Zukunft der Bahn: Die Entkupplung von Zug und Schiene
Grüne und FDP wollen bei der Bahn mehr Wettbewerb ermöglichen. Was hieße das für die Kund:innen? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Die Meldung, dass Grüne und FDP die Deutsche Bahn zerschlagen wollen, hat für Aufregung gesorgt. Worum geht es genau?
Grüne und FDP wollen die Deutsche Bahn in zwei Teile aufsplitten. Ein Teil soll sich um die Infrastruktur wie das Schienennetz kümmern, der andere um den Bahnbetrieb. So soll mehr Wettbewerb möglich werden und auch andere Unternehmen mehr zum Zug kommen. Im Fernverkehr ist die Deutsche Bahn quasi Monopolist, es gibt nur wenige Konkurrent:innen wie Flixtrain. Im Nah- und Güterverkehr dagegen besteht mehr Wettbewerb.
Was habe ich als Kund:in von mehr Wettbewerb?
Die Befürworter:innen der Trennung sagen: bessere Verbindungen, billigere Tickets und besseren Service. Die Gegner:innen stellen genau das infrage und warnen vor noch größeren Verspätungen, noch mehr Zugausfällen und noch weniger Verbindungen. Sie verweisen auf Zielkonflikte gewinnorientierter Wettbewerber:innen: Was ist ihnen wichtiger – Profit oder Pünktlichkeit?
Und wie ist es mit dem Umsteigen? Gerade wenn man von der Großstadt tief in die Provinz will oder umgekehrt, wird Bahnfahren nervig. Hilft da die Aufspaltung?
Nein. Bis 2030 soll der sogenannte Deutschlandtakt verwirklicht werden, ein bundesweit abgestimmter Fahrplan, bei dem zwischen den großen Städten halbstündlich Züge fahren und Anschlusszüge in die Regionen erreicht werden. Sollte der Deutschlandtakt realisiert werden, werden die Verbindungen insgesamt besser, so manches Umsteigen wird entfallen. Das ist für die Deutsche Bahn allein schon eine riesige Herausforderung. Je mehr Akteur:innen eingebunden werden, desto schwieriger ist der Takt einzuhalten.
Wenn andere Anbieter:innen leichter Zugang haben und echte Konkurrenz ermöglicht wird, fahren dann auch mehr Züge? Das Netz hat doch natürliche Grenzen.
Ja, jedes Gleis kann nur von einem Zug befahren werden. Durch Einsatz moderner Technik könnten aber mehr Züge schneller nacheinander fahren. Ob diese Modernisierung durch eine Aufsplittung der Deutschen Bahn schnell vorangetrieben wird, ist ungewiss.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Werden mehr Schienen gebaut, wenn es ein eigenes Unternehmen dafür gibt?
Der Schienenbau hat wenig mit einer Aufsplittung zu tun. Heute dauert es laut Bundesverkehrsministerium im Schnitt 20 Jahre, bis ein neuer Gleisabschnitt fertig ist. Zwei Drittel davon entfallen auf die Planung, denn daran sind sehr viele Instanzen beteiligt. Mehr Leute in Genehmigungsbehörden, straffere Bewilligungsverfahren und zügigere Finanzierungszusagen bringen schneller mehr neue oder reaktivierte Schienenwege als das Herauslösen der DB Netz aus dem Gesamtkonzern.
Im Regionalverkehr sind bereits Wettbewerber der Deutschen Bahn aktiv. Wie läuft das?
Es gibt einen bizarren Wettbewerb: Vor allem die Tochterunternehmen von europäischen Staatsbahnen konkurrieren bei Ausschreibungen um den Betrieb von Strecken in der Bundesrepublik, darunter niederländische, italienische oder französische. Gleichzeitig ist die Deutsche Bahn in der europäischen Nachbarschaft unterwegs.
Der Wettbewerb ist mitunter ruinös. Der Marktanteil der mehr als 15 Konkurrent:innen im Regionalverkehr liegt nach Angaben des Wettbewerbsreports der Branchenverbände Mofair und Netzwerk Europäischer Eisenbahnen bei jetzt knapp 41 Prozent. Mit einem Marktanteil von 7,3 Prozent ist das Unternehmen Abellio, eine Tochtergesellschaft der niederländischen Staatsbahn, am größten. Abellio betreibt in Deutschland 52 Linien, unter andere die RE 1 von Aachen nach Hamm in NRW oder die Frankenbahn in Baden-Württemberg. Jetzt ist Abellio pleite, das Insolvenzverfahren läuft. Hohe Verluste sind auch wegen Vertragsstrafen aufgelaufen, die wegen Verspätungen fällig waren. Landespolitiker:innen suchen jetzt händeringend nach Lösungen, damit die Züge nicht einfach ausfallen, etwa die Übernahme der Strecken durch andere Betreiber:innen.
Wer außer Grünen und FDP will eine Aufspaltung?
Auch die Verbände der Bahnkonkurrent:innen im Nah- und Güterverkehr sind dafür. Ihre Mitglieder versprechen sich davon bessere Bedingungen für ihr Geschäft. Ebenfalls dafür sind der Fahrgastverband Pro Bahn und die Lokführergewerkschaft GDL, die bei der Bahnkonkurrenz gut vertreten ist. Auch der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) plädiert für eine Teilung.
Der Staat müsse die Schieneninfrastruktur langfristig erhalten und ausbauen, sagt vzbv-Vorstand Klaus Müller, der früher grüner Umweltminister in Schleswig-Holstein war. „Das ist die Basis für einen stärkeren und faireren Wettbewerb auf der Schiene, der Innovationen fördert und die Zufriedenheit der Verbraucher erhöht.“ Genau das Gegenteil sei mit der aktuellen Monopolstellung der Deutschen Bahn der Fall. Aus Sicht des ökologischen Verkehrsclubs VCD kann es durchaus sinnvoll sein, das Gleisnetz aus dem Konzern herauszulösen – wenn es in die richtige Richtung geht. Ziel einer Bahnreform müsse mehr Umweltschutz und ein höherer Nutzen für Kund:innen sein, nicht mehr Konkurrenz, heißt es beim VCD.
Wer ist gegen die Aufspaltung?
Die SPD, aber auch die Union. Die große Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) ebenfalls. Sie ist bei der Deutschen Bahn stärker verankert als die Lokführer:innengewerkschaft GDL. Zu den weiteren Gegner:innen gehören unter anderen das Bündnis „Bahn für Alle“, die NGO Attac und die Initiative „Gemeingut in BürgerInnenhand“. Schon heute bereitet die Zersplitterung der Deutschen Bahn in 300 Tochterunternehmen im Alltag erhebliche Abstimmungsprobleme. „Eine Zerschlagung der Bahn in noch mehr konkurrierende Gesellschaften würde dieses Problem erheblich verschärfen“, sagt Bernhard Knierim von „Bahn für alle“. Kommt es zu Problemen, ist die Gefahr groß, dass sich die verschiedenen Akteur:innen die Verantwortung dafür gegenseitig zuschieben, anstatt gemeinsam an einer Lösung zu arbeiten.
Wollen die Gegner:innen einer Aufspaltung, dass alles bleibt, wie es ist?
Nein. „Bahn für alle“ und viele andere sind für ein Modell nach Schweizer Vorbild. Dort gibt es ein Bahnunternehmen unter gemeinnütziger Verwaltung, unter dessen Dach Netz und Betrieb vereint sind. Der Staat legt in einem Vertrag mit der Schweizer Bahn fest, welche Leistungen er will. Die Verbindungen sind gut und aufeinander abgestimmt, Verspätungen und Zugausfälle selten.
Welche Erfahrungen haben andere europäische Länder gemacht?
Frankreich und Großbritannien haben die Trennung von Netz und Betrieb vollzogen, machen sie aber rückgängig – weil sie zu Störungen im Betriebsablauf führte und zu teuer ist. Aus Sicht der Aufsplittungsbefürworter:innen taugen diese Beispiele aber nicht für einen Vergleich mit Deutschland. Sie verweisen auf Schweden. Dort sind Netz und Betrieb getrennt, neben der staatlichen Bahn gibt es weitere Unternehmen. „Die Qualität des Angebotes ist sehr unterschiedlich“, sagt Bernhard Knierim. Ein Problem für Reisende: Mitunter gibt es bis zum Ziel keine durchgehenden Tickets.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?