Wahlkampfstrategie der FDP: Lindners vergiftetes Angebot
Ihr euer Klimaschutzministerium, ich die Finanzen? Die Grünen spotten über eine Jamaika-Offerte von FDP-Chef Christian Lindner.
Lindners Vorstoß ist ungewöhnlich. Andere SpitzenkandidatInnen halten sich mit Koalitionsaussagen zurück, wissend, dass die Mehrheitsverhältnisse nach der Wahl unübersichtlich werden. Unkonventionell ist auch, sieben Wochen vor einer Wahl Ressorts gedanklich zu verteilen – die werden erst ganz am Ende von Koalitionsverhandlungen festgelegt. Dass Lindner gegen solch ungeschriebene Gesetze verstößt, gehört zu seinem Plan.
Sein Ziel ist einfach: Die FDP soll unbedingt Teil der nächsten Regierung sein. Lindner hat die Zuschreibung des Drückebergers satt. Er und seine FDP wurden jahrelang für die überraschende Weigerung verspottet, im Jahr 2017 einem Jamaika-Bündnis mit Union und Grünen beizutreten („Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.“).
Dieses Mal soll es anders laufen. Zu Lindners Strategie gehört auch, einen Lagerwechsel zu vermeiden. Der starke Mann der FDP hat wenig Lust auf ein Ampelbündnis mit SPD und Grünen. Intern soll er nach Medienberichten bereits ausgeschlossen haben, eine Kanzlerin Baerbock ins Amt zu wählen.
Ein offensives Wünsch-dir-was
Auch eine Ampel unter einem Kanzler Olaf Scholz wäre für die FDP schwer zu argumentieren. Während die Liberalen für Steuersenkungen für Gutverdiener kämpfen und zum Beispiel den Solidaritätszuschlag für die obersten 10 Prozent abschaffen wollen, werben SPD und Grüne für eine Vermögensteuer und einen höheren Spitzensteuersatz – Teufelszeug für die FDP. Bleiben Lindners Lieblingsvarianten, Optionen mit der Union, Schwarz-Gelb oder Jamaika.
Deshalb betreibt Lindner seit Wochen Politik als selbsterfüllende Prophezeiung. Er tut so, als sei ein Sieg der Union geradezu unausweichlich. Vor zwei Wochen sagte er im ARD-Sommerinterview, dass die Bundestagswahl im Grunde entschieden sei, dass nämlich CDU-Kandidat Armin Laschet ins Kanzleramt einziehen werde. Die Frage sei nur noch, wer wichtige Rollen einnehme und etwa Finanzminister werde. Lindner erklärte seine Bereitschaft – und fügte sicherheitshalber hinzu, dass er für eine Ampel keine reelle Chance sehe.
Lindner fährt mit dem Kurs des offensiven Wünsch-dir-was erfolgreich. Seine FDP liegt in Umfragen bei 12 bis 13 Prozent. Sie dürfte von liberalen Unions-WählerInnen profitieren, die von Laschet nicht überzeugt sind – oder die Angst vor Schwarz-Grün haben. Auch in der Coronapandemie machte die FDP phasenweise eine gute Figur, indem sie Bürger- und Freiheitsrechte hochhielt, ohne in Populismus abzudriften. Es ist also Lindners ureigenes Interesse, die Wahl zu einer Entscheidung Jamaika gegen Ampel zu stilisieren.
Bei den Grünen kam sein Werben naturgemäß schlecht an. „Das Letzte, was unser Land braucht, ist ein FDP-Finanzminister“, twitterte der Europaabgeordnete Rasmus Andresen. „To be very clear: Mit gelb-schwarzer Kaputtsparpolitik wird es keine gute Klimapolitik geben.“ Lindner bringe sich für Posten ins Spiel, weil er inhaltlich keine Ideen für eine klimagerechte Finanzpolitik habe.
„Ein dolles Angebot“, lästert Jürgen Trittin
Ex-Minister Jürgen Trittin nannte Lindners Vorschlag ironisch ein „dolles Angebot“ an die Grünen. „Lindner, der mitten in der Klimakrise und Corona für Mindereinnahmen von gut 90 Milliarden Euro kämpft, als Finanzminister?“, fragte Trittin. „Für ihn gilt zu Recht: ‚Lieber nicht regieren, als schlecht regieren.‘“ Die Grünen-Spitze äußerte sich auf taz-Anfrage nicht zu Lindners Vorstoß. Sie hält sich alles offen – und will den FDPler nicht aufwerten.
Manche bei den Grünen hoffen auf eine grüne Ampel unter einer Kanzlerin Baerbock. Sie spekulieren darauf, die FDP in eine unangenehme Lage zu bringen. Wenn es nach der Wahl im September für Schwarz-Grün und für eine Ampel reicht, steckte Lindner in der Klemme. Er könnte mit Baerbock regieren – oder mal wieder gar nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist