Kolumne Kapitalozän: Wutanfall wegen Wuchermieten

Immer mehr Mieter werden ausgequetscht. Einfach nur, weil es geht. Ich wünsche allen, die da mitmachen, Mundgeruch und Blähungen.

Meine neue Bruchbude

Die paar Schönheitsreparaturen kann man als Mieter doch wirklich selbst zahlen Foto: dpa

Wenn ich mich mit Immobilien beschäftige, bekomme ich Wutanfälle. Das liegt daran, dass ich derzeit eine Mietwohnung in Berlin suche. Und ich werde das Gefühl nicht los, dass man mich ausquetschen möchte. Einfach so, weil es geht. Der Immobilienmarkt in Großstädten ist nur noch für Investoren da, die sich eine goldene Penisverlängerung verdienen wollen. Im Namen des freien Marktes.

Merkt irgendjemand, was sich da für ein Frust aufbaut? 35 Millionen Deutsche wohnen zur Miete und müssen sich das zynische Gequatsche von Boommärkten, besten Investitionschancen und renditestarken Objekten in bester Wohnlage anhören, während sie einen immer größeren Teil ihres stagnierenden Einkommens für eine schlichte Wohnung hinblättern müssen.

Mir bleibt nichts weiter, als die verbale Mistgabel zu schwingen. Momentan ist das menschliche Grundbedürfnis nach einem netten Zuhause eine riesige Umverteilungsmaschine von unten nach oben. Wer Kohle hat, freut sich an seiner Traummarge. Dass man dazu Geringverdienern immer mehr Geld aus der Tasche ziehen muss, ist egal – der Markt gibt es her und der kennt keine Moral, nur Mechanismen.

Falls Sie das lesen und sich gerade überlegen, in Berlin eine Wohnung zu kaufen, als Geldanlage, sichere Renditen dank steigender Mieten: Für Sie schmeißt jemand die alten Bewohner raus. Für Ihre Rendite werden Menschen an den Stadtrand gedrängt. Und hören Sie auf, von Niedrigzinsen zu reden.

Das Kapitalozän ist ein eigenes Erdzeitalter. In dieser Kolumne geht es ums Überleben in selbigem. Vielleicht kennen Sie bereit das Anthropozän. Super Palaverthema. Wie die Kreidezeit, das Jura oder das Paläoproterozoikum, so ist auch das Anthropozän ein eigenes Erdzeitalter. Es besagt, dass die Menschheit durch Acker- und Bergbau, durch Städte, Atombomben und Straßen die Erde so sehr umgegraben hat, dass man das noch in 1000 Millionen Jahren im Gestein erkennen wird.

Das Kapitalozän ist die linksökologische Erweiterung des Anthropozäns. Demnach ist es nicht der Mensch an sich, der Ánthropos, der den Planeten geologisch verändert. Nein, es sind die Kapitalisten. Schließlich können, global gesehen, die meisten Menschen nichts für die Naturzerstückelung.

Eigentum verpflichtet nicht, UNS ihre goldenen Löffel zu zahlen, sondern SIE als ohnehin wohlsituiertes Privilegienrind nicht die ganze Weide allein leerzufressen. Falls Sie mit mehr als drei Prozent Rendite kalkulieren, bereichern Sie sich auf Kosten anderer. Ich wünsche Ihnen chronischen Mundgeruch und unheilbare Blähungen.

Kürzlich hab ich mir in Steglitz eine Wohnung angeschaut. Es war ein ziemliches Loch. Uralte, nach Tod und Verderben riechende Böden, ein in uringelb gehaltenes Bad, Fenster aus der Nazizeit, die den Blick in einen grauen, bunkerartigen Innenhof freigaben. Auf der Straße roch es nach Bohnerwachs, das Kiezleben bestand aus einem Teich, in dem sich demente Enten das Gefiedern rupften.

Entgegenkommen? Äh, nein.

Für die Bude wollte „die Verwaltung“, wie der Makler vermutlich sich selbst bezeichnete, über 1000 Euro warm im Monat. Aber das war nicht alles. Wer das Loch mieten wollte, musste auch noch selbst renovieren und bekam, welch Gnadengeschenk, zwei Kaltmieten frei. Also grob 1500 Euro. Ich argumentierte, dass es mit Arbeitszeit rund 10.000 Euro kosten würde, die Wohnung bewohnbar zu machen. Wie wäre es mit einem Entgegenkommen?

Das stehe nicht zur Disposition, sagte der Makler. Das seien die Bedingungen. Entweder wir akzeptieren oder wir sind raus aus dem Rennen. Übersetzt hat der Typ gesagt: Wir pressen das maximal aus Ihnen raus. Wem die Ehre zuteil wird, uns künftig Miete überweisen zu dürfen, dem obliegt auch das Privileg, unsere Immobilie vorher zu renovieren. Bitte knien Sie nieder. Wir machen das, weil wir es können. Wir finden immer eine verzweifelte Familie oder ein betuchtes Pärchen.

Das Hamburgische WeltWirtschaftsInstitut und die Privatbank Berenberg haben kürzlich ausgerechnet, dass die Mieten in Berlin in guten Wohnlagen von 2004 bis 2014 um 67 Prozent gestiegen sind. In anderen Städten sieht es kaum anders aus, außer in Duisburg. Da ist es sicher auch schön.

Schmierig, geschmiert

Das geht immer so weiter, da hilft auch keine „Mietpreisbremse“. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat süffisant festgestellt, dass die Mieten zusätzlich stiegen, als die Mietpreisbremse angekündigt wurde und danach keinerlei Effekt zeigte – weil sich ohnehin niemand daran hält.

Zwar sind die Maklergebühren abgeschafft, aber ich werde den Eindruck nicht los, dass sich die Hälfte dieser Typen von verzweifelten Wohnungssuchenden bereitwillig schmieren lässt. (Falls Sie Makler sind und mich gerade googeln, weil Sie mir eine Wohnung vermieten wollen: Ich meine natürlich nicht SIE. Nein, Gott bewahre. Das hier ist ein Kolumne. Mein Lebensunterhalt. Bitte, bitte, bitte, nicht an jemanden anderen vermieten. Ich putze auch Ihr Klo, täglich, kostenlos, zehn Jahre.)

Das Lustige ist, dass die Immobilien, die gerade blasenhaft immer teurer werden, wegen der letzten Immobilienblase immer teurer werden. Die platzte bekanntlich 2007 in den USA, was eine Weltfinanzkrise auslöste, wogegen die Zentralbanken ankämpften, indem sie die Zinsen senkten, bis auf Null, damit die Banken wieder Kredite in die Wirtschaft pumpen, was sie trotzdem nicht machen, also kauft die Europäische Zentralbank jetzt sogar Schuldscheine von Unternehmen auf, wodurch auch damit keine Zinsen mehr zu erzielen sind, also wissen Anleger nicht mehr, wohin mit ihrem Geld, und kaufen Immobilien, da gibt es noch Rendite, weil man die Mieter auspressen kann und das geht dann solange, bis die nächste Immobilienblase platzt.

Bumm. Was ein Wahnsinn.

Das war jetzt etwas verkürzt. Die Finanzkrise hatte eine Menge Gründe, vielleicht lag es doch am Öl. Aber die grobe Richtung stimmt. Und am Ende renne ich durch Berlin und finde keine Bude.

Zum Schluss: ein kleiner Anlagetipp

Nur sollen die höheren Mächte der Weltfinanz keine Entschuldigung sein. Liebe Anwälte, Ärzte, Abgeordnete, Oberstudienräte, Erben, Vermieter, Spekulanten, Anleger: Man MUSS seine Mieter nicht ausquetschen, nur weil man es kann. Das schreibt einem niemand vor. Es ist Ihre persönliche Entscheidung, wenn Sie in Berlin oder München eine Wohnung kaufen, Dollarzeichen in den Augen haben und meinen, die Mieter könnten doch noch ein klein wenig prekärer leben, um Ihren persönlichen Reichtum weiter zu mehren.

Am Ende habe ich noch einen kleinen Anlagetipp. Mein Lieblingsportal cash online schreibt von „renditestarken Anlagemöglichkeiten“ in Wohnhochhäusern. Hochhäuser! Da geht noch was. Da ist noch Luft nach oben. Lassen Sie uns gemeinsam Plattenbauten in Marzahn gentrifizieren. Dann in Brandenburg, in ganz Deutschland, in Europa, Amerika, auf dem ganzen Planeten und dann ab ins Universum. Es warten renditestarke Wohnlagen auf der Sonnenseite des Mondes. Helm ab und Luft holen.

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Beschäftigte sich für die taz mit der Corona-Pandemie und Impfstoffen, Klimawandel und Energie- und Finanzmärkten. Seit Mitte 2021 nicht mehr bei der taz.

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