Protestbündnis „Heizung, Brot, Frieden“: „Es ist ein Kampf um die Straße“

Uwe Hiksch von den Naturfreunden will bei Sozialprotesten Russlandunterstützer und Schwurbler mitnehmen. Vor allzu linksradikalem Auftreten warnt er.

Eine Frau hält ein Schild hoch: "Was würde Petra Kelly dazu sagen?!". Darunter ein Bild des SPIEGEL-Covers "Die Olivgrünen" mit Baerbock, Habeck und Hofreiter.

Friedensbewegt vor der grünen Parteizentrale Foto: Florian Boillot

Taz: Herr Hiksch, Sie sind Gründungsmitglied vom Berliner Sozialprotestbündnis „Heizung, Brot und Frieden“. Warum?

Uwe Hiksch: Die politische Linke darf nicht zulassen, dass Millionen von Menschen ihre Heizkosten, ihre Wohnung und ihre Lebensmittel nicht mehr bezahlen können und deshalb zum Beispiel zur Tafel gehen müssen. Es ist eine ureigene linke Aufgabe, Sozialprotesten eine Stimme zu geben – und diese nicht den Rechten zu überlassen. Dass das zu ganz schlimmen Entwicklungen führen kann, können wir schon aus der deutschen Geschichte der 1920er Jahre nachvollziehen.

Auf dem ersten Protest Ihres Bündnisses in der vergangenen Woche vor der Grünen-Parteizentrale haben auch Co­ro­nal­eug­ne­r:in­nen teilgenommen – bis diese von Antifas aus der Demo gedrängt wurden. Wie lautet angesichts dessen ihr Resümee?

Mein Eindruck ist äußerst positiv. Im Vorfeld haben wir auf 300 Teilnehmende gehofft, es kamen aber über 1.000 Menschen. Wir hatten eine sehr vielfältige Zusammensetzung, unterschiedliche Red­ne­r:in­nen haben von unterschiedlichen Menschen Applaus erhalten. Leider haben auch einige rechtsoffene Gruppen versucht, die Demo für ihre Zwecke zu nutzen. Ich als Anmelder habe die An­hän­ge­r:in­nen von der „Freien Linken“ und „Die Basis“ (Organisationen aus dem Querdenken-Spektrum, Anm. d. R.) von der Demo verwiesen.

Gegenüber dem Neuen Deutschland haben sie gesagt, beim nächsten Protest am 3. Oktober auf dem Alexanderplatz dürften auch Menschen teilnehmen, die gegen die Coronamaßnahmen protestiert haben. Fahnen von Querdenken-Organisationen dürfe es aber nicht geben. Wie passt das zusammen?

Hiksch ist stellvertretender Landesvorsitzender der NaturFreunde Berlin. Von 1994 bis 2022 war er Mitglied des Deutschen Bundestag, erst für die SPD, ab 1999 für die PDS. Seit mehr als 40 Jahren ist er in sozialen Bewegungen aktiv.

Wenn Menschen zu Coronamaßnahmen andere Auffassungen haben, ist das für mich kein Grund, sie von Sozialprotesten auszuschließen. Ich persönlich habe die Coronamaßnahmen sehr konsequent eingehalten, bei den NaturFreunden (einem linken Umweltverein, dessen stellv. Vorsitzender Hiksch ist, Anm. d. R.) haben wir konsequent 2G umgesetzt.

Alle Funk­tio­nä­r:in­nen und Fahnen von Gruppen aus diesem Spektrum, die mit dem 3. Weg, der NPD oder der AfD auf die Straße gegangen sind, werden bei uns nicht geduldet. Aber wir wollen Menschen überzeugen, dass der demokratisch-linke der richtige Weg ist. Alle, die sich wehren wollen, sind willkommen – wenn sie nicht rassistisch oder homophob oder dergleichen sind.

Viele antifaschistische Gruppierungen werden das anders sehen und entsprechende Forderungen auch nicht dulden. Wie soll da die von Ihnen angestrebte breite Zusammenarbeit linker Gruppen funktionieren?

Protestbündnis Der Zusammenschluss um die NaturFreunde, Aufstehen, den Ex-“Deutsche Wohnen enteignen“-Aktivisten Michael Prütz und Marcus Steiger hat sich im August gegründet. Auf der ersten Demo prominent vertreten war auch die Deutsche Kommunistische Partei (DKP).

Kommende Proteste Die nächste große Protest ist für den 3. Oktober angesetzt – dem Tag der Deutschen Einheit. Damit will das Bündnis an die Tradition der Friedlichen Revolution anknüpfen. Auch dem AfD-Aufmarsch, der für den 8. Oktober unter dem Titel „Unser Land zuerst!“ angekündigt ist, soll so etwas entgegengesetzt werden.

Wir erwarten von allen Gruppen eine gewisse Grundtoleranz. Die eigene Position ist wichtig und soll auch auf Fahnen, Plakaten und Reden zum Ausdruck kommen. Das gilt aber auch für andere Meinungen. Auch die Antifa wird sehen, dass wir die Straße nicht den Rechten überlassen dürfen. Und das heißt, die Menschen, die sich noch nicht klar in eine Richtung politisiert haben, abzuholen.

Wir haben jetzt einen Kampf um die Straße, wo in den nächsten Monaten entschieden wird, ob er sich nach rechts oder links entwickelt. Die linken Spaltungstendenzen halte ich da für eine ganz schreckliche Sache. Widersprüche müssen ausgehalten werden, dafür werbe ich seit 30 Jahren in der politischen Linken.

Es geht ja nicht nur um Querdenker:innen. Auf der Demo wurde auch prominent gefordert, alle Sanktionen gegen Russland aufzuheben oder Nord Stream 2 zu öffnen. Was ist daran überhaupt links?

Wir haben uns als Bündnis geeinigt, dass Menschen unterschiedliche Positionen in Bezug auf den Ukrainekrieg und Russland haben. Alle sollen in Reden die Chance haben, ihren Positionen Ausdruck zu verleihen. Wir bitten aber alle, sich in dieser spaltenden Frage zurückzuhalten. Die Frage nach Nord Stream 2 trifft nicht den Kern von Sozialprotesten, wo es um den täglichen Existenzkampf von Menschen geht.

Aber wo sieht das Bündnis die Ursachen der aktuellen Krise? In der Abhängigkeit von fossilen Energien und Diktatoren, in Putins Angriffskrieg – oder doch in den Sanktionen?

Als Klimaaktivist bringe ich die Position ein, das fossiles Gas ein umweltzerstörendes Produkt ist, das aus der Energiegewinnung möglichst schnell verschwinden muss. Die NaturFreunde verurteilen auch Putins völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf die Ukraine. Wir als Protestbündnis sollten uns aber nicht an der Frage zerstreiten, woher das Gas in den nächsten Jahren kommt, sondern verhindern, dass Menschen aus ihren Wohnungen fliegen oder dass ihnen Strom und Gas abgeknapst werden. Wenn wir ein neues Entlastungspaket erkämpfen, das diesen Namen auch verdient, haben wir schon viel erreicht.

Aus der Klimabewegung wird davor gewarnt, dass Sozialproteste die Interessen der nationalen Bevölkerung gegen die der Menschen anderswo gegeneinander ausspielen könnten – passiert nicht genau das, wenn das Ende aller Sanktionen gefordert wird?

Tatsächlich sind wir mit unseren Forderungen bisher eher national ausgerichtet, das werden wir ändern und in Zukunft die internationale Frage stärker in den Mittelpunkt stellen. Ein Protest, der soziale Gerechtigkeit durchsetzen will, kann nicht nur national ausgelegt sein. Das ist auch ein Grund, warum die AfD überhaupt nicht in der Lage sein kann, solidarische Proteste auf die Beine zu stellen.

Was die Ukraine angeht, so sind die Positionen nun mal unterschiedlich. Ein Drittel unsere Gruppierungen unterschreibt sofort „Stand Up for Ukraine“, ein Drittel hat zu dieser Frage eine offene Meinung, ein Drittel steht aufgrund ihrer traditionellen Herangehensweise eher aufseiten Russlands. Auch dass ein Ende der Russlandsanktionen den globalen Gaspreis senken und die Länder des globalen Südens entlasten könnte, ist ja eine valide Position.

Ist das Ziel des Bündnis die Bekämpfung der aktuellen Probleme oder eine andere Gesellschaft?

Für das Gesamtbündnis würde ich sagen: die Bekämpfung der aktuellen Probleme. Für mich ist das ein Teil davon, eine andere Gesellschaft zu schaffen, für die ich auch noch den Begriff des Sozialismus gebrauche. Ein breites Bündnis braucht aber auch die Sozialverbände und Gewerkschaften, die ja auch mehr Gerechtigkeit wollen, meist aber innerhalb der bestehenden Gesellschaftsformation. Wenn wir beides zusammenführen, können wir was auf die Beine stellen.

Droht die Bewegung so nicht, lediglich aktuelle Symptome, nicht aber die systemischen Ursachen zu bekämpfen?

Wenn wir den Fokus auf die kapitalistischen Ursachen der Krise legen, kann ich Ihnen aus 45 Jahren Erfahrung in der politischen Linken sagen, das werden sehr kleine Demonstrationen. Persönlich habe ich immer versucht, die Frage des kapitalistischen Systems und dessen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt in den Mittelpunkt zu stellen, ich muss aber feststellen: Das alleine bringt keine Massen auf die Straße.

Die Kapitalismusfrage soll ausgeklammert werden?

Nicht ausgeklammert, Ver­tre­te­r:in­nen linker Organisationen werden diese Thematik ansprechen, aber das kann nicht das Hauptziel dieser Proteste sein. Wie in der Corona- und in der Friedensfrage appelliere ich dafür, nicht allzu linksradikal aufzutreten, um die Menschen nicht abzuschrecken. Ein Großteil wird nicht kommen, um den Kapitalismus abzuschaffen, sondern um gegen den drohenden sozialen Abstieg zu demonstrieren.

Letzte Frage: Warum wird die politische Linke den Kampf um die Straße, wie Sie sagen, gewinnen?

Ich antworte ausdifferenziert: In den Großstädten wird das klappen, da haben wir die nötigen Menschen und Organisationen. Da werden wir die Straße links besetzen können. Die eigentliche schwierige Auseinandersetzung werden die ländlichen Regionen. In Sachsen gibt es ja schon fast eine rechte Hegemonie in diesen Fragen. Wir müssen es trotzdem probieren und auch mit den starken die schwachen Strukturen unterstützen. Der Kampf muss aufgenommen werden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.