Zukunft der Linkspartei: Linkspartei am Kipppunkt
Eine Fraktion, die gegen die Partei agiert. Ein Klimapolitiker, der Autos liebt. Eine enttäuschte Basis. Kann die Linke die Spaltung überleben?
Am Tag, an dem die Dynamik des Klimawandels erneut deutlich wird, wählt die Bundestagsfraktion der Linken den Abgeordneten Klaus Ernst zum Vorsitzenden das Bundestagsausschusses für Klima und Energie. Ausgerechnet „Porsche-Klaus“! Der schnelle Autos liebt, sich für die Gaspipeline Nordstream2 ins Zeug legt und vor einer Anbiederung an die Klimabewegung warnte. Für die Partei ist Klimapolitik mittlerweile ein Kernthema, hereingetragen vor allem durch jüngere Mitglieder wie Becker, der 2016 in die Linke eintrat. „Der Einsatz für Klimagerechtigkeit ist eines unserer zentralen Politikfelder“, heißt es in einem Beschluss des Vorstands vom Oktober. Becker hat auf diese Formulierung gedrängt.
Nicht nur er ist über die Wahl von Ernst an die Spitze dieses wichtigen und einzigen Ausschusses für die Linksfraktion frustriert und wütend. Eine ehemalige Landesvorsitzende tritt nach 27 Jahren aus der Partei aus, der langjährige abrüstungspolitische Sprecher Jan van Aken zieht sich aus Ärger über die Fraktion aus dem Parteivorstand zurück und verwendet in seinem Austrittsschreiben Begriffe, wie sie sonst im Zusammenhang mit korrupten Regimen fallen.
Vor allem aber sind es jüngere Mitglieder und Aktivist:innen, die ihre Wut und Enttäuschung in den sozialen Medien verbreiten. Tausende haben einen einige Tage vor der Wahl initiierten offenen Brief unterschrieben und die Linksfraktion aufgefordert, den Ausschussvorsitz anders zu besetzen. Umsonst.
Die Seenotrettungskapitänin Carola Rackete, für viele Linke eine Gallonsfigur, twittert: „Die Linke ist mit der Wahl von Klaus Ernst als Vorsitzenden des Klimaausschusses scheinbar weiter im Selbstzerstörungsmodus, indem sie genau die sozialen Bewegungen abschreckt deren Inhalte sie eigentlich im Programm vertritt.“ Rackete hat mehr Follower als die Linkspartei Mitglieder.
39 gegen 60.000
Die Linkspartei, die es im September nur ganz knapp ins Parlament geschafft hat, bewegt sich auf einen Kipppunkt zu. Wird sie in Zukunft noch gebraucht, oder erledigt sie sich von selbst? Zumal sich nun der Eindruck verfestigt, dass ein Grüppchen von 39 Abgeordneten über Richtung und Themensetzung einer 60.000-Mitglieder-Partei entscheiden kann. Ein Grüppchen, das Kritik negiert, Beschlüsse ignoriert und Kommunikationskanäle dichtmacht.
Die morgendlichen Telefonate zwischen Partei- und Fraktionsführung, wie sie im Wahlkampf üblich waren, sind längst wieder eingestellt. Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow spricht von einer Entfremdung zwischen Partei und Fraktion. Wie konnte es so weit kommen?
Zum einen hat das magere Wahlergebnis dafür gesorgt, dass es vorwiegend verdiente Parteikader, die auf vorderen Listenplätzen abgesichert waren, in den Bundestag schafften, während Nachwuchspolitiker:innen das Nachsehen hatte. Die Linke stellt nun die zweitälteste Fraktion, und ihre Abgeordneten ticken oft traditioneller als die Parteibasis. Die hat sich in den letzten Jahren erheblich verjüngt, ein Fünftel der Mitglieder kam neu hinzu, zwei Drittel davon sind jünger als 35.
Die arrivierte Zusammensetzung der Fraktion stärkt aber auch das fraktionsinterne Machtbündnis aus, grob gesagt, ostdeutschen Pragmatiker:innen und westdeutschen Orthodoxen. Die Mehrheiten sind klar verteilt: Zwei Drittel der Abgeordneten gehören zum sogenannten Hufeisen, der Rest muss sich hinten anstellen. Auch die beiden Parteivorsitzenden Janine Wissler und Hennig-Wellsow, die beide neu im Bundestag sind. Posten werden nach Loyalität und Machtinteressen vergeben, Inhalte spielen kaum eine Rolle.
Im Zentrum dieses Zweckbündnisses: Fraktionschef Dietmar Bartsch, gebürtiger Stralsunder, seit 44 Jahren Parteimitglied. Einer, dessen Karriere in der SED begann, der sich später in PDS und Linkspartei über verschiedene Ämter vom Schatzmeister, Bundesgeschäftsführer bis zum Fraktionschef und Spitzenkandidaten für die Bundestagwahl hochgedient hat. Ein vollendeter Funktionär, dessen Machtinstinkte verlässlich funktionieren. Dessen politische Landkarte sich aber auf Mecklenburg-Vorpommern beschränke, wie Genoss:innen lästern.
Bloß nicht grüner als die Grünen
Bartsch und Ernst seien sich menschlich nie besonders nah gewesen, berichtet ein Genosse, der beide lange kennt. Bartsch zündelte gegen Ernst, als dieser Parteichef war, Ernst hielt sich umgekehrt nie mit öffentlicher Kritik zurück, wenn es um den Führungsstil von Bartsch und dessen damaliger Ko-Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht ging.
Dass Bartsch ihn jetzt als Ausschussvorsitzenden durchgedrückt hat, mag zum einen daran liegen, dass er die Renitenz des Bayern fürchtet. Bei der Vergabe der Arbeitskreise war Ernst auf der Fraktionsklausur im Oktober leer ausgegangen. Es liegt aber auch am politischen Kurs, den Ernst verfolgt und den Bartsch teilt.
Die Linkspartei dürfe nicht „grüner werden als die Grünen“, betonen beide immer wieder. Statt immer ehrgeizigere Klimaziele zu formulieren, müsse sich die Linke auf ihren Markenkern konzentrieren, nämlich die soziale Frage. Auch wenn Ernst nach seiner Wahl in einem Video der Fraktion betont, er wolle die Interessen von abhängig Beschäftigten und sehr jungen Leuten in der Klimabewegung zusammenbringen, nutzt er doch auch die Gelegenheit, erneut für die Energiepartnerschaft mit Russland und für Nordstream2 zu werben. Es wäre blanker Unsinn, so eine Rieseninvestition im Meer zu versenken.
„Klaus hat da eine Mission“, meint Bernd Riexinger. Der Ex-Verdi-Sekretär Riexinger und der ehemalige IG-Metaller Ernst kennen sich seit den 1990er Jahren, sie haben die Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit (WASG) gegründet. Doch außer ihrem Alter – beide sind jenseits der 60 – und ihrer Vita verbindet beide heute wenig. Riexinger hat maßgeblich die Gründung der Bewegungslinken mit vorangetrieben, einer noch jungen Parteiströmung, die die Linke als parlamentarischen Arm sozialer Bewegungen etablieren will und die Anliegen von Fridays for Future bis zur Seenotrettung aktiv vertritt.
Am Dienstag ist Riexinger gegen Ernst für den Posten des Ausschussvorsitzenden angetreten. Die Fraktion entschied sich mit 13 zu 23 Stimmen klar gegen ihn. Dennoch wirkt Riexinger erstaunlich aufgeräumt, als ihn die taz am Donnerstag in seinem Bundestagsbüro trifft. Es sei klar gewesen, dass er verlieren würde. Jetzt sitzt er im Verkehrsausschuss. „Da kann ich auch Klimapolitik machen.“
Ein alter Konflikt mit neuen Gesichtern
Was aber Riexingers gute Laune fast noch mehr beflügelt: Der neu aufgeflammte Konflikt zwischen Partei und Fraktion entlastet ihn. Zusammen mit Katja Kipping führte er die Partei bis zum Februar 2021. Auch in seiner Amtszeit war das Verhältnis zwischen Fraktions- und der Parteispitze angespannt. Nicht wenige führten das auf persönliche Konflikte zwischen Wagenknecht, bis 2019 Fraktionschefin, und Riexinger als auch Kipping zurück.
Doch hinter den persönlichen Animositäten, die es tatsächlich gibt, lauerte ein grundsätzlicher Konflikt, der bis heute schwelt, nämlich um die Ausrichtung der Partei. Für wen macht sie Politik: für den Dieselfahrer oder die Lastenradlerin, die Klimaaktivistin oder den Braunkohlekumpel? Während Linke wie Wagenknecht oder auch Ernst finden, die Linkspartei müsse sich entscheiden, nämlich für Autofahrer und Kohlekumpel, werben Riexinger wie auch andere für eine Versöhnung der Milieus, umschreiben das mit dem sperrigen Begriff „Verbindende Klassenpolitik.“
Eine Verengung auf Sozialstaat und Frieden, auf den Kampf gegen steigende Benzinpreise und für niedrige Heizkosten hält Riexinger jedenfalls für „hochgefährlich.“ „Eine Partei, der das Gespür für gesellschaftliche Veränderungen fehlt, die ignoriert, dass gerade jüngere Wähler:innen heute klimapolitisch sozialisiert sind, kann der 5-Prozent-Todeszone nicht entkommen“, ist er überzeugt.
Gnadenlos konstruktiv
Auch Lorenz Gösta Beutin, bis zum September klimapolitischer Sprecher der Linksfraktion, dessen Listenplatz nicht mehr für den Wiedereinzeinzug gereicht hat, meint: „Die Linksfraktion hängt der realen Entwicklung in der Gesellschaft hinterher.“ Am Abend der Wahl von Ernst haben er und rund 30 Klimapolitiker:innen der Partei sich spontan im Netz getroffen. „Klar waren wir wütend über die Absurdität der Entscheidung. Ich finde aber, es lohnt sich, um diese Partei zu kämpfen.“
Man wolle deshalb nun „gnadenlos konstruktiv“ agieren, die Klimapolitik der Linkspartei voranbringen und die Partei selbst als politisches Zentrum etablieren. Denn eins habe die Unterschriftenaktion gegen Ernst doch gezeigt: „In der Partei ist das Fenster für eine linke Politik der Klimagerechtigkeit längst aufgestoßen worden.“
Die Initiator:innen des Briefes – am Ende haben ihn 12.000 Menschen unterschrieben – haben für Ende Januar zum virtuellen Treffen eingeladen. Und auch Becker hat sich nach seinem Tief wieder aufgerappelt und ruft über Twitter dazu auf, der Linkspartei beizutreten, „auch wenn ihr gerade verzweifelt seid“. Wer bis Sonntag Mitglied geworden ist, erhält ein Freiexemplar seines Buches „Anders wachsen.“
Im Juni trifft sich die Linkspartei zum Programmparteitag. Hennig-Wellsow und Wissler, die angetreten sind, um die Linke neu auszurichten und vor allem wieder auf die Füße zu bringen, wollen dann erste Antworten vorlegen, wie die Partei aus der Krise kommt. Unter anderem schlagen sie in einem gerade veröffentlichten Papier vor, eine soziale und klimagerechte Mobilitätswende zum Schwerpunkt zu machen.
Im Jahr darauf wird dann das Spitzenpersonal gewählt, auch im Hinblick auf Bundestagswahl 2025. „Und das wird sehr wahrscheinlich ein anderes sein als im letzten Wahlkampf“, verspricht Hennig-Wellsow.
Eine Kampfansage an Dietmar Bartsch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“
Bequem gemacht im Pseudoliberalismus