Werbung mit Zweifel an Fleischkonsum: Das neue Normal
Eine Fast-Food-Kette stellt Fleischkonsum als Normalzustand infrage. Eine Marketingkampagne, klar. Aber dennoch mehr als nur Provokation.
Die Frage nach dem richtigen Leben im falschen stellt aktuell ausgerechnet eine Fast-Food-Kette. Nicht direkt natürlich, schließlich dürfte eine Portion Adorno zwischen ballaststoffarmen Brötchenhälften deren Bekömmlichkeit nicht gerade steigern. Aber indirekt eben doch, nämlich mit der Frage: „Normal oder mit Fleisch?“
Burger King in Österreich hat diese Kampagne in der vergangenen Woche gestartet und verbreitet über Social Media Videoschnipsel, die zeigen, wie das Personal den Kund:innen diese Frage bei der Bestellung stellt und wie die Kund:innen darauf reagieren. Begeistert, irritiert, verärgert, verständnislos, alles dabei.
Nun ist diese Frage in ganz vielen Dimension interessant. Da wäre als Erstes das Wort „normal“, das mittlerweile ja aus vielen guten Gründen genau das eben nicht mehr ist. Im Kontext der Systemgastronomie lässt sich der Begriff am ehesten noch übersetzen mit Standard.
Im Sinne von: Die Standardvariante der Zubereitung oder extra Zwiebeln und Ketchup statt Senf? Aber „Standard oder mit Fleisch“ wäre als Claim eindeutig weniger Provokation gewesen. Und die Werbeagentur Jung von Matt, die dahinter steckt, weiß natürlich ganz genau, wann welche Dosis Provokation die Menschen im gewünschten Maße aufschreckt.
Konsum von Fleisch für die meisten üblich
Normal lässt sich aber auch im gesellschaftlichen Kontext lesen. Denn für Europa, aber auch für andere Weltregionen, gilt: Der Konsum von Fleisch ist das, was für die meisten Menschen üblich ist. Laut einem Report des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft vom vergangenen Jahr ernährten sich 10 Prozent aller Menschen in Deutschland vegetarisch, 2 Prozent vegan. Unterdessen sinkt der Pro-Kopf-Konsum von Fleisch leicht, aber stetig. Von rund 62 Kilo im Jahr 1995 bis gut 57 Kilo im Jahr 2020.
Nach einer revolutionären Neuverhandlung des Normalitätsbegriffes sieht das noch nicht aus. Und man muss gar nicht lange suchen, um im Gastrobereich Örtlichkeiten zu finden, in denen, wenn überhaupt, das einzige Gericht ohne Fleisch Milchreis ist. Denn nein, Kartoffelpuffer in Schweineschmalz gebraten sind halt leider nicht mehr vegetarisch.
Normal in seiner dritten Dimension stellt dann die wirklich unbequeme Frage: Ist es eigentlich normal, ein Tier zu töten – und dann einen kleinen Teil davon verarbeitet und in Plastik eingeschweißt ins Supermarktkühlregal zu stellen? Von den Haltungs- und Schlachtbedingungen mal ganz abgesehen. Aus dem intuitiven Unbehagen darüber wird sich auch ein guter Teil des Widerstands von Fleisch-Aficionados gegen jegliche Form der Einschränkung des Konsums von toten Tieren speisen.
Pflanzenbasierte Ernährung ist die bessere
Denn natürlich ist klar, dass pflanzenbasierte Ernährung die bessere ist. Fürs Klima, da weniger Emissionen entstehen. Für die Welternährung, denn je weniger Kalorien an Rinder und Co verfüttert werden, desto mehr bleiben für Menschen. Für die eigene Gesundheit, weil Fleischkonsum mit allerhand Krankheiten von Krebs über Diabetes bis Rheuma in Verbindung gebracht wird – so stufte die Weltgesundheitsorganisation WHO 2015 rotes Fleisch als wahrscheinlich und verarbeitetes Fleisch wie etwa Schinken oder Würstchen als sicher krebserregend ein.
Nun sind Fast Food und Fleisch zwei unterschiedliche Probleme, die aber häufig miteinander zu tun haben und auch einiges gemeinsam. Undurchsichtige Lieferketten, häufig problematische Arbeitsbedingungen, mitunter zweifelhafte Produktqualität, eindeutig negative gesundheitliche Effekte bei regelmäßigem Konsum – das trifft sowohl auf Fast Food als auch auf Fleisch erstaunlich deckungsgleich zu.
Bringt es die Welt also weiter, wenn ein Unternehmen, und sei es eine Fast-Food-Kette, Menschen tatsächlich dazu bewegt, ihren Fleischkonsum zu reduzieren? Oder ist erst dann genug gewonnen, wenn wir alle willens und in der Lage und ausgestattet mit der nötigen Zeit sind, um selbst ein Gemüsecurry zuzubereiten? Ja und ja. Adorno zwischen Brötchenhälften wird die Welt auch nicht retten, leider. Aber am Ende ist es eben doch banal: Ein Schritt in die richtige Richtung ist immer noch besser als kein Schritt. Je mehr ihn gehen, desto mehr lässt sich bewegen.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Prozess gegen Maja T.
Ausgeliefert in Ungarn
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Bundesregierung und Trump
Transatlantische Freundschaft ade
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
ifo-Studie zu Kriminalitätsfaktoren
Migration allein macht niemanden kriminell