Friedensaktivist über die Ostermärsche: „Die Bewegung ist heterogen“

Fünfte Kolonne Moskaus? Friedensaktivist Michael Schulze von Glaßer weist Kritik an der Friedensbewegung zurück – verteidigt aber das Nein zu Waffenlieferungen.

Eine Frau hält ein Schild mit ukrainischer Flagge und Friedenstaube hoch

Teilnehmerin des Münchner Ostermarschs am 16. April Foto: dpa

taz: Herr Schulze von Glaßer, der Zulauf zu den Ostermärsche ist dieses Jahr nur leicht gestiegen. Warum gelingt der Friedensbewegung in Kriegszeiten keine Massenmobilisierung?

Michael Schulze von Glaßer: Zum einen haben wir immer noch Corona. Zum anderen sind Forderungen wie „Frieden schaffen ohne Waffen“ enorm unter Druck geraten. Die Friedensbewegung ist zum Beispiel immer noch klar gegen Waffenexporte. Das gefällt nicht allen und nicht jeder findet sich auf den Ostermärsche wieder.

ist politischer Geschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) und Beirat der Informationsstelle Militarisierung (IMI).

Gerät der Pazifismus im Ukrainekrieg an seine Grenzen?

Aus der Politik werden sehr einfache Lösungen präsentiert: Man müsse nur ein paar schwere Waffen liefern, auch aus Deutschland, und schwuppdiwupp ist da Frieden. Das Problem ist, dass dieser Krieg komplizierter ist und das so nicht funktioniert. Es gibt viele gute Gründe gegen diese Waffenexporte. Sowohl moralisch, weil dann mit deutschen Waffen Menschen getötet werden, als auch sicherheitspolitisch und hinsichtlich der Lage in der Ukraine: Mehr Waffen ziehen den Krieg in die Länge.

Kann sich die Ukraine nicht wehren, geht das Sterben wohl auch weiter. In besetzten Gebieten gibt es Morde, Entführungen und Vergewaltigungen.

Natürlich möchte niemand unter russische Herrschaft gelangen. Das ist total verständlich. Es ist aber ein Dilemma, wenn stattdessen ganze Orte zerstört werden und immer mehr Leute sterben, je länger der Krieg dauert. Dieses Dilemma wird aktuell sehr stark außer acht gelassen und es wird quasi nur gesagt, es sei moralisch falsch, keine Waffen zu liefern.

In Berlin gab es eine Gegenveranstaltung zum Ostermarsch, organisiert unter anderem von Ukrainer*innen. Die Friedensbewegung zieht die Opfer des Krieges mit ihren Positionen nicht auf ihre Seite.

Viele Forderungen aus der ukrainischen Community kann ich durchaus verstehen, aber ich teile sie nicht. Viele fordern ja auch eine Flugverbotszone, was die Bundesregierung und die Nato zurecht zurückweisen, weil das zum 3. Weltkrieg führen könnte. Es gab übrigens auch Ukrainer auf den Ostermärschen und es gibt auch in der Ukraine eine kleine pazifistische Bewegung, die eine Verhandlungslösung fordert. Aber wie gesagt: Ich kann verstehen, dass sich in den Forderungen der Ostermärsche nicht alle wiederfinden. Dazu kommt, dass die Ostermärsche jeweils lokal organisiert werden und inhaltlich zum Teil unterschiedliche Ausrichtungen haben.

Sie stimmen nicht mit allen überein?

Es gibt eine ältere Friedensbewegung, die traditioneller verhaftet ist, noch eher einem Denken aus dem Kalten Krieg anhängt und Putin eher unkritisch sieht. Meine Organisation war zum Glück schon immer sehr kritisch gegenüber dem Militarismus und Nationalismus in Russland eingestellt. Bei Aktionen mit anderen Gruppen hatten wir aber öfters das Phänomen, dass wir erst mit 50 Leuten vor der US-Botschaft standen und auf dem Weg zur russischen Botschaft dann einige abhanden gekommen sind. Allerdings: Ich glaube, dass das heute nicht mehr so passieren würden, weil jetzt viele dazu gelernt haben. Das ist zu begrüßen und hat Anerkennung verdient, auch wenn es lange gedauert hat.

Haben denn wirklich alle dazu gelernt? Die Aufrufe zu den Ostermärschen fielen dieses Jahr vielfältig aus. Manche beinhalteten immer noch nicht mehr als eine Alibi-Kritik an Putin.

Bei den Ostermärschen ist alles dezentral. Die Aufrufe stammen jeweils von den Gruppen vor Ort. Da ticken die einen so und die anderen so. Es ist eine sehr heterogene Bewegung, dessen muss man sich immer bewusst sein. Aber viele der Aufrufe wurden nach dem Kriegsbeginn deutlich umgeschrieben und am Ende wurde wirklich noch mal stark betont, dass Russland der Angreifer ist. Wichtig war das allein schon aus Solidarität mit unseren Mitstreiterinnen und Mitstreitern in Russland, die gerade reihenweise im Knast landen, weil sie diesen Krieg beim Namen nennen.

Könnte sich die Friedensbewegung spalten, falls trotz des Ukrainekriegs nicht alle dazulernen?

In gewisser Weise gab es ja schon eine Spaltung. 2014, nach dem russischen Einmarsch auf die Krim und den Auseinandersetzungen in der Ostukraine, gab es den Versuch der russlandfreundlichen Bewegung, die ganze Friedensbewegung zu vereinnahmen – sicher auch mit Unterstützung aus Russland. Leider sind viele darauf reingefallen. Es kamen viele neue Leute dazu, auch aus einem rechtspopulistischen Spektrum, die Russland gefeiert haben. Daraufhin gab es schon eine sehr heftige Spaltung. Dass sich das jetzt wiederholt, sehe ich nicht, sondern eher, dass sich einige Gruppen jetzt noch mal deutlicher von dieser Russlandfreundlichkeit abgrenzen als vorher schon.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.