Medien nach der Bundestagswahl: Transformative Zeiten
Die traditionellen Medien scheitern daran, sich in Ton und Inhalten zu öffnen. Eine mediale Kompletterneuerung ist angesagt.
D ie Wahl ist vorbei, ein neues Parteiensystem ist entstanden, so konnte man jedenfalls hören von einem Politiker in einer der Fernsehsendungen, die sich schon lange als Nebenspielstätten des demokratischen Prozesses etabliert haben – seit Jahren, seit Jahrzehnten, und eigentlich, so könnte man meinen, sollten mit dem Abgang von Angela Merkel (16 Amtsjahre) auch die Sendungen von Frank Plasberg (20 Amtsjahre), Sandra Maischberger (18 Amtsjahre), Maybrit Illner (22 Amtsjahre) und Anne Will (14 Amtsjahre) ins digitale Nirvana verabschiedet werden:
Der politisch-mediale Komplex braucht eine Kompletterneuerung. Wie eingefahren und eng die Denkweisen sind, die Redeweisen, die Körper- und Sprachlosigkeit des Fernsehdiskurses, konnte man bei den Fernsehdebatten der Kandidat*innen erleben.
Besonders eklatant dabei war der Widerspruch zwischen vorgeblicher formaler oder inhaltlicher Neutralität oder Objektivität (ein Lieblingswort gerade von Leuten, die selbst nicht besonders objektiv sind, was auch schwer möglich ist, weil die Wirklichkeit einen fast automatisch zum Partisanen macht) und inhaltlicher Schlagseite in der Fragestellung: „Können Sie ausschließen, dass es Steuererhöhungen geben wird?“
So lautete eine oft paraphrasierte Etüde in Engstirnigkeit, in der vieles von den Verdrehungen des öffentlichen Diskurses deutlich wurde. Denn diese Frage hat ja selbst eine klare Agenda, die Steuersenkung, die recht losgelöst ist von aktuellen ökonomischen Diskursen, die im Gegenteil von einer ganz anderen Art von staatlicher expansiver Wirtschaftspolitik ausgehen, gerade im Kontext des Klimawandels, wo Investitionen zum Beispiel in neue Energien dringend notwendig sind.
Kein Platz für Zweifel
Indem die Frage aber als neutral präsentiert wurde (und gleichzeitig den Fragesteller zum Fürsprecher eines intuitiv angenommenen Mehrheitswillens macht, denn er – es war in diesem Fall ein Mann – stellte sie sehr offensichtlich im Namen einer Bevölkerung, die aber möglicherweise sehr anders oder differenzierter dachte), wurde der Ton gesetzt und die Steuersenkung zum Lackmustest politischer Vernunft. Und das ist eben das eigentlich Verzerrende an dieser Art von medialer Selbstpräsentation:
ist Chefredakteur von The New Institute. Zuletzt erschien von ihm das Buch „Blogdown. Notizen zur Krise“ im Frohmann Verlag.
Die Annahme von Vernunft auf der eigenen Seite, der Verdacht der Unvernunft auf der anderen Seite, und damit die Fortsetzung der Erzählung von politischer Rationalität, wie sie den demokratischen Prozess fast notwendigerweise prägt – oft zum Nachteil der sprachlichen oder inhaltlichen Durchlässigkeit, weil Zweifel, Zaudern, Emotionen, Scheitern, das Experiment, die Unsicherheit im Tun, in diesen Krisenzeiten fast unausweichlich und sogar wünschenswert, in angeblich vernunftgeleiteten Systemen nur schwer einen Platz finden.
Aber Vernunft war eben eher selten im politisch-demokratischen Prozess zu beobachten – sonst hätte ein rationaler Diskurs über die wissenschaftlichen Erkenntnisse des Klimawandels im Zentrum der Debatten gestanden: Politiker*innen fast aller Parteien taten sich jedoch immer noch schwer, die Notwendigkeiten als solche zu benennen. Diese Aufgabe wurde an die Demonstrierenden von Fridays for Future delegiert, eine Art Apo der Vernunft.
Und auch fast allen Medien (wenn sie nicht offen gegen Klimapolitik agitierten) fehlte letztlich die klare, konstruktive und im Grunde objektive Herangehensweise, den Klimawandel als zentral und zukunftsentscheidend zu benennen – und den Raum zu bieten, in dem Veränderungen geschehen könnten. Stattdessen wurde dieser Raum, diskursiv, immer wieder eingeschränkt.
Apo der Vernunft
Die Reduktion auf ein „Was kostet das?“ etwa war die rhetorische Rückendeckung für andere Aktivist*innen des Status quo, die ihre Chefredakteursposten oder Ähnliches dazu nutzen, alle, die anders denken, als Aktivist*innen zu beschimpfen – eine alles in allem stumpfe Stigmatisierung, die auch, wie so oft in diesen populistischen Zeiten, vor allem den Zweck hatte, eine Polarisierung zu inszenieren, die allein denen dient, die auf die Polarisierung verweisen und sie damit erst erschaffen.
Das ist, wie der Politikwissenschaftler Jan-Werner Müller es beschreibt, das Wesen aller Populisten, und es ist auch das beliebteste Mittel mancher sie flankierenden populistischen Medien, wie es sie, in Abwesenheit offen populistischer Politik, in Deutschland bereits gibt.
Das Szenario zeigt also einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der von rechts attackiert wird und von innen verkrustet, populistische Medien, die beständig diskursive Grenzen verschieben, und die traditionellen Medien, die (wie die traditionelle Politik) nicht in der Lage sind, sich im Ton oder Inhalt zu öffnen, ein Ort des neuen Denkens zu sein, der notwendigen Ideenproduktion für diese transformativen Zeiten – und ihre eigenen hegemonialen Ansprüche (und eigene ökonomische Interessen und Ängste) oft hinter Invektiven gegen neue diskursive Felder wie Twitter verstecken, das dann, wie zuletzt im Spiegel, als „Dreckschleuder“ diffamiert wird, wobei die argumentative Grundlage für dieses Urteil eklatante und mutmaßlich mutwillige Löcher aufweist, die dieses harsche Urteil erst ermöglichen.
Twitter aber ist ja, wie auch „die Straße“, nicht vor allem oder allein der Ort der Wut oder Irrationalität, wie es die aus der traditionellen Sinnzusammenhangsproduktion gern darstellen – Twitter, in seiner aufklärerischen Variante, mit faktengenauen Threads, die Zusammenhänge aufdecken, oder auch Youtuber wie Rezo, die journalistisch genau arbeiten, sind im Gegenteil oft transparentere und vernunftgeleitete medial-politische Optionen, eher Zeichen des Neuen als Pathologien des Alten.
Wie schwer sich dieses Neue tut, in allen Formen und Varianten, das scheint die eigentliche Geschichte dieser Wahl zu sein, medial wie politisch.
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