Blank geputzte Städte: Wenn der Dreck fehlt

Können Städte zu sauber sein? Und verschleiern sie dadurch ihre neoliberale Verheerung? Unsere Kolumnistin vermisst den Dreck jedenfalls manchmal.

Parkanlage mit Krokussen und spazierender Person

Sie sind da, auch wenn Sie sie nicht sehen: Suchbild mit Ausgrenzern Foto:

Am ersten Sommertag des Jahres saß ich am Rande einer großen Grünfläche in der Nähe meiner Wohnung, auf der Kinder spielten. Mein Begleiter, der die meiste Zeit seines Lebens auf St. Pauli gewohnt hat, murrte, für seinen Geschmack sei es hier zu sauber.

Ich verstand, was er meinte. Man sieht es vor allem an den Kindern. Wenn die einfarbige Kleidung tragen, unbedruckte T-Shirts und Hosen und vielleicht sogar braune Lederschuhe (!), dann ist das ein untrügliches Zeichen für einen gewissen Wohlstand und eine gewisse Bildung. Es steht für einen bestimmten Stil der Kindererziehung, Wohnungseinrichtung und Freizeitgestaltung. Selten bis nie sieht man hier diese Kinder, die vollkommen in Merchandise eingehüllt sind, mit ihren Eltern, die sie mit Weizengebäck und Eistee nähren.

Stattdessen spielen hippe, mitteljunge Väter mit ihren selbstbewussten Töchtern Fußball, schlürfen lässig gekleidete Mütter mit ihren Freun­d*in­nen Cremant aus dem Biomarkt. Es sind vor allem junge oder mitteljunge Familien, die „Refugees Welcome!“-Schilder und Regenbogenfahnen an ihre nagelneuen Balkone geheftet haben, einen gebrauchten, aber immer noch teuren Fahrradanhänger ihr Eigentum nennen und sich gerne mit anderen Familien zu Geburtstagsfeiern-wo-jeder-einfach-was-mitbringt verabreden.

Was es auf diesem Platz nicht gibt: obdachlose Menschen, Trinker*innen, Jugendcliquen, serbische Familiengrillfeste, Punks. Die kommen nicht, die werden irgendwie, auf geheime Weise, magnetisch abgestoßen.

Als reflektierter Mensch kann ich gar nicht anders, als diese kritischen Gedanken gegenüber dem gesellschaftlich so homogenen Leben um mich herum zu hegen. Aber ich kann auch den inneren Konflikt nicht leugnen. Ich bin 52 Jahre alt und kann Plätzen, die von Jugendcliquen frequentiert werden, relativ wenig abgewinnen. Was will ich also von einem Ort, an dem ich die Abwesenheit verschiedener Menschengruppen kritisiere, nach denen ich mich aber auch nicht gerade sehne, während ich es mir mit meinem Buch gemütlich mache? Will ich nicht eigentlich nur meine Ruhe?

Ahnungslose Ausgrenzung

In meinem alten Dorf würde mich keiner verstehen, wenn ich erklärte, es wäre mir irgendwo „zu sauber“. In der Stadt gilt es in bestimmten Szenen als Zeichen guten Geschmacks, den Dreck zu vermissen, weil er die Schäden einer neoliberalen Gesellschaftsordnung öffentlich sichtbar macht, es gehört zum guten Geschmack, die Kaputten, die Verrückten, die Lauten und die Störenden zu vermissen, die Randfiguren der Gesellschaft, auch und gerade, weil man sehr gut gelernt hat, die tägliche Armut und das allgegenwärtige Elend zu verdrängen oder auch einfach zu akzeptieren. Wie könnten wir sonst, angesichts dessen und immer noch, so gut damit leben?

Partielle homogene Ordnungen stören vielleicht unser Gerechtigkeitsempfinden, denn sie erwecken den Eindruck der Ausgrenzung, obwohl ja etwa von dieser Grünfläche, zum Beispiel, niemand ferngehalten wird. Oder doch? Halten Menschen durch ihr bloßes Sein andere Menschen schon fern? Halte ich durch mein bloßes, nach außen hin sichtbar werdendes Sein, durch meinen sichtbar werdenden Lebensstil schon einen Menschen fern?

Vielleicht. Mir selbst geht das so. Menschen, die laut, dumm und/oder aggressiv sind, halten mich von Plätzen fern. Aber auch sie sind Teil dieser Stadt. Und mir, als Bewohnerin einer Großstadt, bleibt im Sommer nichts übrig, als immerfort Kompromisse zu machen, ein bisschen schneller zu trinken oder drinnen zu bleiben. Drinnen ist es, im Sommer in der Stadt, manchmal gar nicht so übel.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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