Von Notz über russische Desinformation: „Die Allgemeinheit ist noch sehr naiv“
Russische Einflussnahme auf Deutschland werde nicht genug verstanden, sagt der Grünen-Politiker Konstantin von Notz. Er fordert auch einen anderen Umgang mit Tiktok.
taz: Herr von Notz, Ihr streng verschwiegenes Parlamentarisches Kontrollgremium warnt in einer sehr seltenen öffentlichen Mitteilung, dass Russland in Deutschland „massiv Spionage betreibt“. Wir stünden „im Mittelpunkt russischer Einflussoperationen“. Weder die Regierung noch die Bevölkerung hätten „die Tragweite erkannt“. Wie dramatisch ist die Lage?
Konstantin von Notz: Es ist eine durchaus ernste Lage. Wir sehen seit vielen Jahren Desinformationskampagnen und andere Einflussnahmeversuche. Wir sehen, wie Social Media ganz bewusst eingesetzt wird, um Stimmung zu machen und zu spalten. Wir erleben auch Angriffe auf unsere kritische Infrastruktur und wissen, dass der frühere Wirecard-Vorstand Jan Marsalek offenbar ein russischer Agent war. Und leider haben wir nicht den Eindruck, dass die Regierung, das Parlament, alle Sicherheitsbehörden oder auch die Medien diese Gefahr erkennen und verstehen.
53, sitzt seit 2009 für die Grünen im Bundestag und ist seit März 2022 Vorsitzender des Kontrollgremiums der Geheimdienste. Dieses kontrolliert die Nachrichtendienste des Bundes.
Hackingattacken auf den Bundestag, der Tiergartenmord, dann der Angriffskrieg gegen die Ukraine: Ist nicht längst klar, was Russland da treibt?
Ich glaube, die Allgemeinheit ist in der Frage, wie aggressiv Russland vorgeht, immer noch sehr naiv. Wir brauchen insgesamt deutlich mehr Wehrhaftigkeit. Voraussetzung dafür ist ein Bewusstsein, dass es ein massives Problem gibt.
Auch die Bundesregierung hat dieses nicht?
In der Wahrnehmung des Gremiums, dem ich vorsitzen darf, ist das die fraktionsübergreifende Meinung. Wir haben das nicht aus Versehen geschrieben.
Zuletzt stand vor allem die Bundeswehr im Fokus, mit dem Taurus-Leak und dem laxen Sicherheitsumgang bei Videokonferenzen.
Das Problem reicht viel tiefer. Der unvorsichtige Umgang mit Geheimschutzsachen ist nur eine Facette. Da müssen zweifellos alle sensibler agieren. Wir brauchen aber insgesamt ein Bewusstsein, dass massive Kampagnen laufen und wir uns dagegen besser schützen müssen.
Was ist Moskaus Ziel?
Es wird immer offensichtlicher, dass Russland massiv Einfluss nimmt, selbst auf Wahlen und Referenden. Wir werden das auch diesmal wieder bei den Europa- und Landtagswahlen erleben. Wenn man Europa destabilisieren will, ist Deutschland einfach ein sehr relevantes Land.
Was droht uns konkret bei den Wahlen in Deutschland?
Ich habe keine Glaskugel, viele Szenarien sind denkbar: Deepfakes und geleakte Kommunikationen im Vorfeld, Desinformationen über angebliche Wahlmanipulationen, aber auch Angriffe auf die digitalen Übertragungswege von Wahl-Ergebnissen. Wir müssen uns auf all diese Szenarien einstellen. Es geht längst nicht mehr um die Frage, ob Beeinflussungsversuche stattfinden werden, sondern in welcher Intensität.
Welche Rolle spielt dabei die AfD?
Die AfD macht kein Geheimnis daraus, dass sie das Sprachrohr der russischen Propaganda ist. Das ist schon heute im Parlament so und wird auch in den Wahlkämpfen eine massive Rolle spielen. Russland unterstützt solche Parteien gezielt – europaweit. Das Ziel ist, unsere demokratische Gesellschaft zu spalten. Die AfD zeigt sich durchaus erkenntlich, unter anderem durch die Teilnahme an „Wahl-Beobachtermissionen“, bei denen den Wahlen in Russland Scheinlegitimation gegeben wird.
Sehen Sie auch eine direkte Finanzierung der AfD durch Russland?
Das ist eine sehr relevante Frage, die die bestehenden Aufsichtsstrukturen wie die Bundestagsverwaltung und unsere Sicherheitsbehörden beantworten müssen. Bereits bei der vergangenen Bundestagswahl hat es sehr große Kampagnen, auch und vor allem gegen die Grünen gegeben, bei der die Finanzierung bewusst verschleiert war. In unserer Demokratie unterliegen Parteien- und Wahlkampffinanzierung aus gutem Grund Transparenzlogiken, um illegitime Einflussnahme auf den Ausgang von Wahlen zu verhindern.
Was also muss passieren?
Ganz viel.
Was zuerst?
Zuerst müssen wir an die Social-Media-Plattformen ran, die sich bis heute oftmals nicht an geltendes Recht halten. Hier braucht es scharfe Kontrolle durch unabhängige Aufsichtsstrukturen, die auch deutliche Sanktionen aussprechen können. Der Digital Services Act der EU sieht diese vor. Rechtsextreme und andere Demokratiefeinde konnten den Mangel an Regulierung viel zu lange für ihre verfassungsfeindliche Agenda nutzen. Sie machen überhaupt keinen Hehl daraus, dass sie TikTok für den Volksempfänger unserer Zeit halten. Da muss man allein schon aus Gründen des Jugendschutzes handeln.
Gerade erst hat TikTok die Reichweite des AfD-Europaspitzenkandidaten Maximilian Krah eingeschränkt. Ein erster Schritt?
Die Unternehmen scheinen zu merken, dass sie handeln müssen. Aber die Frage bleibt, warum das nicht längst passiert ist und nach welchen Kriterien hier im konkreten Fall entschieden wird. Hier bedarf es deutlich mehr Transparenz.
Ganz trivial ist das nicht, weil die Unternehmen ja international organisiert sind.
Das Argument der Internationalität hat mich nie überzeugt. In allen anderen Bereichen müssen sich auch andere multinationale Unternehmen an nationale und EU-Gesetze halten. Auch Volkswagen ist ein internationaler Konzern. Wenn der Abgaswerte manipuliert, kommen in den USA die Aufsichtsbehörden und sanktionieren knallhart. Das muss auch für IT-Konzerne gelten. Doch wenn Meta-Chef Mark Zuckerberg nach Berlin kommt, ging es immer eher um Selfies denn Regulierung.
Das Papier Ihres Gremiums warnt auch, dass die Geheimdienste „vor erheblichen Herausforderungen“ stehen. Brauchen diese also neue Instrumente?
Ja, wir müssen die Sicherheitsbehörden so ausstatten, dass sie der Herausforderung gewachsen sind. Wir haben nach der Wiedervereinigung gedacht, das Spiel ist abgepfiffen. Aber die anderen haben einfach weitergemacht. Die Spionageabwehr wurde in den letzten Jahren sträflich vernachlässigt. Da braucht es wieder gut aufgestellte Abteilungen, mit mehr Personal und mehr Kapazitäten.
Was heißt das konkret?
Unter anderem braucht es rechtsstaatliche und effektive Befugnisse zu Finanzermittlungen durch die Nachrichtendienste – auf diesem Feld sind sie bisher weitgehend blind.
Zuletzt kämpfte der BND indes mit einem Verrat: Ein Referatsleiter soll Interna ausgerechnet an Russland weitergegeben haben.
Das ist ein sehr, sehr ernster Vorgang. Oft darf man sich solche Fälle nicht erlauben, ohne dass die befreundeten Dienste sich abwenden. Gerade in diesen Zeiten brauchen wir das Vertrauen unserer Partner.
Da hilft mehr Personal aber nicht.
Es braucht ausreichend Personal und insgesamt ein anderes Problembewusstsein. Die Behörde hat bereits viel aus diesem Fall gelernt. Aber unser Eindruck ist, dass über die Auswirkungen der Zeitenwende für die Bundeswehr seit zwei Jahren breit diskutiert wird. Wir brauchen diese Zeitenwende in allen Sicherheitsbehörden, auch bei unserem Anspruch, eine resiliente Gesellschaft zu sein, gerade mit Blick auf zuhauf stattfindende Sabotageaktionen. Wir haben immer noch kein Dachgesetz, mit dem wir unsere kritische Infrastruktur besser schützen. Darüber reden wir seit gefühlt 100 Jahren. Angesichts krass gestiegener Bedrohungslagen müssen wir endlich handeln. Andere Länder sind uns deutlich voraus.
Welche Länder sind das?
Die skandinavischen Länder und das Baltikum haben ein Mindset, von dem man lernen kann. Und das ist übrigens auch die klare Erwartungshaltung in unsere Richtung.
Wie schafft man ein anderes Mindset?
Wir müssen eine gesamtgesellschaftliche Diskussion führen und stärker sensibilisieren, zum Beispiel über öffentliche Diskussionen oder Interviews wie dieses hier. So funktioniert es hoffentlich in einem demokratischen Gemeinwesen: dass man ein Problem erkennt, es diskutiert und dann handelt und es behebt.
Nach dem NSU-Versagen wurde noch über eine Abschaffung des Verfassungsschutzes diskutiert. Bei Ihnen geht das jetzt in eine ganz andere Richtung.
Die Selbstenttarnung des NSU, die Veröffentlichungen von Edward Snowden, der russische Angriffskrieg, aber auch die gravierenden Verratsfälle der letzten Jahre waren einschneidende Ereignisse. Gleichzeitig erleben wir, dass unser Rechtsstaat von autokratischen Systemen, aber auch von Rechtsextremisten so bedroht wird, wie es das vor 15 Jahren nicht gab. In den USA waren die Justiz und die Dienste die widerständigen Kräfte gegen die Allmachtsfantasien von Donald Trump. Sie haben sich dieser Logik, den Staat zu unterwerfen, konsequent entzogen. Auf all diese Entwicklungen muss man politisch reagieren.
Auch die Grünen forderten mal, den Verfassungsschutz auf einen Kern zu reduzieren und den Rest, vor allem die wissenschaftliche Analyse, zivilgesellschaftlich zu organisieren.
Der Verfassungsschutz bezieht inzwischen wissenschaftlichen Sachverstand sehr viel stärker als zuvor mit ein. Auch die Einschätzungen der Dienste haben sich drastisch verändert. Der BND weist in aller Massivität auf die Gefahren hin, die von Staaten wie Russland und China ausgehen. Und der Verfassungsschutz betont, dass die größte Gefahr für die Demokratie der Rechtsextremismus ist. Unsere Hoffnung ist, dass veränderte Umstände Institutionen und Menschen dazu bringen, sich auf neue Situationen einzustellen. Wir haben alle gehofft, dass mit der Wiedervereinigung und dem Ende der Ost-West-Polarisierung die Gefahr einer atomaren Auseinandersetzung der Weltmächte im Herzen von Europa vorbei ist. Aber jetzt stellen wir schmerzlich fest, dass es leider nicht so ist. Das sollten spätestens jetzt alle begreifen. Wir müssen uns als Gesellschaft endlich sehr viel resilienter und wehrhafter aufstellen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann