirtschaftsleistung nicht unerhebliche Teile der Hilfe für andere europäische Staaten.

      • @Bluewater:

        Ich halte derlei Meinung für bedenklich, da es die Interessen aller andern ausblendet.



        Beispiel: Was schert mich ein (Ver-) Hungernder irgendwo auf der Welt, ich kann ja immer mehr für Mehl bezahlen als irgendeiner in unterentwickelten Ländern. Und überhaupt muss der Staat dafür sorgen dass ich günstige Lebensmittel bereitstellt, ich bezahle ja so hohe Steuern.

      • @Bluewater:

        Und nicht zu vergessen: in Deutschland zahlen wir die höchsten Abgaben und Steuern. Daher ist vielleicht auch zu erwarten, dass die Regierung uns „bezahlbare“ Energie zur Verfügung stellt. Gerne können auch andere Länder in der EU ihre Einwohner so hoch belasten mit den Steuern, um über ähnliche Mittel zu verfügen.

    • @Tom Farmer:

      Da muss ich einhaken: Bei akuten Notlagen haben EU-Länder mit vollen Speichern ihre Bevorratung EU-intern an bedürftige Länder weiterzuleiten. Also auch Deutschland.

      Eine priorisierte Nutzung für den Eigenbedarf ist dann auch nicht vorgesehen.