EU-Streit um Coronabonds: Kein Land geht pleite

Die Forderung nach gemeinsamen europäischen Staatsanleihen lässt bei Deutschen die Alarmglocken schrillen. Warum Coronabonds notwendig sind.

Frau mit einem blauen Tuch vor dem Mund und Europasternen

Europabefürworterin in Berlin: Keine Angst vor Coronabonds Foto: Markus Schreiber/ap

Superlative wirken immer etwas gewagt und oft auch albern. Trotzdem: Am Thema „Coronabonds“ entscheidet sich, ob Europa noch eine Zukunft hat. An diesem Donnerstag, wenn sich die Regierungschefs per Video treffen, wird es zentral um diese Coronabonds gehen. Mal mehr, mal weniger verklausuliert.

Coronabonds wären Staatsanleihen, die die EU oder die Eurozone gemeinsam ausgeben. Die Zinsen wären sehr niedrig, weil die Wirtschaftskraft ganz Europas dahintersteht. Vor allem Frankreich, Spanien und Italien drängen auf diese Lösung – was bei vielen Deutschen die Alarmglocken schrillen lässt: Müssen „wir“ dann für einen Populisten wie Matteo Salvini zahlen, falls er die Macht in Italien übernehmen sollte? Viele Bundesbürger stellen sich vor, dass der Neofaschist die europäische Scheckkarte zücken könnte, um Wohltaten an sein Volk zu verteilen.

Diese Sorgen und Klischees sind unbegründet. Erstens: Coronabonds wären nur dazu da, die Schäden durch die Pandemie zu beheben. Es geht weder um vergangene noch künftige Staatsschulden. Zweitens: Italien hat in den vergangenen zwanzig Jahren eisern gespart – und zwar deutlich härter als Deutschland. Drittens: Selbst Populisten wie Silvio Berlusconi haben den ita­lie­ni­schen Staatshaushalt zusammengekürzt.

Was stimmt: Italien hat hohe Staatsschulden – aber die sind uralt. Sie stammen noch aus der Zeit der Lira und wurden immer verlässlich bedient. Doch von diesen historischen Argumenten lassen sich viele Deutsche nicht überzeugen. Sie verweisen auf ein Paradox: Wenn die Italiener tatsächlich so gut wirtschaften – warum haben sie dann Probleme, Kredite zu günstigen Zinsen zu bekommen?

Finanzinvestoren folgen Herdentrieb

Diese Frage ist verständlich, geht aber völlig in die Irre, weil sie implizit annimmt, dass die Finanzmärkte rational wären. Doch das Gegenteil ist richtig: Die Finanzinvestoren folgen dem Herdentrieb. Selbst gesunde Staaten können in den Konkurs getrieben werden.

Es setzt ein Teufelskreis ein: Die Investoren fürchten, dass Italien in die Pleite rutschen könnte, also verlangen sie hohe Zinsen. Doch diese hohen Zinsen sorgen dafür, dass Italien seine Schulden nicht bedienen kann und tatsächlich pleite wäre. Eine Prophezeiung erfüllt sich selbst.

Im Moment verhindert die Europäische Zentralbank den Eurocrash, indem sie italienische Staatsanleihen aufkauft, um die Zinsen zu drücken. Aber das ist keine Dauerlösung. Gebraucht werden Coronabonds. Denn damit würden die EU-Chefs den Finanzinvestoren signalisieren: Kein Land geht pleite. Ende der Durchsage.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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