Kontroverser Pulli von Jette Nietzard: Hausverbot für Klöckner!
Die Bundestagspräsidentin möchte der Grüne-Jugend-Chefin den Hausausweis entziehen. „Die Würde des Amtes“ möchte Klöckner selbst ausschließen – und schreibt diesen Brief.
S ehr geehrte Damen und Herren,
trotz begründeter Skepsis habe ich mich zu Beginn der Legislaturperiode auf das Personalexperiment eingelassen. Julia Klöckner hatte nach ihrem Amtsantritt als Bundestagspräsidentin immerhin beteuert, verbindend und verbindlich wirken zu wollen. Die Chance, mir tatsächlich gerecht zu werden, habe ich ihr eingeräumt.
Zwei Monate später wende ich mich heute aber desillusioniert an Sie. Anlass ist das vom 30. Mai 2025 datierte Schreiben, das Frau Klöckner an Partei und Fraktion der Grünen senden ließ und das seinen Weg auf wundersame Weise in die Bild-Zeitung vom Montag gefunden hat. Darin droht sie, Jette Nietzard, Chefin der Grünen Jugend, wegen ihres umstrittenen „ACAB“-Pullovers den Zugangsausweis für den Bundestag zu entziehen.
Schon zuvor hatte mich die Diskussion um das Kleidungsstück peinlich berührt. Die sogenannte Debatte läuft nun schon seit zehn Tagen, hat aber noch immer keine einzige Erkenntnis produziert. Als nicht direkt Betroffene konnte ich zunächst darüber hinwegsehen: Innergrüne Kulturkämpfe zwischen Jugendgruppen und baden-württembergischen Provinzpolitikern sind nicht meine Angelegenheit.
Jetzt aber kann ich nicht mehr schweigen: Indem Frau Klöckner als zweithöchste Repräsentantin des Staates in die Empörungsspirale eingestiegen ist, hat sie mich verletzt. Ihr Drohschreiben ist unter mir. Ich fordere Sie dringend auf, der Bundestagspräsidentin ihrerseits unverzüglich den Hausausweis zu entziehen. Den unbegrenzten und unkontrollierten Zugang könnte Frau Klöckner andernfalls dafür ausnutzen, weiteren Unfug in die Parlamentsgebäude einzuführen und mich damit dauerhaft zu beschädigen.
Es ist ja nicht nur der eine Brief. Frau Klöckners Vor-Vorgänger Norbert Lammert wurde in der Süddeutschen Zeitung einmal damit zitiert, das Amt des Bundestagspräsidenten sei ein „dauernder Intelligenztest“. Er sei einerseits mitten in der operativen Politik verankert, stehe andererseits aber auch außerhalb des Parteienstreits. Oft sei ein „kunstvoller Spagat“ nötig. Leider ist die jetzige Amtsinhaberin innerhalb weniger Wochen gleich mehrmals an der Übung gescheitert. Mehrfach ließ sie intellektuellen Tiefgang, Überparteilichkeit, Debattenkultur oder alles zusammen vermissen:
Ihr Antrittsinterview, ebenfalls in der Bild-Zeitung, nutzte Klöckner für einen autoritären Aufruf an die Kirchen in Deutschland: Sie sollten mehr über die „grundsätzlichen Fragen von Leben und Tod“ sprechen und weniger „Stellungnahmen zu tagespolitischen Themen“ abgeben „wie eine NGO“. Erkennbar wirkte darin der Ärger darüber nach, dass die Kirchen im Wahlkampf die unchristliche Flüchtlingspolitik der Union kritisiert hatten.
Mitte Mai rügte Klöckner nach der Regierungserklärung des Bundeskanzlers einen Zwischenruf aus der Linksfraktion, demzufolge es sich beim Krieg in Gaza um einen „Genozid“ handle. Der Wertung der Linken möchte ich mich an dieser Stelle ausdrücklich nicht anschließen, allerdings wird die Einstufung als Völkermord inzwischen auch in wissenschaftlichen Fachkreisen zunehmend geteilt. Die Würde des Parlaments ist mir persönlich bekannt und aus eigener Anschauung kann ich sagen: Der Zwischenruf hat sie keinesfalls verletzt.
Erst an diesem Wochenende führte sich Frau Klöckner auf Instagram auf wie sonst nur Onkel Dieter in seinem Whatsapp-Status: Sie teilte einen polemischen Beitrag gegen das ZDF, das es gewagt hatte, den Kanzler in einem Interview kritisch zu Abschiebungen zu befragen. Die Aufschrift auf dem Post: „Merz macht Dunja Hayali [die ZDF-Moderatorin im Interview, Anm. d. W. d. A.] fertig“.
Zugute halten möchte ich Frau Klöckner ein weiteres aktuelles Schreiben, in dem sie die Bundesregierung auffordert, die Debatten im Bundestag häufiger zu verfolgen und durchgehend eine Mindestzahl von Kabinettsmitgliedern ins Plenum zu entsenden. Immerhin damit kommt die Bundestagspräsidentin ihrer Aufgabe nach, für eine starke Position des Parlaments gegenüber der Exekutive zu sorgen. Entsprechende Schreiben lassen sich aber auch im Homeoffice verfassen, eine begrenzte Menge an Briefpapier ist Frau Klöckner zu diesem Zweck gegen Aushändigung ihres Hausausweises zu überlassen. Für ihr übriges Wirken kann sie sich einfach am Reichstagsufer auf eine Kiste stellen.
Mit freundlichen Grüßen
Die Würde des Amtes
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