piwik no script img

Studie über WissensvermittlungSo verstehen Menschen Klimafolgen besser

Viele wissen prinzipiell, dass sich die Erde erhitzt, aber unterschätzen die Konsequenzen. Eine Studie zeigt, wie sich das besser vermitteln lässt.

Badespaß im Sommer? Ja. Aber der Schlittschuh-Spaß im Winter wird an vielen Orten, an denen er früher normal war, seltener Foto: Paul Zinken/dpa-Zentralbild/dpa

Berlin taz | Die Idee mit dem See ist Grace Liu in ihrem ersten Semester an der Uni gekommen. Sie studierte an der Princeton University, wo jahrzehntelang Studierende auf dem nahen Carnegie-See Schlittschuh fuhren. Aber 2020 war das kaum noch möglich. „Ich war neugierig, warum der See nicht mehr zufriert“, sagt Liu.

Sie kramte sich durch alte Zeitungsartikel und interviewte ehemalige Studierende, um den Rückgang des Eises zu dokumentieren und zu zeigen: Das war der Klimawandel. Als sie ihre Ergebnisse in der Alumni-Zeitschrift veröffentlichte, schrieben ihr unzählige Ehemalige, berichteten von ihren Erinnerungen und trauerten um die Erlebnisse, die den aktuellen Studierenden vorenthalten bleiben.

„Viele verbinden ein Gefühl des Verlustes damit, dass der See nicht mehr zufriert“, sagt Liu. „Dazu kommt ein bisschen Nostalgie.“

Liu war schon damals überrascht von der emotionalen Reaktion, erinnert sie sich. Jetzt, als Doktorandin an der Carnegie Mellon University, hat sie in einer Studie ihre Intuition überprüft und herausgefunden: Wie man Klimawandel-Auswirkungen statistisch darstellt, macht einen Unterschied. Die Studie hat sie zusammen mit zwei Kollegen geschrieben und im Fachmagazin Nature Human Behavior veröffentlicht.

Das zentrale Ergebnis: Menschen nehmen Klimafolgen als stärker wahr, wenn die Daten binär, also als klar unterscheidbares Entweder-oder dargestellt werden: Früher ist ein See zugefroren, inzwischen kaum noch. Früher gab es häufig weiße Weihnachten, heute sind sie seltener. Früher mussten Sommerfeste selten wegen Waldbrandrauch abgesagt werden, mittlerweile öfter.

Einen weit geringeren Effekt haben dagegen sich allmählich verändernde Datenpunkte wie Temperaturanstiege, die die For­sche­r*in­nen „kontinuierliche Darstellung“ nennen.

Um das herauszufinden, haben Liu und ihre Kollegen 799 Stu­di­en­teil­neh­me­r*in­nen in Gruppen unterteilt und ihnen entweder ein Diagramm mit binären oder mit kontinuierlichen Klimadaten gezeigt. Die Daten waren ausgedacht und bezogen sich auf einen ebenso ausgedachten See.

Die Pro­ban­d*in­nen sollten dann auf einer Skala von 1 bis 10 jeweils bewerten, welche Wirkung der Klimawandel auf den See hat. Wer den Temperaturanstieg angeschaut hatte (siehe rechte Grafik), gab durchschnittlich eine 6,6 an. Wer dagegen das Diagramm gesehen hatte, auf dem nur eingetragen war, ob der See zugefroren war oder nicht (siehe linke Grafik), bewertete die Klimafolgen als weit heftiger: 7,5.

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob Sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob Sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Den gleichen Effekt stellten die For­sche­r*in­nen fest, als sie das Experiment mit echten Seen wiederholten. Auch als sie die Temperaturdaten mit einer Trendlinie versahen, sodass der Anstieg noch sichtbarer wird, blieb die binäre Darstellung wirkungsvoller.

Liu und ihre Kollegen vermuteten, dass die binäre Darstellung etwas schuf, das sie „Illusion plötzlichen Wandels“ nennen: Zwar erwärmte sich der See kontinuierlich, aber aus den binären Daten lässt sich leichter ablesen, dass es ein neues Normal gibt, und dass dieses neue Normal schlechter ist als das alte.

Auch das haben die For­sche­r*in­nen getestet. Wer die binäre Darstellung gesehen hat, hat eher einen Punkt plötzlichen Wandels in den Daten gefunden als diejenigen, denen die Temperaturen gezeigt wurden – auch wenn es einen solchen Kipppunkt in den Daten nicht gab, weil die Seen weiterhin zufrieren, wenn auch deutlich seltener.

Die Befragten reagieren auf direkte Konsequenzen des Klimawandels wie fehlendes Eis stärker als auf den recht abstrakten Temperaturanstieg, vermuten Liu und ihre Kollegen. Außerdem verstehen die Stu­di­en­teil­neh­me­r*in­nen durch die binäre Darstellung und die Illusion plötzlichen Wandels womöglich eher, dass viele Folgen des Klimawandels unumkehrbar sind.

„Was wir herausgefunden haben, ist nicht wirklich überraschend“, sagt Liu. „Aber es ist gut, dass es jetzt wissenschaftlich belegt ist.“ Gleichzeitig sei es mit besserer Vermittlung des Klimawandels nicht getan, warnt sie. Vom bloßen Wissen sinken die Treibhausgasemissionen nicht. „Wie man das in tatsächliches Handeln übersetzt, sind wir nicht angegangen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Für mich zeigt dieser Ansatz nur eines, was ich selbst schon oft beobachten konnte: Die meisten Menschen nehmen ihre Umwelt nur noch begrenzt wahr, die Interessen haben sich auf wesentlich oberflächlichere Dinge verschoben. Stößt man die meisten mit der Nase auf beobachtbare Tatsachen, kann man einen Aha-Effekt hervorrufen, nur ist fraglich, wie lange dieser im Alltagseinerlei anhält.

  • Dann könnte die Idee ja auch funktionieren mit:



    - Jahren mit Überflutungen in meinem Keller



    - unser Bach ist trocken gefallen



    - Hitzefrei in der Schule



    - der Brunnen des Bauern gibt kein Wasser mehr

  • Gleichzeitig müsste die Autorin natürlich auch sagen, dass die binäre Kategorisierung eben nicht der realen Situation entspricht und somit stark angreifbar ist.



    Der See hat nicht die zwei Zustände, er manchmal gibt es kein Eis, manchmal friert er nur am Ufer zu, manchmal bis zu Mitte. Die Eisdicke wird immer unterschiedlich sein. Auch wenn ab einer bestimmten durchgehenden Eisdicke der See zum Schlittschuhlaufen freigegeben wird, also scheinbar in einen anderen binären Zustand übergeht.



    Wenn die Eiskurve am Ende zwei Punkte "gefroren" hätte, wäre das Umfrageergebnis wahrscheinlich ganz anders ausgefallen, obwohl der langjährige Trend durch zwei Winter mit Eis kaum beeinflusst wird.