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SPD-Fraktionschef über russische Ängste„Die Nato bietet keine Garantie“

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich warnt vor einem Konfrontations­kurs mit Russland – und träumt von Allianzen ohne Militär.

Foto: Stefanie Loos

taz: Herr Mützenich, was ist bei der Ampel anders als bei der Großen Koalition?

Rolf Mützenich: Wir sprechen auf Augenhöhe und arbeiten gemeinsam.

Das war mit der Union nicht so?

Die Union hat uns gegenüber immer klar gemacht, dass sie die stärkste Fraktion ist, und damit unnötige Konflikte provoziert.

Im Interview: Rolf Mützenich

62, ist seit 2019 Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Von 2004 bis 2009 war Mützenich für die SPD im Bundestag abrüstungs- und nahostpolitischer Sprecher, von 2009 bis 2013 deren außenpolitischer Sprecher und danach Vizefraktionschef.

1991 promovierte er als Politikwissenschaftler an der Uni Bremen mit einer Arbeit zum Thema „Atomwaffenfreie Zonen und internationale Politik“. (taz)

Die größte Fraktion ist jetzt die SPD. Ist Augenhöhe da das richtige Wort?

Wir wollen den Koalitionsvertrag zusammen erfolgreich umsetzen. Dafür brauchen wir alle Abgeordneten aus den drei Ampelfraktionen. Dass die SPD-Fraktion qualitativ und quantitativ besonders stark ist, muss kein Nachteil sein.

Die Grünen mussten – Stichwort Tempolimit, Nord Stream 2 und EU-Siegel für Atomkraft – eine Menge einstecken. Tun Ihnen die Grünen leid?

Mitleid ist keine politische Kategorie. Aber ich kann verstehen, dass der Weg aus der Opposition in die Regierung schwierig ist. Das ist mitunter ein harter Realitätsschock.

Stört Sie an der Ampel etwas?

Nein, es gibt keine Störgeräusche.

Was wird mit der Impfpflicht? Kommt die noch?

Wenn es nach der Mehrheit der Mitglieder meiner Fraktion geht – ja. Wir hatten am Dienstag eine ausführliche, offene Debatte mit Expertinnen und Experten über ethische und rechtliche Fragen der Impfpflicht. Ich rechne damit, dass viele Kolleginnen und Kollegen einen Gruppenantrag für die Einführung einer Impfpflicht unterstützen werden, dem sich auch viele Abgeordnete vonseiten unserer Koalitionspartner anschließen können. Wir sind dazu in einem engen, respektvollen Austausch.

Aber wann gilt die Impfpflicht?

Das muss gut überlegt und vorbereitet sein. Wir müssen genügend Impfstoff bereithalten, und wir werden vor der Impfpflicht eine Informationskampagne machen. Auch die auf Einrichtungen des Gesundheitssystems bezogene Impfpflicht, die wir Ende 2021 beschlossen haben, tritt ja erst am 15. März in Kraft.

Das klingt nach sehr lange …

Die Impfpflicht wird rechtzeitig in Kraft treten, um eine weitere Welle der Pandemie im Verlauf dieses Jahres zu kontrollieren und vielleicht sogar zu verhindern.

Also im Herbst?

Ohne ein konkretes Datum zu nennen: Die Impfpflicht wird früh genug kommen, um zu verhindern, dass sich Situationen wie in den letzten beiden Wintern wiederholen. Wir müssen in eine endemische Lage kommen.

Olaf Scholz hatte die Impfpflicht schon für März angekündigt. FDP-Justizminister Buschmann forderte eine schnelle Entscheidung, Grüne wie Britta Haßelmann wollen mehr Zeit. Warum gibt die Ampel bei der Impfpflicht so ein konfuses Bild ab?

Das sehe ich völlig anders. Wir führen eine sachliche, ehrliche Debatte über einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff, der aber ein wirksames Mittel ist, um die Pandemie in ­Zukunft in den Griff zu bekommen. Bundeskanzler Scholz hat gesagt, dass wir diesen Prozess im März im Bundestag abschließen wollen. Das ist auch mein Ziel.

Omikron verbreitet sich so schnell, dass es sich im März schon erledigt haben kann. Und dann?

Das ist ein Trugschluss. Ich warne davor, Omikron für das Ende der Pandemie zu halten.

Und wie soll die Impfpflicht konkret aussehen? Gibt es Strafen für Impfverweigerer?

Es wird Sanktionen geben und einen Bußgeldkatalog.

Bußgeld heißt – am Ende auch Haftstrafen?

Ich will der Ausgestaltung nicht vorgreifen. Die Sanktionen müssen wirksam, aber auch verhältnismäßig sein.

Wer Bußgelder nicht bezahlt, kann im Gefängnis landen.

Wir werden genau prüfen, welche Sanktionen angemessen sind.

In Italien gibt es eine Impfpflicht für über 50-Jährige. Ist das nachahmenswert?

Wir sollten uns auf jeden Fall auch mit den Erfahrungen anderer Länder auseinandersetzen. Wir werden auch sehen, was wir von der auf Einrichtungen bezogenen Impfpflicht lernen können. Es ist gut, dass wir derzeit noch einen breiten Ermessensspielraum haben. Aber ich plädiere dafür, dass wir im Bundestag im März über eine überschaubare Zahl von Anträgen abstimmen. Dies ist eine Gewissensentscheidung. Die Union sollte das berücksichtigen und keinem plumpen Oppositionsreflex folgen.

Themenwechsel: Wie gefährlich ist der Konflikt zwischen Russland, der Ukraine und der Nato?

Das Eskalationspotenzial ist groß und ist vor allem durch Russland befördert worden. Die Besetzung der Krim war völkerrechtswidrig, kann aber offensichtlich zurzeit nicht gelöst werden. In der Ostukraine hilft Russland den Separatisten mit militärischer Ausrüstung und politischer Unterstützung. Allerdings erfüllt auch die ukrainische Regierung die Minsker Vereinbarung nicht. Diese hatte sich dort verpflichtet, mehr Autonomierechte im gesamten Land zuzugestehen. Wir haben es also mit einer sehr komplexen, konflikt­reichen Gemengelage zu tun.

Putin betont immer wieder, dass die Nato Russland einkreise. Ist da was dran?

De facto gibt es diese „Einkreisung“ nicht. Gleichwohl sollten die Nato-Länder beachten, dass diese Ängste in Russland sehr wohl seit Langem existieren. Wir sollten diese Gedankengänge nachvollziehen, unabhängig davon, ob wir sie akzeptieren.

Sie verstehen also, dass sich Russland bedroht fühlt.

Gedanklich kann ich die russische Bedrohungsanalyse nachvollziehen, auch wenn ich sie nicht teile. Die Militärausgaben der Nato sind um ein Vielfaches höher als die Russlands. Alleine die USA geben mehr als das Zehnfache für ihr Verteidigungsbudget aus. Die Nato-Raketenabwehrsysteme, die in Rumänien und Polen angeblich wegen der iranischen Drohung stationiert wurden, können aus Sicht Moskaus als Teil einer Erstschlagsdoktrin missgedeutet werden. Auf Nato-Seite mögen wir das anders sehen, aber Russland sieht es so. Zu alledem gibt es einen ungezügelten, unkontrollierten Rüstungswettlauf. Darüber müssen die Nato und Russland sprechen. Wir brauchen dringend Abrüstungsinitiativen.

Welchen Nutzen hat Aggression ­gegen die Ukraine für Putin?

Ein Teil der Sicherheitsstrategie im Kreml besteht zurzeit darin, außerhalb des russischen Staatsgebiets Konflikte zu schüren. Putin glaubt mit diesem Unfrieden außerhalb des eigenen Territoriums mehr Sicherheit zu gewinnen. Er „zündelt“ nach außen, um seine Macht im Inneren zu konsolidieren. Auch wenn diese russische Sicherheitspolitik ein Irrweg ist, müssen wir uns mit diesen Denkkategorien auseinandersetzen und versuchen, sie aufzuweichen. Das habe ich jedenfalls aus der Entspannungspolitik gelernt.

Zu Putins Taktik gehört: Russland redet gleichrangig mit den USA; Europa hält er für zweitrangig. Was bedeutet das für Deutschland?

Russland kompensiert mit den Gesprächen „auf Augenhöhe“ mit den USA einen schon vorhandenen Minderwertigkeitskomplex. Zuerst einmal ist es wichtig, dass überhaupt geredet wird. Wir sollten zudem beachten, dass die USA für Europa auch ohne Präsident Trump nicht mehr der Partner sind, der sie mal waren. Die USA waren zu Beginn bereit, alleine mit Russland zu reden oder nur mit ganz wenigen Nato-Partnern. Das haben in Deutschland nicht alle auf dem Schirm. Deutschland sollte sich aber auch nicht klein machen und den Nato-Russland-Rat, die OSZE und das Minsker Format stärker nutzen. Aber das Wichtigste ist die Beruhigung und eine Lösung der Krise – egal in welchem Format.

Wenn Sie sagen, dass nicht alle die Veränderung der USA auf dem Schirm haben, meinen Sie Außenministerin Baerbock?

Ich habe das nicht personalisiert. Ich beziehe mich auf manche Debatten in Deutschland.

Ist die Ampel in der Außenpolitik gespalten?

Es gibt keine Spaltung in der Koalition.

Wer macht denn die Außenpolitik – Scholz oder Baerbock?

Die Außenpolitik wird von der Regierung gemacht im Zusammenspiel von Kanzleramt, Außenministerium, Bundesministerium der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und dem Verteidigungsministerium bis hin zur Umweltpolitik.

Sie haben kürzlich gesagt: Die Außenpolitik wird im Kanzleramt bestimmt. Diese Aussage klang für die Grünen nicht nach Augenhöhe.

Und ich kann nur jedem empfehlen, diesen Satz nicht zu überhöhen. Natürlich gestaltet der Bundeskanzler allein schon durch seine häufigen internationalen Kontakte die Außenpolitik maßgeblich mit.

Dass Olaf Scholz sich für Außenpolitik interessiert, merkt man öffentlich bisher nicht.

Was Sie bei Herrn Scholz zu erkennen glauben, kann ich nicht nachvollziehen. Fest steht: er handelt mit Wissen und Erfahrung in einem internationalen Kontext. Er hat schon als Finanzminister und Vizekanzler internationale Vorhaben wie das 750-Milliarden-Euro-Coronaprogramm in der EU und die globale Mindeststeuer auf den Weg gebracht hat.

Ist Scholz in Bezug auf Russland Taube oder Falke?

Diese Kategorien helfen heute nicht mehr weiter. Der Kanzler schätzt die Situation realistisch ein und macht sich, ebenso wie ich, große Sorgen wegen des Eskalationspotenzials.

Der Sicherheitsexperte Wolfgang Ischinger hat kürzlich gesagt: Putin wird nicht in der Ukraine einmarschieren, weil das Risiko zu groß wäre.

Wenn Ischingers Einschätzung allein auf Putin bezogen ist, dann sehe ich das ähnlich. Das Problem in diesem Konflikt ist aber, dass auch nichtstaatliche Akteure und innere Machtkämpfe über das Handeln entscheiden.

Sie meinen die prorussischen Rebellen im Donbass?

Sowohl auf russischer als auch auf ukrainischer Seite müssen Sie mit Akteuren rechnen, die eine zusätzliche Konfliktdynamik für sich als vorteilhaft erachten. Daher meine Sorgen vor einer Eskalation.

Halten Sie zusätzlichen Druck auf den Kreml für sinnvoll? Zum Beispiel die Drohung, Nord Stream 2 zu be­erdigen, wenn Russland noch aggressiver auftritt?

Der Westen hat der russischen Seite in den letzten Wochen sehr deutlich gemacht, mit welchen Konsequenzen sie zu rechnen hätte, wenn sie eine völkerrechtswidrige Intervention betreiben würde. Das ist ein breites Instrumentarium. Ich kann aber nur davor warnen, sich einzelne Teile daraus herauszunehmen. Sonst könnte ich auch fordern, dass in Zukunft die USA auf Öl aus Russland – ihrem drittwichtigsten Lieferanten – verzichten. So gestalte ich keine kluge Außenpolitik.

Wie kann eine langfristige Lösung des Konflikts mit Russland aussehen?

Wir brauchen perspektivisch eine europäische Friedensordnung unter Einschluss Russlands – auch wenn dies derzeit noch illusorisch erscheint. Ich hoffe dennoch auf eine künftige gesamteuropäische Friedensordnung, die als „pluralistische Sicherheitsgemeinschaft“ Krieg zwischen ihren Mitgliedern ausschließt und am Ende die Militärbündnisse überwindet.

Also die Überwindung der Nato …

Ein solches Szenario ist für die nächsten Jahrzehnte sicherlich unrealistisch. Aber ich finde, wir sollten wenigstens damit anfangen, die alleinige Fixierung auf militärisch-politische Überlegungen zu überwinden. Wir müssen ja auch zur Kenntnis nehmen, dass selbst die Nato keine hundertprozentige Garantie mehr für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie bietet – wenn sie es denn je tat.

Sie meinen die Türkei …

… und auch Polen, Ungarn und die USA unter Trump. Wir sollten alle gemeinsam daran arbeiten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit weltweit zu stärken und regionale und internationale Friedensordnungen zu etablieren, unter deren Schirm sich alle versammeln können.

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36 Kommentare

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  • Gutes Interview. Was mir vor allem gefällt ist, dass Mützenich sich das Regime Putin um des lieben Friedens willen schönredet. Da hat er vielen anderen Genossen (Platzeck, Schröder und Konsorten) schon einmal viel voraus. Aber vor dieser ungeschönten Sicht der Dinge sucht er nach Auswegen, die nicht dem Schema F folgen.

    • @Galgenstein:

      "...dass Mützenich sich das Regime Putin um des lieben Friedens willen schönredet."

      Vielleich schätzt er nur die Möglichkeiten, es zu ändern, realistisch ein?

  • Mützenich erklärt im Interview, dass er jedem nur raten könne, seine Aussage nicht zu überhöhen, dass die deutsche Außenpolitik im Kanzleramt gemacht werde ... bravo, Herr Mützenich, souverän herausgewunden, würde ich sagen.



    Aber Hauptsache, eine überambitionierte Außenministerin kann in Sachen deutsch-russische Beziehungen ausgebremst werden ... so stelle ich mir das vor.

  • "De facto gibt es diese „Einkreisung“ nicht. Gleichwohl sollten die Nato-Länder beachten, dass diese Ängste in Russland sehr wohl seit Langem existieren. Wir sollten diese Gedankengänge nachvollziehen, unabhängig davon, ob wir sie akzeptieren."

    Ich habe arge Zweifel, dass diese Einkreisungsängste außerhalb der Köpfe von Putin und seiner Kamarilla überhaupt existieren. Und selbst bei denen ist das zu 90% vorgetäuschte, manipulative Propaganda. Russische Oligarchen, Minister, Gouverneure, Abgeordnete, Richter, Generäle besitzen luxuriöse Immobilien und Bankkonten in den USA, in UK und der EU, genießen das schöne geordnete Leben im Westen, schicken ihre Kinder auf westliche Eliteinternate und -universitäten, und versuchen gleichzeitig, dem eigenen Volk dieses schwachsinnige Feinbild von der bösen NATO und dem "dekadenten Westen" einzuhämmern.

    Aber das russische Volk ist auch schon längst in Europa angekommen. 300.000, meist junge und gut ausgebildete, Russen wandern jährlich nach den offiziellen Zahlen in den "bösen Westen" aus, die tatsächliche Zahl, einschließlich derer die sich einfach im Westen Arbeit suchen, ohne die Brücken nach Russland abzubrechen, dürfte nochmal genauso hoch sein. Und wer nicht auswandern kann, weil Sprachkenntnisse oder die Ausbildung nicht reichen, der träumt davon (laut Levada Umfrage bis zu 70% der unter 30-jährigen.)

    "Die russischen Ängste" sind wohl eher die Ängste einer korrupten Elite vor Demokratie, Machtverlust und Verlust des illegal erworbenen Reichtums. Es ist die Aufgabe unserer Politiker, mit dieser korrupten Elite umzugehen, bis der Putinismus überwunden ist, aber bitte nicht mit "Russland" oder "den Russen"gleichsetzen.

    • @Barbara Falk:

      Zusammengefasst: Außer Putin will in Russland niemand leben.

      Ist das nicht etwas einfach?

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Falsch zusammengefasst.

        Es geht darum, dass diese ganze von der putinschen Propaganda mühsam konstruierte Dichotomie zwischen "dem Westen" und "Russland" de facto sowohl durch die aktuelle russische Herrschaftselite als auch die einfachen Bevölkerung widerlegt wird. Das „In-den-Westen-gehen“ ist dafür nur ein Beispiel. (Und für viele russische Bürger, die gehen, ist es keine leichte Entscheidung, und, anders als noch vor 20 Jahren, auch keine endgültige). Russland ist ein Teil Europas und seine einzige Perspektive ist die Entwicklung demokratischer Institutionen nach westlichem Vorbild, da kann Putin von seiner angeblich so anderen „russischen Welt“ raunen wie er will.

        • @Barbara Falk:

          Und Sie sind sich sicher, dass fast alle Russen Richtung Westen wollen?

          Sieht eher nicht so aus. Putin hat durchaus eine breite Machtbasis. Neben dem Staatsapparat auch diverse Organisationen, die Putins Herrschaft aktiv stützen. Und die "russische Herrschaftselite" ist noch lange nicht dafür, Russland nach westlichem Vorbild zu demokratisieren, nur weil sie gern in Malle vor der Villa liegt oder in Paris einkauft. Echte Demokratie in Russland würde ihr Räuberdasein beenden.

          PS: Kein Herrscher kann sich ohne genügend Unterstützer halten.

          • @warum_denkt_keiner_nach?:

            "Und Sie sind sich sicher, dass fast alle Russen Richtung Westen wollen?"

            Gern ein konkretes aktuelles Beispiel:



            53 % aller russischen Informatikstudenten planen nach einer Erhebung von Ende letzten Jahres, nach dem Studium auszuwandern. Die beliebtesten Auswanderungsländer von Informatikern sind (in dieser Reihenfolge) USA, UK, Deutschland und Kanada. Das aktuelle Defizit an IT-Fachleuten im Land wird vom Russischen Ministerium für Ditigales mit 0,5-1 Mio angegeben, und es geht davon aus, dass dieses Arbeitskräftedefizit in den nächsten sechs Jahren auf 2 Mio ansteigen wird.

            www.kommersant.ru/doc/5087100

            www.rbc.ru/newspap...549a7947d03a054ebb

          • @warum_denkt_keiner_nach?:

            "Und die "russische Herrschaftselite" ist noch lange nicht dafür, Russland nach westlichem Vorbild zu demokratisieren, nur weil sie gern in Malle vor der Villa liegt oder in Paris einkauft. "

            Natürlich nicht, diese Leute sind komplett bigott und zynisch. Genau darum, um in Ruhe das eigene Land bestehlen zu können und die Kohle bei uns in Sicherheit zu bringen, haben sie ja "fürs Volk" das Feindbild vom Westen erfunden.

            "Putin hat durchaus eine breite Machtbasis."

            Das Problem in Autokratien, wo Wahlen, Statistiken und Umfragen manipuliert und jeder Dissens niedergeknüppelt und erstickt wird, ist, dass man die Breite einer Machtbasis (und deren Erosion) nur ungenau abschätzen kann.

            Putins Staatspartei Einiges Russland, hat bei der Parlamentswahl im September letzten Jahres, wenn man von den Wahlfälschungen abstrahiert, knapp 30% der Stimmen bekommen, und da waren noch genug erzwungene Stimmen bei (nicht geheime Abstimmungen in Kasernen unter Aufsicht der Vorgesetzten und dergleichen).

            Dann wäre die Machtbasis also in etwa: 20% Profiteure und Mittäter, plus ein paar Prozent sonstige ideologisch überzeugte Anhänger.

            Ist das für Sie "breit"?

            Mal sehen, wie lange ihm das reichen wird. Irgendwelche erkennbare Strategien, den verlorenen Zuspruch in der Bevölkerung zurückzugewinnen (den er in seinen ersten beiden Amtszeiten und unmittelbar nach der Krimannektion durchaus hatte), hat er nicht. Im Gegenteil, er setzt zunehmend auf Repression.

            • @Barbara Falk:

              Die Machtbasis muss nur breit genug sein, um die Herrschaft zu erhalten. Es muss nicht die Mehrheit sein. Einen baldigen Sturz Putins halte ich jedenfalls für Wunschdenken.

              Der Weg, den Zuspruch zu verbessern, könnte z.B. die Einverleibung der Ukraine sein. Hat bei der Krim ziemlich gut geklappt. Und Nationalstolz geht auch in Russland immer.

              Die Vermutung, dass die meisten Russen gern unser System hätten, ist übrigens sehr kühn. Unseren Lebensstandart ja. Den hätte der größte Teil der Menschheit gern. Das bedeutet aber nicht, dass auch unsere Vorstellung von einer liberalen Gesellschaft Mehrheitsfähig sind. Die Repressionen gegen Homosexuelle finden z.B. breiten Anklang. Wie übrigens vor nicht allzu langer Zeit auch hier.

              • @warum_denkt_keiner_nach?:

                "Der Weg, den Zuspruch zu verbessern, könnte z.B. die Einverleibung der Ukraine sein. Hat bei der Krim ziemlich gut geklappt. Und Nationalstolz geht auch in Russland immer."

                Putin hat 2014 erfolgreich chauvinistische Begeisterung geschürt und für sich ausgebeutet, daraus darf man nicht schließen, dass ihm das ein zweites Mal gelingen wird. Schon der Krieg 2014 war nicht ohne Grund eine verdeckte Operation ("Urlauber" und "Freiheitskämpfer") in der die Verluste der heimlich eingesetzten regulären Armee geleugt und vertuscht wurden.



                Jeder Versuch einer "Einverleibung der Ukraine" wird zu hohen Verlusten in der Russischen Armee führen. Und das in einer Bevölkerung, die seit Jahren mit sinkende Lebensstandards, Korruption in allen Sphären des Alltags etc. zu kämpfen hat. Putins militärische Möglichkeiten sind deshalb in jeder Hinsicht begrenzt (nicht nur außenpolitisch). Trotzdem ist leider nicht auszuschließen, dass er das anders einschätzt, und sich zu einem Angriff entschließt.

                Was in Russland mehrheitsfähig ist, werden wir wissen, nachdem dort freie Wahlen stattgefunden haben. "Dem Russen" qua natura die Fähigkeit zur Demokratie absprechen will ja wohl hoffentlich niemand.

  • "Bußgeld heißt – am Ende auch Haftstrafen?"

    Das finde ich mit Verlaub nicht gut! Das insinuiert, dass man hinter Gitter kommt, wenn man sich nicht impfen lässt. Das ist falsch! Jeder, der eine Geldstrafe nicht zahlt, muss hinter Gitter. Auch für Falsch Parken.

    Hier wird wieder die Impfpflicht schlimmer geredet bzw. geschrieben als sie ist.

    Haben wir hier einen Impfgegner als Author?

  • Schönes Interview! Volle Übereinstimmung mit Rolf Mützenich.

    • @Kappert Joachim:

      Ja, in der Tat ... ich hole mir schon mal Popcorn, um in der ersten Reihe genüsslich auf den großen außenpolitischen clash zwischen SPD und Grünen zu warten. Wie sich wohl die Dritte im Bunde, die FDP, dazu positionieren wird?

  • Wow! Ein echt gutes Interview...



    klare Fragen und verblüffend klare Antworten!... speziell in Hinblick auf Russland und USA/NATO.. und deren Praxis historischer militärischer Drohgebärden!



    Gut und passend ist in der Überschrift..



    ".. der Traum von Allianzen ohne Militär"..



    Ist ja irgendwie so, das die Anführer im



    Ost/West militärisch-industriellen Komplex, als den zivilen und friedliebenden Kulturen der Menschen in den Nationen übergeordnet.. eine art Bedrohung des Friedens repräsentieren..



    .. brenzlige Situationen von möglichem



    Krieg erzeugen...



    (Sanktionen und Barrieren im Handel



    und in Kultur.. die kein ziviler Mensch will)..



    Im angestrebten zivilen Fortschritt wirkt der Militärisch Industrielle Komplex wie ein hässlicher, parasitärer, drohender



    Tumor?



    Gesund und zivil... bedingt Deeskalation mit Allianzen ohne Militär...

  • "In der Ostukraine hilft Russland den Separatisten mit militärischer Ausrüstung und politischer Unterstützung." wie lange soll diese faktisch falsche Aussage den Russen zuliebe (wozu?) noch aufrecht erhalten werden? Russland unterstützt nicht die Separatisten im Donbass, Russland i s t "die Seperatisten". Es hat dort keine Separatisten gegeben bis Putins Grüne Männchen unter dem Kommando von Igor Girkin alias "Strelkov" auftauchte, der auch eine führende Rolle auf der Krim gespielt hat en.wikipedia.org/wiki/Igor_Girkin

    • @ingrid werner:

      Eine weitergehende Unterstützung ist ja dann kaum denkbar, oder?



      Aber dass es überhaupt keine Separatisten gegeben haben soll, glaube ich nicht. Nationalistische Idioten gibt und gab es stets und überall.

      • @Encantado:

        nationalistische Idioten gibt es überall, aber in der Regel künden sie sich länger vorher an – bevor sie zu einem derartigen Krieg in der Lage sind. Dann wären die Ukrainer auch besser vorbereitet gewesen. Girkin hat sich selbst dazu geäußert - sie hätten den Knopf gedrückt, bzw den Konflikt ausgelöst, ohne ihn und seine Truppe hätte sich auf der Krim und im Donbass nichts getan.

  • Russland ist angespannt und die USA haben nicht mehr die Kraft.

    Die EU kann nur als Einheit gegenüber Russland handeln. Die USA können ja letztlich mit Russland verhandeln was sie wollen, deswegen muss man die EU nicht an die Wand gedrückt oder zerrieben sehen.



    Es scheint , die USA verdecken eher ihre eigene Schwäche durch entschlossenes Auftreten gegenüber Russland. Man will an alte Weltmachtgrößen anknüpfen. In seiner Einfältigkeit scheint Trump die Schwäche erkannt zu haben.



    Kurz, an der EU führt zukünftig kein Weg vorbei, auch nicht für Russland.

    Russland braucht starke wirtschaftliche Partner, sonst wird der Weg in Zukunft wohl sehr steinig. Das Land tut sich sehr schwer mit Reformen, wie auch die USA selbst, von China ganz zu schweigen.

    Wir befinden uns weltweit an einem Turning Point. Die Spannungen innenpolitisch werden stärker, wie das Beispiele in Kasachstan und in vielen anderen Teilen der Welt zeigen. Also warum sollte Russland nicht die Sicherheiten erhalten derer sie so PR trächtig nach eigenen Bekunden dringend bedarf?

    Bedarf es unbedingt einer Nato Erweiterung? Reicht nicht eine Assoziierung der Ukraine mit der EU wie mit der Schweiz? Reicht es nicht die EU sicherheitstechnisch zu stärken, die Ukraine in einen Sicherheitsdialog mit der EU zu einzubinden und das Land , wie Österreich im Kalten Krieg, sich erstmal neutral erklärt, Russland diese Neutralität akzeptiert und respektiert?

    Gehen wie gedanklich doch mal in medias res: Wenn Biden es nicht schafft innenpolitisch das Land zu einen, es wirtschaftlich (jetzt schon 7 % Inflation) auf die Beine zu stellen und an seine Nachkriegsposition anzuknüpfen,



    was alles zur Zeit recht unwahrscheinlich ist, dann steht die EU doch mehr als einsam da. Es ist eher ein vorzeitiger Rückzug der USA aus der Weltpolitik einzukalkulieren. Was sind da Verhandlungen mit Russland noch wert?

    Biden ist doch mit seiner Politik schon gescheitert, leider. Da sollten alle Alarmglocken in der EU läuten.

    • @Thomas Rausch:

      "Die EU kann nur als Einheit gegenüber Russland handeln."



      Leider ist das so ein Ding mit der Einigkeit der EU. Bei 27 Mitgliedern ist es schwierig den Konsens zu finden.Da sind die Interessen manchmal sehr weit auseinander.



      Und selbst wenn man sich einig ist: Die EU mag ja eine gewisse wirtschaftliche Macht haben , die aber auch wieder von anderen Ländern abhängig ist, militärisch ist sie aber kaum ernst zu nehmen. Das ohne die USA nichts geht ,hat Afghanistan mal wider klar bewiesen. Wenn das größte NATO-Mitglied abzieht ,müssen auch die anderen gehen.



      Eigentlich halte ich nichts von Aufrüstung und Militarisierung. Nur wenn man in der internationalen Politik ernst genommen werden und unabhängig(er) agieren möchte, ist eine gewisse militärische Schlagkraft -alleine zur Verteidigung- auch in der heutigen Welt weiterhin ein "Argument". Dazu gehören auch Nuklearwaffen. Die schrecken nämlich auch den größten "Bully" / Mobber ab. Siehe Nordkorea ,siehe die Aufregung über die iranische Atombombe.



      Wenn sich die EU nicht auch verteidigungstechnisch(Betonung liegt auf VERTEIDIGUNG) emanzipiert,dann wird sie nie auf gleicher Augenhöhe sein. Das ist einfach die bittere Realität. Ob es einem gefällt oder nicht!

    • @Thomas Rausch:

      FYI: Das (von Janukowitsch ausgehandelte) Assoziierungsabkommen der Ukraine mit der EU war der Auslöser für die Morde auf dem Kiewer Maidan und alle anschließenden Ereignisse, inklusive der Annexion der Krim und den russischen "Urlaubern" in der Ost-Ukraine.



      IMHO gehts Putin or allem darum, dass kein Land in der von ihm definierten "Einfluss-Sphäre Russlands" durch Annäherung an den Westen eine positive wirtschaftliche Entwicklung hat. Das wirkt nämlich potentiell ansteckend.

  • " Die Nato-Raketenabwehrsysteme, die in Rumänien und Polen angeblich wegen der iranischen Drohung stationiert wurden, können aus Sicht Moskaus als Teil einer Erstschlagsdoktrin missgedeutet werden."



    Na da sollte man sich die geographische Lage mal genau angucken. Dabei aber nicht vergessen, daß die Erde keine Scheibe ist, sondern eine Kugel. Auf einem Globus sieht man schnell: Rumänien und Polen liegen tatsächlich auf dem Weg vom Iran in die USA. Rußland hingegen hat aufgrund seiner gewaltigen geographischen Ausdehnung zahllose Möglichkeiten, Raketen in Richtung USA abzuschiessen, ohne daß deren Flugbahnen auch nur ansatzweise in die Nähe von Polen oder Rumänien kommen würden. Z.B. über den Nordpol und Kanada. Oder von Ostsibirien über den Pazifik.

    • @yohak yohak:

      Russland wurde von den USA im Vorfeld der Stationierung um Teilnahme an der Raketenabwehr gebeten. Und erst als in Moskau bekannt wurde, dass diese Teilnahme keinen Zugang zur Technologie der Raketenabwehr bedeutet, wurde das Projekt zur "Bedrohung" erklärt.

      Ganz nebenbei kann sich jeder im Netz einerseits die Kapazitäten der Anlagen besorgen (heißt wie viele Abwehrraketen dort stationiert sind), und andererseits die genaue Lage der Anlagen. ALLE befinden sich in Reichweite russischer Artillerie oder Kurzstecken-Raketen, sind also im Konfliktfall ganz schlicht völlig unbrauchbar.

      • @Kaboom:

        Russland hat im Gegenzug angeboten, eine gemeinsame Raketenabwehr gegen Iran im Kaukasus zu installieren. DAS haben wiederum die USA abgelehnt.

        Irgendwie scheinen BEIDE Seiten falsch zu spielen.

        Und die NATO veröffentlicht die Zielangaben für ihre Militäreinrichtungen? So einfach ist es wohl dann doch nicht.

        • @warum_denkt_keiner_nach?:

          Die Details dieser äussert geheimen Anlagen finden Sie beispielsweise auf dieser ebenfalls äusserst geheimen Seite (bitte vertraulich behandeln):



          de.wikipedia.org/w...flugplatz_Deveselu



          bzw. hier:



          de.wikipedia.org/wiki/Redzikowo

          • @Kaboom:

            Das sind keine Zielangaben. Nur ein Hinweis, wo man suchen muss. Um präzise zu treffen, muss man wesentlich mehr wissen.

            Kein Land ist so blöd, wirklich verwertbare Angaben dieser Art zu veröffentlichen.

    • @yohak yohak:

      Mir scheint, Sie haben das Problem nicht begriffen - also so gar nicht.

    • @yohak yohak:

      Sie wissen aber schon, dass der Westen Russlands am meisten besiedelt ist? Alleine in Moskau und St. Petersburg wohnen über 12 % der Gesamtbevölkerung?

    • @yohak yohak:

      dabei stellt sich die Frage: was sollen da die Raketen in Polen und oder Rumänien bringen? Abgesehen davon: die USA haben irgendwas um die 1000+ Interkontinentalraketen mit Mehrfachsprengköpfen in den Lagern. Und das sind nur die offiziellen Zahlen.

      Es macht militärisch keinen Sinn auch nur eine Rakete Richtung USA zu schicken, außer man wünscht das im eigenen Land die nächsten 100.000 Jahre kein Grashalm mehr wächst.

  • Ein kluger Kopf .



    Insbesondere die Haltung zu außenpolitischen Fragen macht Hoffnung.

    " Wir müssen ja auch zur Kenntnis nehmen, dass selbst die Nato keine hundertprozentige Garantie mehr für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie bietet – wenn sie es denn je tat.



    -Sie meinen die Türkei?-



    … und auch Polen, Ungarn und die USA unter Trump...."

    • @Bürger L.:

      Ja. Extrem differenziert.

      "Ich habe das nicht personalisiert."

      Damit meinte der nicht Baerbock, sondern so Wagenknechte die taz lesen und kommentieren ^^

      Bei "Diese Kategorien helfen heute nicht mehr weiter" musste er sich zusammenreißen, dass ihm wegen dieser blödsinnigen Suggestivfragerei nicht die Hutschnur platzt. Das habt ihr mal gründlich versiebt.

      Aber interessante Ausführungen. Spektakulär: SPD-Topdog redet von Auflösung der NATO als wünschenswertes politisches Ziel.

  • "Dass die SPD-Fraktion qualitativ..."

    Scheiße jetzt hängt mein Tee auf dem Monitor!

  • 0G
    05989 (Profil gelöscht)

    Die SPD will endlich auch mal einen Krieg angefangen haben...

    • @05989 (Profil gelöscht):

      Die SPD hat durch Bewilligung der Kriegskredite den 1. Wk maßgeblich mitzuverantworten, hat den Balkankrieg angefangen und Deutschland in den Afganistankrieg geführt.

      Also ich glaube die SPD ist Die Partei mit dem geringsten Nachholbedarf.

    • @05989 (Profil gelöscht):

      Afghanistan schon vergessen?

      • @Beowulf:

        Und nicht zu vergessen: Serbien