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Vorfall an Tankstelle in Idar-ObersteinTödlicher Schuss wegen Maskenstreit

In Idar-Oberstein erschießt ein Mann einen 20-jährigen Verkäufer – wohl weil dieser ihn bat, eine Maske zu tragen. Die Politik reagiert bestürzt.

Ein Polizist vor der Tankstelle, in der ein 20-jähriger Verkäufer erschossen wurde Foto: Christian Schulz, dpa

BERLIN taz | Nachdem sich der Coronaprotest zuletzt immer weiter radikalisierte, waren auch schwere Gewalttaten befürchtet worden. Nun hat ein Mann in Idar-Oberstein (Rheinland-Pfalz) in einer Tankstelle einen 20-jährigen Verkäufer erschossen – laut eigener Aussage, weil dieser ihn gebeten hatte, eine Schutzmaske zu tragen.

Die Tat ereignete sich bereits am Samstagabend. Laut der Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach hatte der 49-jährige Tatverdächtige versucht, in der Tankstelle zwei Sechserpacks Bier zu kaufen, ohne dabei eine Maske zu tragen, wie es der Infektionsschutz vorsieht. Der junge Kassierer habe den Mann deshalb auf die Maskenpflicht hingewiesen. Der Tatverdächtige habe erbost reagiert, die Tankstelle verlassen und drohend die Faust geballt.

Knapp zwei Stunden später, gegen 21.25 Uhr, sei der Kunde wiedergekommen und habe erneut einen Sechserpack Bier zum Tresen gebracht, diesmal mit Maske. Dann aber habe er die Maske abgesetzt und sei von dem Verkäufer erneut ermahnt worden. Daraufhin habe der Täter einen mitgebrachten Revolver aus der Hosentasche gezogen und dem 20-Jährigen in den Kopf geschossen. Anschließend sei er geflüchtet.

Nach einer Öffentlichkeitsfahndung der Polizei hatte sich der Tatverdächtige am Sonntagmorgen selbst der Polizei gestellt. Befragt nach seinem Motiv, sagte er laut Oberstaatsanwalt Kai Fuhrmann, die Coronapandemie habe ihn „stark belastet“. Er habe sich „immer weiter in die Ecke gedrängt gefühlt und keinen weiteren Ausweg mehr gesehen, als ein Zeichen zu setzen“.

Politik reagiert bestürzt

Das Opfer habe er mitverantwortlich für die Gesamtsituation gemacht, da es die Coronaregeln durchgesetzt habe, sagte Fuhrmann auf einer Pressekonferenz am späten Montagnachmittag. Nach der Ermahnung habe er sich zu Hause immer mehr geärgert und beim zweiten Besuch in der Tankstelle die Maske absichtlich abgesetzt, um eine Reaktion zu provozieren.

Der erschossene 20-Jährige arbeitete laut Polizei seit wenigen Monaten als Aushilfe an der Tankstelle, um sich Geld für einen Führerschein zu verdienen. Der Student lebte in Idar-Oberstein, genauso wie der Tatverdächtige. Der 49-Jährige war bisher nicht vorbestraft. Eine waffenrechtliche Erlaubnis besaß er nicht. Die Polizei fand den Tatrevolver und weitere Schusswaffen samt Munition bei ihm zu Hause, die Herkunft ist noch unklar. Der Mann sitzt nun wegen Mordverdachts in U-Haft.

Der Oberbürgermeister von Idar-Oberstein, Frank Frühauf (CDU), sprach von einer „ganz unfassbaren, ganz schrecklichen Tat“. Die Bür­ge­r:in­nen der Stadt seien sehr betroffen und würden der Opferfamilie große Anteilnahme zukommen lassen. „Das zu verarbeiten, wird seine Zeit dauern“, sagte Frühauf. Fotos zeigen abgelegte Blumen und Trauerbekundungen an der Tankstelle.

Schon zuletzt hatten die Sicherheitsbehörden vor einer Radikalisierung des Coronaprotests gewarnt. „Nur eine Minderheit ist derart militant“, twitterte der Thüringer Soziologe Matthias Quent. Der Mord von Idar-Oberstein aber sende „eine Botschaft der Einschüchterung an alle, die sich für die Einhaltung von Maßnahmen einsetzen“. „Wer hätte im Alltag nun nicht diese Angst im Kopf?“

Auch mehrere Bun­des­po­li­ti­ke­r:in­nen äußerten sich bestürzt. „Der Übergang einer rechten verschwörungsgläubigen Ideologie zu tödlicher Gewalt stand seit Monaten im Raum“, schrieb die Linken-Bundesvize Martina Renner. Es habe eine „fatale Verharmlosung der Coronaleugner*innen“ gegeben.

Britta Haßelmann, Grünen-Geschaftsführerin im Bundestag, sprach von einer „furchtbaren Tat“: „Sie macht fassungslos.“ SPD-Fraktionsvize Katja Mast bekundete ebenfalls, dass die Hintergründe der Tat schockierten. „Aus Worten können Taten werden. Unser aller Aufgabe ist es, dieser Verrohung etwas entgegenzusetzen.“

Tatsächlich hatten erst vor wenigen Tagen Unbekannte auf das Impfzentrum in Eich (Sachsen) drei Bierflaschen mit brennbarer Flüssigkeit geworfen. Ein Feuer brach nicht aus. Bereits im März hatte ein 30-Jähriger einen Brandanschlag auf das Rathaus Delmenhorst verübt, laut Polizei aus Protest gegen die Coronamaßnahmen. In Bayern stoppten Coronaverharmloser einen ICE, in Berlin wurde ein Brandsatz vor dem Robert Koch-Institut gezündet. Auch auf Demonstrationen der Corona-Protestierenden war es zuletzt immer wieder zu Straftaten gekommen.

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24 Kommentare

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  • Ein 49jähriger wird von einem 20jährigem aufgefordert Maske zu tragen. Der mehr als doppelt so alte spätere Täter, ein autoritärer Charakter mit wenig Selbstbewusstsein, nimmt Anordnungen Jüngerer schwer oder nicht an.



    Das spätere Opfer ist in die Lage versetzt, gesetzliche Bestimmungen umzusetzen. Da tut er beflissen, z.B. aus Eigenschutz oder/und loyalem Dienstverständnis. Darüber hinaus wirkt der junge Mann eloquent und redegewandt. Für den charakterlich so ausgestatteten Täter ist die Kränkung perfekt.



    Was ich damit ausdrücken will ist nicht, dass es keinen politischen Zusammenhang gäbe, sondern dieser Charaktertyp die Querdenker-Szene in mehr oder weniger ausgeprägter Form beseelt. Dass der Täter später angab, es sei die Flut an Corona- Maßnahmen gewesen, die ihn dazu trieben, halte ich trotz allem für ein Schutzbehauptung. M.M.n ist primär das wirksam gewesen, was diese Szene auch über Corona hinaus auszeichnet- Ein Haufen autoritärer Charaktere. Diese sind Unwillens Mehrheitsentscheidungen hinzunehmen, baden sich in ihrem Opfereismus und sehen mehrheitlich unautorisierte Gewalt als legitimes Mittel an. Somit bleibt jeder Gewalttäter, auch politisch motiviert und organisiert letztendlich auch ein Einzeltäter. Es ist also pathogen und folglich muss sich langfristig etwas daran ändern, dass wie bisher autoritäre Charaktere ihre Entstehung erleben dürfen. Kein Kind kommt so zur Welt.



    Die Tat ist so schrecklich. Dieser jung verstorbene Mann hat es über seinen Tod hinaus verdient, dass mehr darüber herausbekommen wird, was solchen Taten zugrunde liegt, als nur ein tagespolitische Geschrei mit kurzer politischer Halbwertzeit bereithalten kann.

    • @zeroton :

      Das trifft den Sachverhalt wohl recht gut.

      Natürlich liegen einer solchen (Charakter)Entwicklung sehr sehr viele verschiedene Rahmenbedingungen zu grunde.



      Von den genetischen Anlagen mal ganz abgesehen.

      Aufs einfachste runtergebrochen ist es immer angebracht andere Menschen ernst zu nehmen und sie respektvoll zu behandeln.



      Da gab es doch diese goldene Regel...

      Das Ergebnis in diesem Fall ist aber tatsächlich äußerst pervers. Wegen einer lächerlichen Maske einen Menschen erschießen, das kriegt ein geistig gesunder Mensch garnicht hin.

  • "Maskenstreit"? Ernsthaft? Der Tankstellenmitarbeiter hat einen Kunden auf die geltende Maskenpflicht hingewiesen, das ist kein "Streit". Der Kunde hat sich daraufhin entschieden, nochmal nach Hause zu fahren, eine Waffe zu holen und den MA zu ermorden, um "ein Zeichen zu setzen". Das hat _nichts_ mit einem Streit zu tun, das ist schlicht Mord.

    Derselbe Euphemismus ist bei "Familiendrama" vs. 2Femizid" zu beobachten...

    • @FrauMüller:

      Warum soll das denn ein Euphemismus sein? Streit ist doch nichts positiv Besetztes und kann durchaus auch die bewaffnete und tödliche Auseinandersetzung meinen (vgl. Streitaxt, Streitkräfte, ...).

      • @Ingo Bernable:

        Ich stimme FRAUMÜLLER zu. "Streit" suggeriert eine Meinungsverschiedenheit zwischen Menschen. Dabei ist Maskenpflicht eine beschlossene Maßnahme. Zudem heißt es in der Überschrift "Vorfall". Beides reproduziert ein verharmlosendes Geschmäckle ...

        • @Uranus:

          Sehe ich auch so. Welche Meinung der Ermordete zur Maskenpflicht hatte, spielte überhaupt keine Rolle. Er war als Beschäftigter der Tankstelle dazu verpflichtet, für die Einhaltung der Maskenpflicht zu sorgen. Und das wusste der Täter selbstverständlich auch. Das war kein Streit und kein "Vorfall", sondern ein Verbrechen, an dem es nichts zu relativieren gibt.

  • 9G
    90946 (Profil gelöscht)

    Was für ein Elend - dem Mann das junge zu rauben und den Angehörigen so ein schreckliches Unglück zu bereiten!



    Und was für ein Horror - für alle, die mit Publikumsverkehr arbeiten (müssen)! Es kommt einer rein und du weißt nicht, wie der drauf ist und reagieren wird.



    Am erschütterndsten sind die bestätigenden Reaktionen im Netz. Solche Leute sind offenbar von allem abgeschnitten, was nicht Hass/Gewalt ist. Zum Heulen.

    • @90946 (Profil gelöscht):

      Danke Lanke für Ihren einfühlsamen Kommentar. Ich arbeite im Einzelhandel und man ist dauernd darauf gefasst, dass ein Kunde wegen der Maske Ärger macht. Ob der sich "nur" aufführt wie ein bockiges Kind oder gleich mit der Waffe losballert, weiß man ja nicht. Auf die Dauer liegen die Nerven blank. Da ist es gut zu wissen, dass es auch Kunden gibt, die Verständnis mit uns Verkäufern haben.

      • @James Butler:

        Das Verständnis mit Verkäufern, Kellnern und anderen Angestellten, die die Corona-Regeln nun mal befolgen müssen, sollte eigentlich auch für eingefleischte Gegner der Maskenpflicht selbstverständlich sein. Ist es aber leider nicht.

        • @Budzylein:

          Die Maskenpflicht finde ich gut. Das Problem ist, dass wir es sind, die die Coronaregeln durchsetzen müssen. Wir haben aber nicht die Autorität (und auch nicht die Ausbildung) von Lehrern, Polizisten oder Türstehern. Für die Querdenker ist man die Inkarnation der "Corona-Diktatur". Unterstützung und auch ein Dankeschön von anderen Kunden tut echt 'mal gut.

          Der Kollege in Idar-Oberstein ist an seinem Arbeitsplatz ermordet worden, das ist so entsetzlich.

  • Was jede/r, der/die noch über einen halbwegs gesunden Menschenverstand verfügt, als unfassbare Gewalttat einordnet, die einfach nur traurig und sinnlos zurück lässt, ist für rechtsextreme Proleten ein Grund zum "Jubeln". Sie fühlen sich jetzt zum "Aufstand" angestachelt. Im Verblödungsmessenger Telegram "geht´s jetzt richtig los"... Schon irre zu sehen, wie Teile der Gesellschaft offensichtlich komplett durchgedreht sind. Wie viele haben Sie damals bei Einführung der Gurtpflicht erschossen? Oder bei der Pflicht zum Tragen einer Schwimmweste bei Bootstouren? Einigen hat es hier wohl offensichtlich auch ohne Infektion das Hirn vernebelt. Und die sog. Messengerdienste dienen weiter als Katalysator für ihren enthemmten Hass und ekelhAFDe Hetze. Da gibt es meiner Meinung nach nur eine Konsequenz: Abschalten und zwar schnell

    • @Ephraim Tollkühn:

      Nachtrag: wie ich jetzt grad beim Tagesspiegel gelesen habe geht es wohl um den Punkt dass bei Messengern wie bspw. Telegram im gegensatz zu sozialen Plattformen strafbare Inhalte nicht gemeldet werden können/müssen und vom Anbieter aktuell nicht nachverfolgt werden können/müssen.

      Das ist natürlich etwas das gesetzlich sehr genau abgegrenzt werden muss: wo private Kommunikation aufhört und wo öffentliche Kommunikation anfängt - und was das für den entsprechenden Plattformbetreiber bzw. in diesem Fall Softwareanbieter an Pflichten nach sich zieht.

      Aber es ist natürlich trotzdem kein Grund Messenger zu verbieten :)

    • @Ephraim Tollkühn:

      Naja, die Messenger sind ja nicht das Problem. Das Problem sind die Personen die den Realitätsbezug verloren haben.

      Ob die jetzt per E-Mail, Messenger oder am Stammtisch kommunizieren ist da eher nebensächlich.

      Ich werd keine Briefe verbieten nur weil irgendwer ne Briefbombe verschickt...

  • Einfach verrückt und traurig für den Jungen dessen Leben so früh beendet wurde und seine Familie und Freunde, denen ein geliebter Menscheö genommen wurde.

    "die Coronapandemie habe ihn „stark belastet“" glaubst der uns andere etwa nicht? Aber auch Menschen zu ermorden, die wohl an der Tankstelle für den Führerschein jobbten, ändert etwas an der Pandemie.

    Widerlich wird es dann, wenn man sieht, das diese Tat auch noch Anhänger hat.

    m.tagesspiegel.de/...tein/27631262.html

    • @Sven Günther:

      Danke für den Link. Unfassbar.

    • @Sven Günther:

      In der Tat. Wie abgeglitten jene in Fanatismus und übler Moral sind.

  • 9G
    95309 (Profil gelöscht)

    Ich bin erschüttert. Einem 20 jährigen in das Gesicht zu schießen, in welcher Welt leben wir.

    Ich denke an die Angehörigen, wie grausam ein junges Leben so auszulöschen.

    • @95309 (Profil gelöscht):

      Schließe mich an. Zumal es offenbar nur darum ging, sich für die paar Minuten Einkauf im Laden mit einer Maske Mund und Nase zu bedecken. :-(

  • Um gegen die Politik im Ganzen zu protestieren, hat da also jemand einfach einen Kassierer erschossen, der sich gegen die gesetzlichen Vorschriften nicht wehren kann ohne seinen Job zu riskieren.

    Auch mit einer rechten Gesinnung ist das eine ziemlich unappetitliche Haltung. Der "Deutsche Held" würde sicher anders gehandelt haben.

    Übrigens: Wer als Student in einer Tankstelle arbeiten muss um sich seinen Führerschein zu finanzieren, kommt eher nicht aus einer Akademikerfamilie.



    Die haben den Führerschein nämlich schon mit 17, spätestens aber direkt nach dem Abitur.

  • "Vorfall" ist verharmlosend - es ist ein Verbrechen!

  • Meine Frau rechnet in der Praxis schon seit längerem mit einem Verrückten der anfängt um sich zu schießen. Täglich gibt es da neue Vorfälle und zum Glück bisher nur verbale Auseinandersetzungen. Ich hab schon vorgeschlagen vor der Praxis ein Zelt aufzubauen, in dem jemand sitzt der den Spinnern die besten Behandlungsmethoden auf Facebook recherchiert. So wäre dann allen geholfen.

  • Lebenslänglich mit besonderer Schwere der Tat



    Anders kann das Urteil eigentlich gar nicht heißen. Unglaublich, dass er das Leben eines Menschen wegen einer solchen Lappalie einfach auslöscht.

    • @Rudi Hamm:

      Kanzlerkandidat Laschet sieht das anders. Er meinte am selben Tag, man müsse mit diesen irren Terroristen reden und ihre Sorgen ernst nehmen...