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Vorwürfe gegen UNRWAViele Prüfungen und wenig Geld

Das in der Kritik stehende UN-Hilfswerk rechnet im März mit ersten Untersuchungsergebnissen. Auch die Neutralität von UNRWA soll überprüft werden.

Die UNRWA-Vertreterin Dorothee Klaus Foto: Mohamed Azakir/reuters

Berlin taz | Im März soll ein erster Bericht zu den jüngsten Vorwürfen gegen das UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA vorliegen. Dies sagte die Vertreterin der Organisation im Libanon, Dorothee Klaus. Die Aussagen bezogen sich offenbar auf die angekündigte interne UN-Untersuchung, die das UN-Büro für interne Aufsicht durchführt, das UN-Chef António Guterres untersteht. Parallel dazu soll eine unabhängige Gruppe unter Leitung der ehemaligen französischen Außenministerin Catherine Colonna untersuchen, wie neutral die UNRWA ist. Die EU hat verlangt, dass die UNRWA zusätzlich einer Überprüfung durch Ex­per­t*in­nen zustimmt, die die EU ernennt.

Ende Januar war bekannt geworden, dass offenbar zwölf Mitarbeitende der Organisation in das palästinensische Massaker vom 7. Oktober verwickelt gewesen sind. Israel kritisiert das Hilfswerk seit Langem und Premier Benjamin Netanjahu forderte vergangene Woche die Einstellung seiner Arbeit. Allerdings berichteten israelische Medien, dass die Regierung in Jerusalem gegen ein sofortiges Ende der Arbeit der UNRWA ist. Das Hilfswerk betreibt unter anderem rund 700 Schulen in fünf Einsatzgebieten in der Region, darunter im Gazastreifen.

Neben Deutschland hat auch die US-Regierung ihre Zahlungen an das Hilfswerk ausgesetzt. Beide Länder sind die mit Abstand größten Geldgeber der Organisation. Washington will das Geld nun über andere UN-Organisationen den Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen zugute kommen lassen, etwa über das Kinderhilfswerk Unicef. Zuletzt hatte die US-Regierung pro Jahr zwischen 300 bis 400 Millionen US-Dollar an UNRWA überwiesen. Zuvor hatte der damalige Präsident Donald Trump, der der israelischen Rechten nahestand, die Zahlungen 2018 komplett ausgesetzt.

Spanien kündigt Extrazahlung an

Nachdem nun etliche Länder ihre Zahlung vorerst ausgesetzt haben, hat Spanien – ein eher unwichtiger Geldgeber – am Montag angekündigt, eine Extrazahlung an das Hilfswerk zu leisten. Denkbar ist, dass Deutschland und andere europäische Länder die Zahlungen wieder aufnehmen, sobald die Untersuchungen abgeschlossen sind. Sollten die Europäer aber langfristig als Geldgeber ausfallen, wäre die Arbeit der Organisation gefährdet – auch in Hinblick darauf, dass eine mögliche neue US-Regierung unter Trump wohl auch kein Geld mehr überweisen würde.

Im Gegensatz zu einer von den einzelnen Geldgebern beschlossenen „Definanzierung“ des Hilfswerks wäre eine offizielle politische Abwicklung der UN-Organisation schwierig und langwierig, da die UN-Generalversammlung beteiligt wäre. Eine Entscheidung auf UN-Ebene, das Hilfswerk einzustellen und dessen Arbeit an andere UN-Organisationen zu überführen, ist ohne politische Lösung des Israel-Palästina-Konflikts daher kaum zu erwarten.

Unterdessen hat die israelische Armee laut UNRWA-Angaben am Montag einen Lastwagen mit Hilfsgütern beschossen. „Heute Morgen wurde ein Lebensmittelkonvoi, der auf Einfahrt in den nördlichen Gazastreifen wartete, von israelischem Marinebeschuss getroffen – glücklicherweise wurde niemand verletzt“, schrieb der UNRWA-Chef in Gaza, Thomas White, auf der Plattform X (vormals Twitter). Dazu postete er Fotos eines beschädigten Fahrzeugs. Israel teilte mit, den Vorwurf zu untersuchen.

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10 Kommentare

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  • 6G
    691349 (Profil gelöscht)

    Ist es nicht eine Erfahrung aller Konflikte, dass eine Anzahl Personen, die zuvor einer in ihrem Sinn richtigen Sache dienten, „umgedreht“ werden, aus persönlichen Erfahrungen, unter zunehmendem Stress und Ausweglosigkeit? Sollten die Beweise eindeutig sein, dass es UNRWA-Mitarbeiter gab, die mit der Hamas zusammen diese Terrorverbrechen begingen, so könnte es auch sein, das die Situationen vor Ort zu ihrem Fehlverhalten führten.

    Angesichts der aktuellen Informationslage führt dies dann auch zu der Frage, wie die Israelis und Palästinenser reagieren würden, wenn die Sender sie umfassend über das Leid der Gegner informieren würden. Wie würde ein Pilot reagieren, wenn er die Wirkung seiner Bombe direkt in Bild und Ton wahrnehmen müsste? Wie würden die Palästinenser reagieren, wenn ihnen die Bilder des Massakers von den eigenen Verantwortlichen gezeigt würden? Und unterliegt es nicht einer individuellen Fehleinschätzung oder einem Gruppenzwang („Kameradschaft“), dass Befehle von Soldaten befolgt werden, und seien sie auch noch so menschenverachtend? Und wie reagiert eine Armee auf Kriegsverweigerer? Können Menschen gezwungen werden zu töten und hat ein Staat das Recht zum Töten zu erziehen?

    • @691349 (Profil gelöscht):

      Was da im Detail vor sich ging, ist kaum klar. Das kann von der Putzfrau gehen, die mit der Hamas sympathisiert bis hin zu den 12 (?) die an dem Terrorüberfall der Hamas beteiligt waren.

    • @691349 (Profil gelöscht):

      "Wie würden die Palästinenser reagieren, wenn ihnen die Bilder des Massakers von den eigenen Verantwortlichen gezeigt würden?"



      Nun, dies zumindest wissen wir bereits. Freudestrahlend. Das fand ich etwas ernüchternd.

  • Soweit mir bekannt ist (Weser-Kurier, Spiegel) wurden die Mitarbeiterlisten der UNRWA immer auch Israel übergeben und dort dann wahrscheinlich geheimdienstlich überprüft.

    Es hat also die einzige Sinn machende Stelle die Mitarbeiterprüfungen vorgenommen. Denn die UNRWA hat keinen Geheimdienst und der regierenden Hamas wäre nicht zu trauen gewesen.

    Hinterfragt werden muss also, warum der israelische Geheimdienst oder nachfolgende Stellen da versagt haben.

  • Profilneurose?

    In der Regierung zeichnet sich neuer Koalitionsstreit, diesmal in der UNWRA-Frage ab. Das AA und BMZ haben die Zahlungen bis zum Abschluß der UN-internen Untersuchungen ausgesetzt, was der FDP, die mit Christoph Hoffmann den Vorsitzenden des Entwicklungshilfeausschusses stellt, nicht ausreicht und schlicht die Auflösung der Hilfsorganisation fordert. Das geht den Grünen wiederum zu weit und warnen vor einer dadurch drohenden humanitären Krise. (Tagesspiegel, 29.1.24) Damit befeuert die FDP nur noch die Kakophonie der Bundesregierung, das letzte, was sie jetzt gebrauchen kann.

    Von der EU-Kommission nicht zu reden, wo sogar deren Außenkommissar Borell vor einer Zahlungseinstellung warnt. Dies sei „unverhältnismäßig und gefährlich“. Das individuelle Fehlverhalten dürfe niemals zu einer kollektiven Bestrafung einer ganzen Bevölkerung führen. Eine Zahlungseinstellung bedrohe das Leben von Zehntausenden Menschen, so Borell. (Quelle: Times of Israel, 5. 2. 2024) Bislang hat neben den USA und Großbritannien von der EU lediglich Italien unter der protofaschistischen Regierungschefin Meloni die komplette Zahlungseinstellungen beschlossen.

    Der Vorstoß der Liberalen riecht sehr nach Profilneurose. Aber das wird ihnen in ihrem aktuellen Abwärtsstrudel auch nicht mehr helfen. Ganz im Gegenteil. Sie sollten sich in der Außenpolitik lieber auf ihre traditionelle Expertise solcher liberalen Außenpolitiker wie die einstigen Außenminister Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher und z. T. sogar Guido Westerwelle besinnen, von der AA-Staatsministerin Hildegard Hamm-Brücher nicht zu reden. Deren Handeln war grosso modo eher durch Prinzipien von Ausgleich, Verständigung und Entspannung geleitet.

  • Folke Bernadotte, aus dem schwedischen Königshaus, war der UNO-Vermittler in Palästina 1948, zum ersten Vermittler in der Geschichte der Vereinten Nationen gewählt. Während seiner Tätigkeit im ersten Palästinakrieg von 1948 legte er unter anderem den Grundstein für das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA). Er setzte sich in den Verhandlungen mit Israel für eine Anerkennung des Rückkehrrechtes der palästinensischen Flüchtlinge ein; konkret bat er Israel am 17. Juni 1948, die Rückkehr von 300.000 Flüchtlingen zu ermöglichen. Am 17. September 1948 wurde er zusammen mit dem UN-Beobachter André Serot von militanten Führern der jüdischen Terroristen-Gruppe Lechi erschossen. Grund für die Ermordung war sein öffentliches Bekenntnis, die palästinensischen Flüchtlinge hätten einen Anspruch, in ihre Heimat zurückkehren zu dürfen. Darüber hinaus stieß auch sein Plan, die Stadt Jerusalem unter internationale Aufsicht zu stellen sowie den Negev an die Araber abzutreten, auf massiven Widerspruch Israels. Seine Vorschläge zur Lösung des Flüchtlingsproblems waren die Basis für die Resolution 194 der UN-Generalversammlung vom 11. Dezember 1948, in der das Recht auf Rückkehr der Flüchtlinge festgestellt wurde.



    Die Drahtzieher des Anschlags erhielten wenige Monate später trotz dringenden Tatverdachts eine Generalamnestie von der israelischen Regierung unter David Ben-Gurion. Der Mörder war später der inoffizielle Leibwächter von Be-Gurion.

    • @Teresa Kulawik:

      Ich entnehme der Sachstandprüfung des Wissenschaftlichen Dienstes der Bundesregierung dieses "Rückkehrrecht" nicht. Im Gegenteil. Dort steht wörtlich: ... "alle Menschen, die ihren gewöhnlichen Wohnsitz in Palästina oder die palästinensische Staatsbürgerschaft hatten und entweder während des Konfliktes 1947-1949 vertrieben worden waren oder nicht auf das Gebiet der israelischen Kontrolle zurückkehren konnten. ... Die Nachkommen der Flüchtlinge, die nach der Flucht außerhalb ihres Heimatgebietes geboren sind, wurden dabei explizit nicht erwähnt." Nach aktuellem Stand würde diese Resolution noch 30 000 Palästinenser und Palästinenserinnen betreffen und nicht 7 Millionen.

    • @Teresa Kulawik:

      Danke für diesen Hinweis auf den historischen Kontext der UNRWA-Gründung 1948 und die Rolle der Terrorgruppe Lechi - aus der später ja einige bedeutsamere israelische Politiker hervorgingen (mein Dank auch an @Rudolf Fissner).



      Man ahnt, warum sich ein ein bestimmtes Spektrum sogenannter „Israel-Freunde“ so vehement gegen jedwede historische und politische Kontextualisierung jener Ereignisse wehrt - obwohl diese permanent nichts anderes betreiben.

    • @Teresa Kulawik:

      Die Lechi sind eine bemerkenswerte Terrorgruppe gewesen. Aus ihr gingen Persönlichkeiten wie Jitzchak Schamir hervor , der später Ministerpräsident Israel wurde. de.wikipedia.org/wiki/Lechi

      Krass war auch deren Großisrael-Pläne, niedergelegt in den "18 Principles of Rebirth" wo man von einem Israel "from the River of Egypt to the great Euphrates River." träumte. en.wikipedia.org/w...nciples_of_Rebirth

  • " Die EU hat verlangt, dass die UNRWA zusätzlich einer Überprüfung durch Ex­per­t*in­nen zustimmt, die die EU ernennt."

    Ich finde es gut, dass die EU das durchsetzen konnte.

    "Im Gegensatz zu einer von den einzelnen Geldgebern beschlossenen „Definanzierung“ des Hilfswerks wäre eine offizielle politische Abwicklung der UN-Organisation schwierig und langwierig, da die UN-Generalversammlung beteiligt wäre. "

    Wenn ich es richtig weiß, laufen die Verträge mit UNRWA im Dezember 2025 aus. D.h., die Entscheider könnten sich jetzt dazu entschließen und entsprechend kommunizieren, dass die Verträge nicht mehr verlängert werden.

    "Eine Entscheidung auf UN-Ebene, das Hilfswerk einzustellen und dessen Arbeit an andere UN-Organisationen zu überführen, ist ohne politische Lösung des Israel-Palästina-Konflikts daher kaum zu erwarten."

    Hier verweise ich auf einen früheren taz-Artikel von Florian Markl, dem ich voll umfänglich zustimme und dessen Argumentation meiner Meinung nach stichhaltig ist:

    taz.de/Harsche-Kri.../!5985999&s=Markl/

    "„Heute Morgen wurde ein Lebensmittelkonvoi, der auf Einfahrt in den nördlichen Gazastreifen wartete, von israelischem Marinebeschuss getroffen – glücklicherweise wurde niemand verletzt“, schrieb der UNRWA-Chef in Gaza, Thomas White, auf der Plattform X (vormals Twitter). "

    Ich wundere mich oft darüber, wie weit sich UN-Mitarbeiter aus dem Fenster lehnen, in der Annahme, auf der richtigen/guten Seite zu stehen. Weiß Thomas White verbindlich, dass sich in dem Lebensmittelkonvoi keine Waffen o.a. für die palästinensische Seite/Hamas befanden? Kann es auch einfach nur ein (technischer?) Fehler gewesen sein, der glücklicherweise keine Menschenleben gekostet hat?

    Ich habe leider noch keine Informationen gefunden, über wie viele Waffen/Munition die palästinensische Seite/Hamas verfügt und gehe davon aus, sobald sie alles aufgebraucht haben, wird zum Wohle aller der Krieg enden.Vorausgesetzt es erfolgen keine Nachlieferungen.