Proteste in Russland: Tausende gedenken Boris Nemzow
In Moskau wird an die Ermordung des Kreml-Kritikers vor sechs Jahren erinnert. Alexej Nawalny wird für seine Zivilcourage ausgezeichnet.
Moskau afp/dpa | In Moskau haben am Samstag tausende Menschen des vor sechs Jahren ermordeten Oppositionspolitikers Boris Nemzow gedacht. Seit den Morgenstunden suchten zahlreiche Russen und westliche Diplomaten den Anschlagsort auf einer Brücke in der Nähe des Kreml auf, auf der Nemzow am 27. Februar 2015 erschossen worden war, und legten Blumen nieder. Nemzow war einer der lautesten Kritiker des russischen Präsidenten Wladimir Putin.
„Wir kommen jedes Jahr an diesem Tag hier zusammen, um den Behörden zu zeigen, dass wir nicht vergessen haben und nicht vergessen werden“, sagte der ehemalige Ministerpräsident und Oppositionspolitiker Michail Kasjanow vor Journalisten. Er sei sicher, dass „das, wofür Boris gekämpft hat – Freiheit für die Russen, ihr Wohlbefinden und ein Leben in Würde – bald kommt“, ergänzte er.
Während in den vergangenen Jahren ein Gedenkmarsch im Zentrum von Moskau stattfand, zog die Opposition in diesem Jahr zum Tatort, wo eine improvisierte Gedenkstätte von den Behörden immer wieder zerstört wird. Demonstrationen sind derzeit wegen der Coronapandemie verboten. Laut der Nichtregierungsorganisation Weißer Zähler, die Teilnehmerzahlen bei Demonstrationen angibt, hatten bis 15.00 Uhr Ortszeit (13.00 Uhr MEZ) rund 3700 Menschen den Anschlagsort besucht.
Unter den westlichen Vertretern, die Nemzows gedachten, waren auch die Botschafter der USA, Großbritanniens und der EU. US-Botschafter John Sullivan habe an die „brutale Ermordung“ Nemzows erinnert, erklärte Botschaftssprecherin Rebecca Ross im Online-Dienst Twitter. „Er bleibt eine Inspiration für viele, die nach Gerechtigkeit, Transparenz, Freiheit streben“, erklärte sie.
Kritik an Einschränkungen der Redefreiheit
Auch US-Außenminister Antony Blinken erinnerte an den ermordeten Putin-Kritiker. In einer Erklärung zeigte sich Blinken am Samstag „zutiefst beunruhigt“ über die zunehmenden Einschränkungen der Redefreiheit durch die russische Regierung. „Während wir Nemzow gedenken, bekräftigen wir unser unerschütterliches Bekenntnis zu den Menschenrechten und Grundfreiheiten“, erklärte Blinken. Nemzow habe sein Leben dem Aufbau eines „freien und demokratischen Russlands“ gewidmet, fuhr der US-Außenminister fort.
„Jene, die in Russland ihre Meinung sagen, um ihre Freiheiten und die Demokratie zu verteidigen, geraten nach wie vor ins Visier für Angriffe oder Mordanschläge“, kritisierte Blinken. „Die russische Bevölkerung hat etwas Besseres verdient.“
Russlands damals prominentester Oppositioneller Nemzow war am 27. Februar 2015 kurz vor Mitternacht in der Nähe des Kreml erschossen worden. 2017 wurde ein ehemaliger Offizier aus Tschetschenien für den Mord zu 20 Jahren Haft verurteilt, vier weitere Männer wurden der Beihilfe zum Mord schuldig befunden. Die Familie und Anhänger Nemzows werfen den russischen Behörden jedoch vor, die Drahtzieher bis heute nicht zur Rechenschaft gezogen zu haben.
„Er hat die Wahrheit ausgesprochen, und dafür wird man in unserem Land umgebracht“, sagte die 44-jährige Juristin Irina Drosdowa am Samstag, bevor sie am Gedenkort für Nemzow Blumen ablegte.
Auszeichnung für Alexej Nawalny
Der derzeit wichtigste Widersacher Putins, Alexej Nawalny, wurde in den vergangenen Tagen in ein Straflager gebracht. Er war wegen angeblicher Verstöße gegen seine Bewährungsauflagen zu mehr als zwei Jahren Haft in einem Straflager verurteilt worden. Die Entscheidung wurde international scharf verurteilt und löste Massenproteste in Russland aus.
Nawalny war nach einem Giftanschlag im August, für den er den Kreml verantwortlich macht, in Deutschland im Krankenhaus behandelt worden. Unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Russland im Januar wurde er festgenommen. Seine Unterstützer kritisieren das Vorgehen der Justiz gegen ihn als politisch motiviert.
Sechs Jahre nach der Ermordung des russischen Oppositionellen Boris Nemzow hat die nach ihm benannte Stiftung den inhaftierten Kremlgegner Alexej Nawalny für seine Zivilcourage ausgezeichnet. Der 44-Jährige erhalte in diesem Jahr den Nemzow-Preis für seinen Mut bei der Verteidigung der demokratischen Werte in Russland, teilte die Stiftung am Samstag zum Jahrestag der Ermordung des früheren Vize-Regierungschefs mit.
Nemzows Tochter Schanna Nemzowa sagte im Interview mit dem russischen Portal snob.ru, dass das „autoritäre Regime“ in Russland immer aggressiver werde. Putin werde sich bis zum Schluss an die Macht klammern, meinte sie. Die Nemzow-Stiftung würde den Preisträger Nawalny als „Symbol des Widerstands gegen Tyrannei in der Welt“. Und sie forderte die sofortige Freilassung des Putin-Kritikers.
Leser*innenkommentare
Michael Myers
Nemzow und sein Mitstreiter Wladimir Kara-Mursa haben maßgeblich mitgewirkt am Magnitsky Act, welcher Putins Umfeld sanktioniniert: keine Einreise mehr in die USA, Einfrieren von Vermögen. Damit hat Nemzow die empfindlichste Stelle des Regimes getroffen und das war der Hauptgrund, weshalb er ermordet wurde. Kara-Mursa hat zwei Vergiftungsversuche überlebt, vermutlich ebenfalls mit Nowitschok. Deutschland weigert sich bis heute, analoge Maßnahmen zum Magnitsky Act zu ergreifen. Personen, die nicht mehr in die USA einreisen dürfen, halten sich weiterhin in Deutschland auf, z.B. Wladimir Jakunin. In Berlin leitet er Putins Propagandainstitut "Dialog der Zivilisationen", in den USA wird er sanktioniert. Deutschland ist nach wie vor der wichtigste Komplize des Putin-Regimes im Westen. Wenn alle andern die demokratische Reißleine ziehen - auf die Schwachköpfe in Deutschland kann sich Putin stets verlassen.
06438 (Profil gelöscht)
Gast
"".......................zog die Opposition in diesem Jahr zum Tatort, wo eine improvisierte Gedenkstätte von den Behörden immer wieder zerstört wird.""
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Und wieder ein Indiz warum dieses Mal Novichok als passend empfunden wurde - man dachte wohl das
ein feiger Meuchelmord mit 4 Schüssen von hinten bei Nawalny nicht reichen würde.
warum_denkt_keiner_nach?
@06438 (Profil gelöscht) Naja. Putin sagte, wen er umbringen will, ist danach auch tot. Ein Mord mit einem Gift, das schon mal nicht getötet hat, ist etwas sinnfrei :-)
Galgenstein
Der Weg zu Demokratie und Rechtsstaat ist lang und beschwerlich. Wer die Machthaber im Land demaskiert, riskiert Verfolgung und Tod. Nichts fürchten die Machthaber mehr als Menschen, die Korruption und Selbstbedienung anprangern.