Linke Initiativen in Berlin: Allein im Viertel der Reichen

In Berlin organisieren linke Initiativen Demos gegen die Krise. Doch wenn es gegen Villenbewohner und Konzerne geht, wollen nur wenige mitlaufen.

Viele Menchen mir Fahrrädern: Protestaktion der Initiative MyGruni im Villenviertel Berlin-Grunewald zum 1. Mai 2021

So geht Protest: Protestaktion der Initiative MyGruni im Villenviertel Berlin-Grunewald zum 1. Mai Foto: picture alliance/dpa/Annette Riedl

BERLIN taz | Mit einer mannshohen, leuch­tenden Torte ziehen De­mons­tran­t:in­nen durch das abendliche Villenviertel im Grunewald. Symbolisch steht die Torte für den Reichtum am oberen Ende der Klassengesellschaft. Das Vermögen der unteren 50 Prozent hat eine Rednerin auf der Kundgebung zuvor auch präsentiert: Es ist nicht größer als ein normales Tortenstück. Gesellschaftsanalyse kann auch anschaulich sein.

Etwa 250 Menschen sind dem Aufruf zu einem Laternenumzug in Berlins Schickimicki-Bezirk am vergangenen Sonntag gefolgt. Auf selbst gebastelten Laternen erstrahlen Sprüche wie „eat the rich“ oder „Villa ciao“. Weil das Beheizen privater Pools diesen Winter zwar verboten ist, aber wohl eher nicht kontrolliert wird, haben sich einige Teil­neh­me­r:in­nen Bademäntel übergezogen – bereit zur Poolkontrolle. Eine Rednerin des Bündnisses „Wer hat, der gibt“ spricht von der „Chance, den Mil­lio­nä­r:in­nen einen Grundkurs im Teilen zu geben“, die Protestierenden singen: „Laterne, Laterne, enteignet die Konzerne“.

Organisiert hat den satirisch angehauchte Protest das Quartiersmanagement Grunewald, eine Initiative aus Kreisen der Hedonistischen Internationalen, die bereits seit 2018 am 1. Mai durch den Grunewald zieht. Im diesem heißen Herbst, der auf linker Seite bislang nur ein lauwarmer ist, gehören das QM Grunewald und das Umverteilungsbündnis zu jenen Akteuren, die das Thema der sozialen Schieflage der Gesellschaft schon länger besetzen. Doch die Massen bleiben an diesem Abend zu Hause.

Überall in der Linken wird derzeit versucht, passende Angebote für die erwarteten Sozial­proteste zu organisieren. Allein in Berlin sind es ein halbes Dutzend Akteure, die seit Monaten versuchen, den Protesten Namen und Form zu geben. Gefühlt jeden zweiten Tag kommt es zu Bündnistreffen, en masse werden Aufrufe erstellt – und zerredet, Social-Media-Kanäle eingerichtet, wird über die richtige Strategie für die Abgrenzung nach rechts diskutiert.

Kleine Fahneninseln dominieren

Mit einem Auftakt Anfang September gehörte „Heizung, Brot & Frieden“ zu den ersten auf der Straße. Am Tag nach der Grunewald-Umzug hat das Bündnis zu seinem zweiten Protest auf den Potsdamer Platz gerufen. Zwischen den 800 Teil­neh­me­r:in­nen dominieren kleine Fahneninseln: Hier eine Handvoll von der DKP, da von der Föderation demokratischer Arbeitervereine. Zeitschriften der 4., 5. oder 6. Internationale werden verteilt und die Junge Welt, die hier auf ihre treuen, zumeist älteren und vor allem USA-kritischen Le­se­r:in­nen trifft.

Immer wieder wird von der Bühne aus darauf verwiesen, dass man ein linker und kein rechter Protest sei, werden Personen aus dem verschwörungsideologischen Spektrum zum Gehen aufgefordert.

Auffallend ist jedoch der einseitige Blick auf internationale Politik: Auf Schildern und Transparenten ist von der „Nato-Ukraine“ die Rede, Russlands Rolle als Aggressor wird nicht erwähnt. Das Thema Krieg dominiert, auch in dem Redebeitrag von Ines Schwerdtner, der Chefredakteurin des Jacobin-Magazins und Initiatorin von „Genug ist Genug“, einer Protestplattform, die bundesweit linke Sozial- und Gewerkschaftsproteste anschieben will.

Sie verliest einen Text von Christian Baron, Autor des Buches „Ein Mann seiner Klasse“, mit Sätzen wie: „Was sind das für Zeiten, in denen der Wunsch nach Frieden fast ein Verbrechen ist?“ Auch die Feststellung, dass nur jene nach Waffen und Sanktionen rufen würden, die ihre „Schäfchen bereits im Trockenen“ hätten, stößt beim Publikum auf Zustimmung.

Der Auftritt Schwerdtners überrascht, hatte sie gegenüber der taz nach der ersten Kundgebung von „Heizung, Brot & Frieden“ noch kritisch angemerkt, dass eine Distanzierung von rechts in den Fragen, die das Verhältnis zu Russland betreffen, „besonders schwer zu ­erreichen“ sei. Während am Rande Antifas und Mitglieder der verschwörungsideologischen, rechts­offenen „Freien Linken“ aneinandergeraten, geht der Demozug langsam und schweigend los. Das Gefühl einer lebendigen Bewegung stellt sich nicht ein.

Den Linken fehlt es an Durchschlagskraft

Das ist momentan die Bilanz überall im Land. Zwar sind in Dutzenden Städten neue Bündnisse aufgeploppt, vom „Krisenbündnis Greifswald“ über „Ebbe langts“ in Frankfurt am Main bis „Halle zusammen“, doch keinem ist es bislang gelungen, nennenswert jene Menschen zu organisieren, die an der aktuellen Preiskrise zu leiden haben. Der Linken fehlt es nicht nur an Einigkeit, sondern auch an Durchschlagskraft.

Noch allerdings stehen die großen Bündnisse in den Startlöchern. Sowohl in Berlin als auch in Hamburg haben sich unter maßgeblicher Beteiligung von „Wer hat, der gibt“ die wichtigsten Akteure der linken bis linksradikalen Zivilgesellschaft zusammengefunden. In Hamburg sind es mehr als 50 Gruppen, von der Initiative #IchBinArmutsbetroffen über die IG Metall bis zur Seebrücke, die gemeinsam „Solidarisch aus der Krise“ finden wollen und am 29. Oktober auf die Straße gehen.

Zwei Wochen später heißt es in Berlin „Umverteilen“, und mit „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ oder „Fridays for Future“ sind jene Ak­teu­r:in­nen dabei, die zuletzt am meisten Menschen mobilisieren konnten. Und schon am 22. Oktober ruft der Mainstream aus Gewerkschaften, Wohltätigkeitsorganisationen und Umweltverbände in mehreren großen Städten zu Demos auf.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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