Zurückgewiesene Geflüchtete in Görlitz: An der Grenze der Legalität

Eine Gruppe Jemeniten überquert die deutsch-polnische Grenze und möchte Asyl beantragen. Doch was tut die Bundespolizei? Schickt sie zurück.

Stadtansicht mit Grenzpfahl

Natürlicher Grenzverlauf: Die Neiße bei Görlitz trennt Deutschland und Polen Foto: Ingmar Björn Nolting/laif

BERLIN taz | Als Mo* zusammen mit seinen zwei Weggefährten Anfang Juli die Altstadtbrücke in Görlitz in Sachsen überquert, ist er erleichtert. Hinter ihm das polnische Ufer, vor ihm, auf der anderen Seite, das deutsche. Das bedeutet: endlich in Sicherheit. Doch lange wird das Gefühl nicht anhalten. Gegen 19.30 Uhr, das wird die zuständige Polizeistelle später schreiben, werden „drei Personen an der Görlitzer Altstadtbrücke von einer Streife der Bundespolizei Ludwigsdorf, Revier Görlitz, festgestellt und kontrolliert“.

Er habe eine Odyssee hinter sich, sagt der studierte Buchhalter später am Telefon, an die er sich so erinnert: von Jemen nach Ägypten, von dort weiter mit dem Studentenvisum nach Russland, dann Richtung Belarus. An der Grenze wird er aufgegriffen und in ein belarussisches Gefängnis gebracht, gegen eine Kaution kommt er frei. Dann wieder nach Russland und erneut nach Belarus. Er erinnert sich an viel Stacheldraht. Polen durchqueren er und seine Weggefährten größtenteils zu Fuß. Die Rucksäcke mit dem Essen lassen sie zurück, die seien zu schwer gewesen. Kontrolliert worden seien sie, so sagt Mo, in Polen nicht. Deutschland sei das Ziel gewesen. Denn hier stehen die Chancen für Geflüchtete aus dem Jemen, wo seit sieben Jahren ein erbitterter Bürgerkrieg tobt, besser als in anderen EU-Staaten. Als die Polizei sie in Görlitz aufgreift, rechnen die Männer damit, dass jetzt ein zähes, aber vielversprechendes Asylverfahren beginnt.

Stattdessen wird die Polizei sie in weniger als 24 Stunden über die weiter südlich gelegene Stadtbrücke in Görlitz zurück nach Polen schicken. Zurückweisung nennt die Bundespolizei das. Legalisierte Pushbacks nennen das Ak­ti­vis­t*in­nen und Flüchtlingsräte. Mehrere Fälle dieser Art seien den Flüchtlingsräten in Sachsen und Brandenburg mittlerweile bekannt. Und die funktionieren so: Statt ein Asylverfahren einzuleiten und die Geflüchteten in eine Erstaufnahmeeinrichtung zu bringen, werden sie mit auf die Polizeiwache genommen. Nach Eingestehen des Tatbestandes der illegalen Einreise werden sie direkt wieder an die deutsch-polnische Grenze gebracht und erhalten ein Einreiseverbot. Zu Fuß laufen sie zurück nach Polen. Reisen sie erneut ein, folgt eine Strafanzeige.

Dabei steht das Recht auf Asyl, festgeschrieben in der Genfer Konvention von 1951, über dem nationalen Recht. Selbst wenn die Einreise illegal erfolgt: Der Asylantrag muss geprüft werden. Deutschland ist laut Dublin-Verfahren zuständig, sofern kein Eintrag in der Eurodac-Datenbank über die Einreise in einem anderen EU-Staat vorliegt.

Der Ton sei rau und unhöflich gewesen

Mo habe mehrfach gesagt, dass er Asyl beantragen wolle, sagt er im Nachhinein am Telefon. In den Dokumenten der Einreiseverweigerung, die der Redaktion vorliegen, ist das nicht vermerkt. Vorgeworfen werden ihm die „unerlaubte Einreise ins Bundesgebiet“ sowie „der Aufenthalt im Bundesgebiet ohne Aufenthaltstitel/Duldung“.

Grundsatz der NichtzurückweisungDer „Grundsatz der Nichtzurückweisung“ ist ein Kernprinzip der Genfer Flüchtlingskonvention. Ein geflüchteter Mensch darf nicht in ein Land zurückgeschickt werden, in dem sein „Leben oder seine Freiheit“ aufgrund der oben genannten Kriterien der Verfolgung gefährdet ist

Asyl in DeutschlandAsyl ist in Deutschland ein Grundrecht. Mit dem sogenannten „Asylkompromiss“ von 1993 wurde die „Drittstaatenregelung“ eingeführt. Wer durch einen anderen Staat der EU oder einen sogenannten „sicheren Drittstaat“ einreist – was auf dem Landweg bei Deutschland immer der Fall ist –, muss dort Asyl beantragen.

Dublin-RegelungLaut der Dublin-Regelung von 2003, mittlerweile in dritter Überarbeitung, ist dasjenige Land zuständig, über das eine asylsuchende Person zuerst in die EU eingereist ist. Länder wie Griechenland und Italien kritisieren diese Regelung, während sich Berichte über untragbare Zustände in beispielsweise griechischen Erstaufnahme Lagern häufen. 2011 urteilt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass wegen der dortigen Bedingungen nicht mehr nach Dublin-Regelung nach Griechenland abgeschoben werden darf. Auch Italien und weitere Grenzstaaten sind umstritten. Somit rücken auch Länder im Herzen der EU wieder in die Verantwortung. (ejh) mit bpb

Eine irakische Übersetzerin sei bei der Anhörung am Abend dabei gewesen, sagt Mo. Von Anfang an habe er ein ungutes Gefühl gehabt: „Der deutsche Polizeibeamte stellte eine Frage, die Dolmetscherin stellte acht“, sagt er. Der Ton sei rau und unhöflich gewesen. Den Namen der Frau erfährt er nicht. Warum er in Deutschland sei, habe sie wissen wollen. Mo habe auf den Krieg im Jemen verwiesen, den Hunger und die instabile politische Lage. Auch nach der Abgabe von Fingerabdrücken habe sie gefragt, sagt er. Er habe verneint, sagt, er habe auch in keinem anderen Land Fingerabdrücke abgegeben. Er könne ja zu seinem Bruder in Großbritannien gehen, sei ihm geraten worden. Mo kennt die Geschichten: Großbritannien plant nach Ruanda abzuschieben, wo Menschen weit weg von den europäischen Außengrenzen auf ihr Asylverfahren warten sollen.

Immer mehr Dokumente habe die Übersetzerin ihm im Namen der Behörde vorgelegt. Ihm sei gesagt worden, er müsse unterschreiben und dann sehe man weiter. Er solle nicht so viele Fragen stellen, dazu habe er nicht das Recht. „Ihr unterschreibt und dann sehen wir weiter“, an diesen Satz erinnert sich Mo noch sehr gut, sagt er. Die Dolmetscherin habe ihm erklärt, dass er hier in Deutschland keine Chance auf Asyl hätte.

Auf Nachfrage der taz beschreibt die Bundespolizeidirektion den Vorfall so: In den Diensträumen der Inspektion sei in Gegenwart einer Dolmetscherin eine Einreisebefragung durchgeführt worden. Dieser Fragebogen sei mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BaMF) abgestimmt. „Letztlich wurden alle Antworten, die im Rahmen dieser Einreisebefragung einzuholen waren, unverzüglich bewertet. Im Ergebnis dieser Bewertung lag in beiden Fällen kein Schutzersuchen nach vorliegender Definition vor. Somit wurde die Zurückweisung nach Polen angeordnet. Das weitere Verfahren wurde den zwei betreffenden Personen – im Beisein der Dolmetscherin – noch in der Dienststelle hinreichend erörtert.“

Freiwillige Ausreise oder Ausreise unter Zwang

Dave Schmidtke, Pressereferent des Flüchtlingsrats Sachsen, ist geschockt über dieses Vorgehen: „Gerade Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Jemen abzuweisen ist ein Novum“, sagt er, „auch wenn die Be­am­t*in­nen die Gruppe ein Papier unterschrieben ließen, dass sie angeblich keinen Asylantrag stellen wollten. Wir haben keine Zweifel daran, dass das Gesuch bewusst nicht gehört wurde. Damit ist der Vorgang nichts Geringeres als ein legalisierter Pushback. Hier wurde gegen internationales Recht verstoßen.“

Worauf Schmidtke anspielt, ist das sogenannte Non-Refoulement-Prinzip. Auch das ist in Artikel 22 und 23 der Genfer Flüchtlingskonvention festgehalten, und da steht: Sobald Geflüchtete in ein Land eingereist sind, muss ihr Asylgesuch in diesem Land geprüft werden. Erst wenn eine Entscheidung über ihr Asylgesuch feststeht, dürfen sie in ein anderes Land gebracht werden.

Ob der Dolmetscherin und den Bundesbeamten dieses Gesetz bekannt ist oder nicht – in dieser Nacht Anfang Juli scheint es keine Rolle zu spielen. Es gehe jetzt zurück nach Polen, habe die Dolmetscherin ihm gesagt, erinnert sich Mo. Es seien Fotos von ihm gemacht worden, man habe seine Fingerabdrücke aufgenommen. Es gäbe jetzt zwei Möglichkeiten, habe die Dolmetscherin gesagt: freiwillige Ausreise oder Ausreise unter Zwang. Es ist sieben Uhr morgens. Mo hat nur zwei Stunden geschlafen. Er unterschreibt die Dokumente, die er selbst nicht lesen kann.

Zurück auf der deutschen Seite der Grenze, wo er sich am Abend zuvor noch in Sicherheit fühlte, habe man ihm und einem weiteren Mitreisenden aus dem Jemen gesagt: Geht über die Brücke. Die Übersetzerin habe zuvor gesagt: Wenn ihr wieder nach Deutschland kommen solltet, geht ihr ins Gefängnis und werdet abgeschoben. Heute weiß Mo, dass das, was ihm in dieser Nacht passiert ist, nicht rechtmäßig war. Einen Monat hat er Zeit, Einspruch zu erheben. Dort, wo er jetzt ist, lebt er auf der Straße, schläft in Parks. Er überlegt, es erneut zu versuchen. „Deutschland ist mein Traum“, sagt Mo.

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