Amnesty Internationals Herabstufung: Nawalny bleibt trotzdem ein Opfer
Die Entscheidung, Nawalny nicht als „Prisoner of Conscience“ anzuerkennen, war richtig. Doch sie spielt auch dem Kreml in die Hände.
E s sind wohl zwei kurze Videoaufnahmen, über die der russische Oppositionspolitiker Alexei Nawalny nun stolpert, während er in Haft sitzt. Videoaufnahmen, die Mitte der 2000er Jahre aufgenommen worden sein sollen, als Nawalny den Schulterschluss mit Nationalisten suchte. Nawalny war in seinem Wesen als Populist schon immer gut darin, Positionen anzunehmen, die ihm eine Menge an Unterstützung einbringen. Damals waren es menschenverachtende Parolen, von denen er sich zwar inzwischen distanziert, für die er sich aber nie entschuldigt hat.
In einem Clip bezeichnet er sich als „diplomierten Nationalisten“ und ruft dazu auf, ebenfalls Nationalist zu werden. In einem weiteren setzt er kaukasische Terroristen mit Kakerlaken gleich und ruft zum Gebrauch von Schusswaffen auf. Zentralasiaten hält er für Kriminelle und empfiehlt deren Deportation. Es sind rassistische Äußerungen, die durchaus verfangen in der russischen Gesellschaft, in der solche Haltungen nur wenige schockieren. Es sind Äußerungen, deretwegen Amnesty International Nawalny nun den erst vor einem Monat selbst verliehenen Status des „gewaltlosen politischen Gefangenen“ wieder aberkannt hat.
Die Entscheidung ist richtig, weil die Menschenrechtsorganisation darin ihrem prinzipiellen Ansatz folgt, dass ein solcher Gefangener keinen Hass geschürt haben darf. Und doch ist das Vorgehen auch fragwürdig, weil es denen in die Hände spielt, die Nawalny mit allen Mitteln diskreditieren und seine Lagerstrafe nach einem abstrusen Verfahren letztlich für richtig halten. Eine hochpolitische Strafe, die nichts anderes demonstrieren soll als: Wer so angstlos den Kreml kritisiert, wird weggesperrt.
Es ist vor allem fragwürdig, vor welchen Karren sich Amnesty International hat spannen lassen. Viele der Empörten über Nawalny – es sind Empörte aus Westeuropa – hätten sich auf Tweets einer Kolumnistin des vom Kreml finanzierten Auslandssenders Russia Today bezogen, heißt es. Des Senders, der sich als „schützende Armee für den russischen Staat“ sieht.
Die KGB-Methode der „reflexiven Kontrolle“ hat wieder einmal gegriffen: Der Gegner wurde auch hier zu Handlungen getrieben, die letztlich dem Kreml nutzen und nicht dem eigentlichen Opfer. Und ein Opfer von Russlands politischer Willkürjustiz ist Nawalny allemal, trotz seiner fragwürdigen politischen Positionen. Und nun auch ohne den Amnesty-International-Status.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung