Gericht setzt Flüge aus: Keine Abschiebung nach Afghanistan
Ein Gericht urteilte, dass mit wenigen Ausnahmen nicht in das Bürgerkriegsland abgeschoben werden darf. Durch die Coronakrise drohe dort großes Elend.
Laut Gericht darf auch ein arbeitsfähiger, alleinstehender und völlig gesunder erwachsener Mann derzeit nicht nach Afghanistan abgeschoben werden, „weil es ihm dort angesichts der gravierenden Verschlechterung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen infolge der Covid-19-Pandemie voraussichtlich nicht gelingen wird, auf legalem Wege seine elementarsten Bedürfnisse nach Nahrung, Unterkunft und Hygiene zu befriedigen“. Insofern gelte ein nationales Abschiebeverbot für den zentralasiatischen Staat.
Bislang war das Gericht in seinen Entscheidungen davon ausgegangen, dass leistungsfähigen, erwachsenen Rückkehrern in Afghanistan keine Verelendung drohe. Deutschland schickt seit Ende 2016 abgelehnte Asylbewerber wieder nach Afghanistan zurück und hat nach einer Pause 2020 inzwischen die Abschiebeflüge wieder aufgenommen. Die meisten Bundesländer schieben vorrangig Straftäter und Gefährder ab.
Nun könne es Ausnahmen nur noch bei „besonders begünstigenden Umständen“ geben, führten die Richter am Mittwoch weiter aus. Dazu zählten Fälle, in denen sich abgelehnte Asylbewerber auf ein „übernahmebereites und tragfähiges familiäres oder soziales Netz“ stützen könnten, das ihre Grundversorgung garantiere. Ein aus dem westlichen Ausland zurückgekehrter alleinstehender Mann habe dagegen angesichts der Wirtschaftslage infolge der Coronapandemie „keine realistische Aussicht“, auf dem Markt für Tagelöhner eine Arbeit zu finden.
Die Mannheimer Richter stützten ihre Entscheidung auf mehrstündige mündliche sowie schriftliche Auskünfte einer Sachverständigen sowie die „Auswertung einer Vielzahl von Erkenntnismitteln“, insbesondere zur Lage in der Hauptstadt Kabul. Unter Berücksichtigung der individuellen Situation des Klägers seien sie dabei zu der Überzeugung gelangt, dass eine Abschiebung nach Afghanistan in seinem Fall derzeit nicht in Frage komme. Die Ablehnung seines Asylantrags sei jedoch korrekt.
Eine Revision ließ das Gericht nicht zu. Dagegen können die Beteiligten aber noch beim Bundesverwaltungsgericht vorgehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt