Studie über Wissensvermittlung: So verstehen Menschen Klimafolgen besser
Viele wissen prinzipiell, dass sich die Erde erhitzt, aber unterschätzen die Konsequenzen. Eine Studie zeigt, wie sich das besser vermitteln lässt.

Sie kramte sich durch alte Zeitungsartikel und interviewte ehemalige Studierende, um den Rückgang des Eises zu dokumentieren und zu zeigen: Das war der Klimawandel. Als sie ihre Ergebnisse in der Alumni-Zeitschrift veröffentlichte, schrieben ihr unzählige Ehemalige, berichteten von ihren Erinnerungen und trauerten um die Erlebnisse, die den aktuellen Studierenden vorenthalten bleiben.
„Viele verbinden ein Gefühl des Verlustes damit, dass der See nicht mehr zufriert“, sagt Liu. „Dazu kommt ein bisschen Nostalgie.“
Liu war schon damals überrascht von der emotionalen Reaktion, erinnert sie sich. Jetzt, als Doktorandin an der Carnegie Mellon University, hat sie in einer Studie ihre Intuition überprüft und herausgefunden: Wie man Klimawandel-Auswirkungen statistisch darstellt, macht einen Unterschied. Die Studie hat sie zusammen mit zwei Kollegen geschrieben und im Fachmagazin Nature Human Behavior veröffentlicht.
Das zentrale Ergebnis: Menschen nehmen Klimafolgen als stärker wahr, wenn die Daten binär, also als klar unterscheidbares Entweder-oder dargestellt werden: Früher ist ein See zugefroren, inzwischen kaum noch. Früher gab es häufig weiße Weihnachten, heute sind sie seltener. Früher mussten Sommerfeste selten wegen Waldbrandrauch abgesagt werden, mittlerweile öfter.
Einen weit geringeren Effekt haben dagegen sich allmählich verändernde Datenpunkte wie Temperaturanstiege, die die Forscher*innen „kontinuierliche Darstellung“ nennen.
Um das herauszufinden, haben Liu und ihre Kollegen 799 Studienteilnehmer*innen in Gruppen unterteilt und ihnen entweder ein Diagramm mit binären oder mit kontinuierlichen Klimadaten gezeigt. Die Daten waren ausgedacht und bezogen sich auf einen ebenso ausgedachten See.
Die Proband*innen sollten dann auf einer Skala von 1 bis 10 jeweils bewerten, welche Wirkung der Klimawandel auf den See hat. Wer den Temperaturanstieg angeschaut hatte (siehe rechte Grafik), gab durchschnittlich eine 6,6 an. Wer dagegen das Diagramm gesehen hatte, auf dem nur eingetragen war, ob der See zugefroren war oder nicht (siehe linke Grafik), bewertete die Klimafolgen als weit heftiger: 7,5.
Empfohlener externer Inhalt
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Den gleichen Effekt stellten die Forscher*innen fest, als sie das Experiment mit echten Seen wiederholten. Auch als sie die Temperaturdaten mit einer Trendlinie versahen, sodass der Anstieg noch sichtbarer wird, blieb die binäre Darstellung wirkungsvoller.
Liu und ihre Kollegen vermuteten, dass die binäre Darstellung etwas schuf, das sie „Illusion plötzlichen Wandels“ nennen: Zwar erwärmte sich der See kontinuierlich, aber aus den binären Daten lässt sich leichter ablesen, dass es ein neues Normal gibt, und dass dieses neue Normal schlechter ist als das alte.
Auch das haben die Forscher*innen getestet. Wer die binäre Darstellung gesehen hat, hat eher einen Punkt plötzlichen Wandels in den Daten gefunden als diejenigen, denen die Temperaturen gezeigt wurden – auch wenn es einen solchen Kipppunkt in den Daten nicht gab, weil die Seen weiterhin zufrieren, wenn auch deutlich seltener.
Die Befragten reagieren auf direkte Konsequenzen des Klimawandels wie fehlendes Eis stärker als auf den recht abstrakten Temperaturanstieg, vermuten Liu und ihre Kollegen. Außerdem verstehen die Studienteilnehmer*innen durch die binäre Darstellung und die Illusion plötzlichen Wandels womöglich eher, dass viele Folgen des Klimawandels unumkehrbar sind.
„Was wir herausgefunden haben, ist nicht wirklich überraschend“, sagt Liu. „Aber es ist gut, dass es jetzt wissenschaftlich belegt ist.“ Gleichzeitig sei es mit besserer Vermittlung des Klimawandels nicht getan, warnt sie. Vom bloßen Wissen sinken die Treibhausgasemissionen nicht. „Wie man das in tatsächliches Handeln übersetzt, sind wir nicht angegangen.“
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