Zurück nach Afghanistan: Abschiebungen sollen beginnen
Am Mittwoch soll der erste Abschiebeflug seit März nach Afghanistan starten – trotz globaler Pandemie und desaströser Sicherheitslage im Land.
Die Bundesregierung hatte Sammelabschiebungen nach Afghanistan auf Bitten der afghanischen Regierung vorübergehend ausgesetzt. Dass die Bundesregierung nun trotz global steigender Corona-Infektionen wieder abschieben möchte, stößt auf breite Kritik. „Es ist ein Zeichen äußerster Kaltherzigkeit, wenn die Bundesregierung junge Menschen in eine möglicherweise lebensbedrohliche Situation bringt“, sagt Georg Classen, Sprecher des Berliner Flüchtlingsrats.
Auch Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl, bezeichnet es als „unverantwortlich“, dass die Bundesregierung „trotz Pandemie und katastrophaler Sicherheitslage“ nun wieder nach Afghanistan abschieben wolle. Und die Linken-Innenexpertin Ulla Jelpke nennt es „bodenlos, dass Bund und Länder mitten in der zweiten Welle der Pandemie und genau an dem Tag, an dem in Deutschland der Lockdown beginnt, Menschen nach Afghanistan zurückzwingen wollen“. Täglich komme es dort zu massiver Gewalt, auch gegen Zivilisten.
Laut dem Global Peace Index des Institute for Economics & Peace ist Afghanistan aktuell das gefährlichste Land der Welt. Selbst der Lagebericht des Auswärtigen Amtes, der dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) und den „Ausländerbehörden“ als Richtlinie für Asyl- oder Abschiebeentscheidungen dienen soll, kommt in seinem Bericht vom Sommer 2020 zu dem Schluss: „Es ist davon auszugehen, dass die Taliban in zahlreichen Distrikten die alleinige Kontrolle …ausüben.“
Finanzieller Druck auf Kabul?
Seither hat sich die Sicherheitslage eher verschlechtert, beobachten Menschenrechtsorganisationen. Das zeigten die vielen blutigen Anschläge der vergangenen Monate, unter anderem auf eine Universität und eine Schule mit insgesamt mehr als 50 Toten. Expert:innen fürchten, dass der angekündigte Truppenabzug der USA die Lage weiter verschärft.
Warum die afghanische Regierung plötzlich der Abschiebung zustimmt, beantwortet das Innenministerium auf taz-Anfrage nicht. Pro Asyl geht davon aus, dass bei der internationalen Geberkonferenz Ende November, bei der 10,1 Milliarden Euro für den Wiederaufbau des Landes bewilligt wurden, entsprechend Druck ausgeübt wurde. „Anders ist diese Zustimmung nicht zu erklären“, sagt auch Classen vom Berliner Flüchtlingsrat. Noch vor einem Monat hatte Afghanistan die Zustimmung verweigert.
Was Classen verärgert: dass Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) ausgerechnet einen Afghanen abschieben lässt, der momentan unter Quarantäne steht. Der Berliner Senat hingegen hält die Abschiebung für gerechtfertigt und verweist auf das umfangreiche Strafregister des jungen Mannes.
Um Abschiebungen zu vermeiden, empfehlen Flüchtlingsräte „ausreisepflichtigen“ Afghanen, sich beraten zu lassen. Die Aussicht, dass Gerichte die abgelehnten Asylentscheide des Bamf kassieren, ist gut. Laut einer Antwort auf eine Linken-Anfrage wurden bis Ende September 5.644 Ablehnungen aufgehoben. Das entspricht fast 60 Prozent der untersuchten Fälle.
Seehofers Ministerium aber setzt asylpolitisch derzeit auf Härte: Erst vor wenigen Tagen setzte es auf der Innenministerkonferenz auch durch, dass der Abschiebestopp nach Syrien ausläuft.
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