Außenministerin Baerbock in Moskau: Im Zweifel Scholz fragen
Antrittsbesuch bei Lawrow: In Moskau erwartet Annalena Baerbock kein herzlicher Empfang. Das liegt auch an ihrem Kanzler.
Moskau taz Läuft es so, wie Annalena Baerbock es sich vorstellt, soll beim Moskau-Besuch ab Montagabend auch noch Zeit für einen Ausstellungsbesuch in der Tretjakow-Galerie herausspringen. Die Bundesregierung fördert die Ausstellung „Diversity United“, die die Geschlechteridentität zum Thema macht. Das deutsche Engagement wird in russischen Museumskreisen geduldet. In Regierungszirkeln und der Bürokratie gilt „Diversität“ indes als Westimport, der russischen Traditionen zuwiderläuft.
Das wird sich auch auf den Besuch der deutschen Außenministerin Baerbock in Moskau auswirken. Wird der bärbeißige russische Außenminister Sergei Lawrow die Grüne in Russland bei ihrem Antrittsbesuch wenigstens neutral empfangen? EU-Außenbeauftragter Josep Borrell beispielsweise machte bei seiner letzten Visite in Russland eine andere Erfahrung. Lawrow nutzte die Gelegenheit und verwies während des Besuchs EU-Vertreter des Landes. Höflichkeitsformeln kommen zurzeit nur noch gegenüber China zum Einsatz.
Deutschland und die EU fallen für den Kreml derzeit in das Lager der strategischen Gegner. Weder Berlin noch Brüssel sind militärisch ernst zu nehmen. Dies dürfte als Grundhaltung Russlands Position gegenüber der deutschen Außenministerin beherrschen. Vor allem aber wird der Kreml versuchen, das Außenministerium schlicht zu umgehen. Die Vorlage lieferte vor Kurzem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der andeutete, auch das Kanzleramt in außenpolitische Entscheidungen einzuschalten.
Moskaus Beobachter sehen darin grünes Licht: Die Entscheidungskompetenz liegt im Zweifelsfalle beim Kanzleramt. Die Anknüpfungspunkte an die Ostpolitik unter Willy Brandt vor 50 Jahren werden von den Sozialdemokraten auch heute noch für brauch- und umsetzbar gehalten, als hätten sich die Rahmenbedingungen nach dem Zusammenbruch des Kommunismus nicht verändert. Als wäre Wladimir Putin nur ein Nachfolger Leonid Breschnews.
Streitfrage Nord Stream 2
Baerbock geht davon aus, dass eine Doppelstrategie von Dialog und Härte am ehesten zum Erfolg führt. Ob dies gelingt, hängt nicht zuletzt vom Verhalten der SPD ab. Baerbock und die Grünen wären bereit, im Falle einer militärischen Intervention Russlands in der Ukraine die Nord-Stream-Pipeline 2 zu stoppen. Der Kreml wird alle Hebel in Bewegung setzen, um das zu verhindern. Er setzt darauf, die Sozialdemokratie für sein Vorgehen einzuspannen.
Nach den Gesprächen mit den USA, der Nato und der OSZE letzte Woche warf Außenminister Lawrow dem Westen vor, sich selbst zu überschätzen, seine Pflichten zu verletzen und den Verstand nicht zu nutzen. Im gleichen Atemzug verlangte er schriftliche Antworten auf Russlands Forderungen, die Ukraine und Georgien nicht in die Nato aufzunehmen. Gleichzeitig möchte Baerbock das eingeschlafene Normandie-Format wiederbeleben, an dem Deutschland und Frankreich mit Russland und der Ukraine verhandeln.
Für Beruhigung in Moskau dürfte sorgen, dass die Außenministerin Waffenlieferungen an die Ukraine ablehnte. Wirtschaftsminister Robert Habeck hatte ursprünglich Lieferungen von Defensivwaffen für möglich gehalten. „Es wird sich zeigen, ob der russische Außenminister Sergei Lawrow wirklich an einem Meinungsaustausch interessiert ist oder ob er nur bekannte Positionen vortragen wird“, gibt der Grünen-Politiker Jürgen Trittin zu bedenken. Zurzeit regiert in Moskau abweisende Kaltschnäuzigkeit. Ob es in Fragen der Klimapolitik Anknüpfungspunkte geben könnte, scheint zurzeit auch eher ausgeschlossen.
Baerbock hatte zuvor angedeutet, dass Russlands Sicherheitsbedenken ernst genommen werden sollten. Man sei zum Dialog bereit, meinte sie. „Wir haben einen langen Atem“, versprach sie am Montag vor dem Weiterflug nach Moskau.
Leser*innenkommentare
DiMa
Weshalb unternimmt die taz den Versuch künstlich einen Keil zwischen das Außenministerium und das Kanzleramt zu treiben?
Der Bundeskanzler hat halt die Richtlinienkompetenz und das Verhalten gegenüber Russland dürfte dieser Tage einer der gewichtigsten Punkte sein. Das ist also nichts Neues.
Frau Baerbock kann sich ja gerne die Ausstellung ansehen.
Barbara Falk
@DiMa Scholz richtet seine Richtlinien gerade neu aus.
www.faz.net/aktuel...am-2-17738132.html
47202 (Profil gelöscht)
Gast
"Baerbock und die Grünen wären bereit, im Falle einer militärischen Intervention Russlands in der Ukraine die Nord-Stream-Pipeline 2 zu stoppen."
Das heißt aber auch, dass Nordstream-II liefern kann, wenn die Bedrohung beendet wird.
Finde ich gut!
Immerhin ein Trumpf im Kartenblatt.
Den USA sollten wir das alles nicht überlassen. Die haben keine großen Außenhandelsbeziehungen mit Russland. Ein Boykott aus dem intern. Zahlungsverkehr SWIFT für Russland würde die deutsche Exportwirtschaft massiv schädigen.
Auf Handel und Profit ist ja unser weltweites System aufgebaut. Alles in Klump zu hauen wäre äußerst töricht. Aber so sind sie nun einmal die Wahnsinnigen dieser Welt.
Ataraxia
Putin und Lawrow werden sich gut überlegen, zum dritten Mal massiv in der Ukraine zu intervenieren, wenn der Preis für die eigene Bevölkerung zu hoch ist.
Deshalb sind die Signale, die jetzt aus Berlin gesendet werden, fatal: Merz macht einen auf Merkel und erklärt die Swift-Maßnahmen (die schon gegenüber dem Iran und Taliban Verwendung fanden) zur "Atombombe", um ein paar deutsche Firmen in Russland zu retten. Scholz erklärt gar Nordstream II zur Privatsache. Merz scheint sich übrigens mit Kiesewetter, Wadephul und Röttgen nicht abgesprochen zu haben.
Also, ganz klar, liebe Freunde in Moskau, ihr könnt weiter Teile der Ukraine (Krim und Donbass) okkupieren, weiter hybrid und digital in demokratischen Nachbarländern für Chaos sorgen, sie wirtschaftlich vor die Wand fahren - Euch wird von unserer Seite nichts passieren, wir werden höchstens für ein paar Wochen ein paar Bankverbindungen kappen.
Die europäische Menschenrechtsrhetorik erweist sich dank Paris und Berlin wie schon während der vierjährigen Einkesselung von Sarajevo durch serbische Chetniks als holde Flüssigkeit ohne Gefäß. Dabei kommt es auf deutsche Verteidigungswaffen für die Ukraine am wenigsten an (die kann sie sich woanders besorgen laut Experten wie Umland), deshalb sollte auch die Ukraine auf den wesentlichen Punkten der Abschreckung bestehen.