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Wisente vor GerichtOrdnung im deutschen Wald!

Wir erwarten, dass anderswo Tiger, Krokodile und Elefanten gefälligst geschützt werden, streiten aber über ein paar Wisente in Deutschland. Irre.

Ein Wisent liegt rum. Darf der das? Foto: Rufus46/wikimedia

Früher, als die Welt noch in Ordnung war und Alexander Gaulands Vorväter noch ungestört durch preußische Wälder ziehen konnten, hatten sie gute Chancen, dort auf ein Wisent zu treffen. Das wilde Riesenrind war in Europa einst weit verbreitet. Passend zum 100-jährigen Gedenken ist es als weiteres Opfer des 1. Weltkriegs zu verzeichnen. Die letzten Bestände wurden nach dem Krieg von verirrten Soldaten und der verelendeten Bevölkerung als Fleischauslage betrachtet. Das letzte freilebende Wisent starb 1927. Damit wäre das größte europäsiche Wildtier am Ende gewesen, hätten nicht einige Exemplare in Zoos überlebt.

Mit ihnen konnte eine neue Population aufgebaut werden, nach Auswilderungen in Osteuropa gibt es seit 2013 auch im Rothaargebirge ein solches Projekt. Eine Herde von knapp zwanzig Tieren streift dort umher. Zum Missfallen von Waldbauern, die dagegen vor Gericht zogen. Am vergangenen Freitag hatte der Bundesgerichtshof darüber zu befinden, ob die Waldbesitzer es hinnehmen müssen, dass die Tiere auch mal an ihren Bäumen nagen und irgendwie Unordnung in den aufgeräumten deutschen Wald bringen.

Überhaupt gärt der Widerstand: Auch Jogger sollen sich bei einer Begegnung schon erschrocken haben, ganz zu schweigen von der Gefahr für den Verkehr. Und man weiß: Wenn in Deutschland irgendwas als Verkehrshindernis geoutet wird, ist es im Allgemeinen erledigt.

Die Richter sprachen nun zwar kein Urteil, sondern trugen beiden Parteien auf, ihre Positionen bis zum Januar genauer darzulegen. Aber die Stoßrichtung zeichnet sich ab: Das Gericht stellte in Frage, ob Wisente überhaupt als geschützte Wildtierart anzusehen seien, schließlich würden sie ja von einem Artenschutzverein betreut. Und der hat dafür zu sorgen, dass sie nicht in der Gegend herumknabbern, wie sie wollen.

Rotkäppchen lässt grüßen

Es ist dasselbe Elend wie mit dem Wolf. Millionen von Schafen werden Jahr für Jahr geschlachtet, aber bei ein paar hundert von Wildtieren gerissenen Exemplaren bricht Hysterie aus. Ganz zu schweigen von der Gefahr für die Bevölkerung!

Sicher, theoretisch könnte ein Wolf auch mal einen Menschen anfallen, Rotkäppchen lässt grüßen. Wie man das den Eltern eines getöteten Kindes erklären wolle, fragen die besorgten Wolfsbürger dann stets. Ja, das wäre schwierig. Fragen Sie mal diejenigen, die Tausenden von Eltern den Tod ihres Kindes im Straßenverkehr beibringen mussten. Ein Abschuss von Autos steht deswegen erstaunlicherweise immer noch nicht zur Debatte.

Der unglaubwürdige Naturschutz

Und gleichzeitig predigen wir den Menschen in Afrika und Asien, dass sie ihre Tiger, Krokodile und Elefanten schützen sollen. Obwohl im direkten Vergleich ein Elefant im Garten oder ein Leopard beim Spaziergang doch vielleicht eine andere Hausnummer sind als ein Wolf am Schafspelz oder ein Wisent, das private Rinde kaut. Auch Forderungen nach dem Schutz von Regenwäldern und die Kritik an Ölpalmplantagen kämen womöglich einen Tick glaubwürdiger daher, wenn bei uns nicht für jedes beliebige Wirtschaftsprojekt ganze Wälder wie der Hambacher Forst plattgemacht oder jedes einem neuen Einkaufszentrum im Weg liegende Feuchtgebiet trockengelegt würde.

Der Erhalt der Biodiversität ist eine entscheidende Zukunftsfrage, gleichrangig mit der Eingrenzung des Klimawandels. Nicht nur aus kulturellen und ethischen Gründen, sondern für das eigene Überleben der Spezies Mensch. Wir Europäer können uns daraus nicht mit dem Argument zurückziehen, dass für unorganisierte Wildtiere, die sich nie so recht an unsere Vorschriften halten, bei uns nun mal kein Platz sei, weil wir dann mit dem Auto drauffahren – während Menschen andernorts beim Wasserholen vom Krokodil geschnappt werden.

Man wird sich mit dieser Natur arrangieren müssen. Und Entschädigungsfonds, wie es sie bei Wolf und Wisent längst gibt, müssen dringend auf globaler Ebene mit ernsthaften Summen ausgestattet werden, wenn wir zu Recht von weniger wirtschaftsstarken Ländern fordern, dass sie ihre natürlichen Ressourcen nicht für kurzfristige Gewinne vernichten.

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23 Kommentare

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  • Ein schöner Kommentar. Vielen Dank dafür.

  • Wie sieht eigentlich die Klimabilanz für solche Wiederkäuer aus?



    Ist die günstiger als bei anderen Rindern?

    Ich überlege nur, ob es sinnvoll ist, die Tiere in größerem Maße auszuwildern. Ein Teil der Klimaprobleme wäre geringer, wenn wir weniger Kühe hätten. Wisente sind sicherlich erhaltenswert, aber das reicht eben auch in bestimmten Wildparks aus. Inwiefern jedes Tier, nur weil es mal nett anzuschauen ist, auch ökologisch sinnvoll in der freien Natur ist, muss auch mal bedacht werden. Ein Ochse frißt täglich so um die 50 kg Futter weg. Man braucht schon sehr große Gebiete, um eine Herde ernähren zu können. Und solange wir nicht auch wieder Bären ansiedeln, haben wir auch keine natürlichen Feinde für die Riesenviecher. Da geht kein Wolf und kein Fuchs dran.

    Eine wilde Artenvielfalt alter Arten ist wunderschön, aber ich weiß nicht, ob die ganzen Ökomuttis das auch noch schön finden würden, wenn sie nicht in der Stadt, sondern auf dünn besiedeltem Land leben würden und sie ihre Blagen nicht mit SUV in die Schule fahren würden, sondern diese durch einen Wald mit Wölfen und Bären dorthin müssten.



    Jetzt in der dunkeln Jahreszeit gehe ich, wenn ich spät nach Hause komme vom Bahnhof aus, auch nicht mehr die Abkürzung durch den Wald. Hier gibt es zwar keine Wölfe, Wisente und Bären, aber ich habe auch keine Lust, mir einen Fuchsbandwurm zu holen.

    • @Age Krüger:

      P.S. Wie kommen Sie darauf, dass man seine Blagen mit einem SUV zur Schule bringen muss nd dafür auch noch öko sein muss? Kopfschüttel. Bitte nie von sich auf andere schließen!

    • @Age Krüger:

      FÜR Wildbestände sieht es eher schlecht aus mit dem Klimawandel. Schätzungsweise zwischen 5 und 30 % der heimischen Arten im Deutschland werden in Deutschland in den nächsten Jahrzehnten aussterben, weil sie sich dem Klimawandel nicht anpassen können. www.nul-online.de/...mTUlEPTgyMDMw.html

      Und Fuchsbandwurm: nichts ungewaschen essen im Wald!

  • Danke! Die in der deutschen Gesellschaft vorhandene Doppelmoral und Widersprüche werden treffend hervorgehoben. Solche Vorwände, insbesondere ökonomische, werden leider auch seitens TAZ regelmäßig reproduziert.

  • Schade, dass ich keinen Wald besitze. Abgesehen davon, dass dies sowieso aberwitzig ist, hätten die Wisente und Wölfe dort ihren rechtmäßigen Raum.

  • Danke für diesen Artikel! Volle Zustimmung!

  • Dass es solche guten Artikel (Danke, Herr Heiko Werning dafür) überhaupt braucht, weil der Mensch in seiner Allmachtssucht glaubt, anderen (··auch·· Tieren) keinen Fuß brit überlassen zu müssen, zeigt, was für eine "komische Erfindung" der Mensch doch ist…

  • Interessant ist auch der Vergleich Wölfe vs. Hunde. Es gibt knapp 9 Mio. Hunde (gegen ein paar Hundert Wölfe), die jährlich 20000 bis 30000 Mal zubeißen, dabei kommen 1 bis 6 Menschen pro Jahr zu Tode. Das interessiert wie die Verkehrstoten auch niemanden.

    Siehe auch:



    langsames-denken.n...anschaulich-macht/

  • Es gibt immer einen Unterschied zwischen der Makroebene ( Wir schützen den Wolf,Wisent etc.) und der Mikroebene, wo Einzelne die Konsequenzen tragen müssen, leider (so ist der Lauf der Welt) meistens allein.



    Ein Schaden mit einer Anklage gegen das Tier muß aber nicht im Gegensatz zum Schutzgedanken stehen. Es ist die öffentliche Reaktion darauf, die diesen Gegensatz erst verfestigt. Geschädigte in die Schmuddelecke zu stellen ist infam. Wisent und Wolf sind keine harmlosen Tiere die elfengleich durch die Natur schweben und nur Freude verbreiten. Nein, diese Tiere "ecken" auch an und wenn deren Anwesenheit gesellschaftlich gewünscht ist, dann muß auch Kompensation für Schäden geleistet werden. Andernfalls schaffen wir nur die Grundlage für die nächste Ausrottungskampagne.

    • 8G
      81331 (Profil gelöscht)
      @nutzer:

      ..."wo Einzelne die Konsequenz tragen müssen"?



      Meine Großmutter hatte Hühner, und immer wenn ein Greifvogel eines ihrer Tiere mitgenommen hat, bekam sie Geld vom Staat.



      Das ist auch heute noch so.



      Wird ein Schaf von einem Wolf zu einer Party eingeladen, und kehrt nicht zurück, so bekommt der Schäfer Geld für ein neues Schaf.



      Und im Gegensatz zum Menschen, sind Wisent und Wolf harmlos wie kleine, unschuldige Lämmer.

  • Naja.

    Die Bevölkerungs-/Besiedlungsdichte ist in Deutschland eine ganz andere als in den meisten anderen Ländern. In Afrika/Asien gibt es eben (noch) riesige Gebiete, in denen sich Wildtiere einigermaßen problemlos aufhalten können. Hier nicht.

    Diese Vergleiche im Artikel finde ich etwas unpassend.

    • @modulaire:

      Und wenn dann noch die eng zusammenlebenden Menschen in Deutschland, riesige Flächen und "Nutztiere" für die enorme Menge an Tierprodukten für sich in Anspruch nehmen, dann ist es aus mit dem Wolf. ;)

    • @modulaire:

      In der unmittelbaren Nähe von Dörfern, in denen Elephanten und Löwen ihr Unwesen treiben, ist das Argument mit der Bevölkerungsdichte unerheblich. Die dortigen Bewohne finden es sicher SEHR passend, wenn diese Tiere erschossen werden.

      Und im Bayrischen Wald ist sie sicherlich niedriger als in einer durchschnittlich bewohnten Gegend in Afrika, mal von Wüstengebieten abgesehen.

      Man kann Afrika nicht pauschal als nahezu leer bezeichnen. Ähnlich Asien.

    • @modulaire:

      Ja, z.B leben in Deutschland ca. 231 Personen je m² und in Indien 407. (Wikipedia). Es sei denn, man rechnet bei uns noch die Autos zu den Personen...

      • @Helmut van der Buchholz:

        km²

        Und vor allem sind wir als Menschen der Meinung jeden einzelnen m² auf diesem Planeten zu besitzen und dem Rest der Natur vorschreiben zu können was damit passiert.

  • nu, ja, wenn der Kommentar nur nicht auf der einen Seite mit Verniedlichungsformen daher käme und auf der anderen Seite mit den Verallgemeinerungskeulen arbeiten würde, dann, dann könnte man ihn als Diskussionsbasis nehmen.

    • @fly:

      Und wenn Sie wüssten, dass ein Kommentar hier ein Beitrag zu einer Diskussion ist, hätten Sie auch mitbekommen, dass Sie den Artikel längst als Diskussionsbasis genommen haben.



      Dafür ist er also sehr wohl tauglich.

  • Sehr schöner Kommentar!

  • Gut zusammengefasst! Wo kann ich Mitglied werden?

  • Dem Text kann man nur zustimmen. Die Argumente sind schlüssig.

  • schützt den borkenkäfer-weg mit den baumplantagen!

    • @m. luz:

      Wälder in Kalifornien abholzen und Pflanzen entfernen, alles betonieren - dann kann auch nichts mehr brennen!