Volkswirt über Erbschaftsteuer: „Viele Privilegien für Milliardäre“
FDP und Union wollen höhere Freibeträge bei der Erbschaftsteuer. Sie mogeln sich um die eigentliche Debatte herum, sagt Finanzexperte Gerhard Schick.
taz: Herr Schick, es gibt einen Kompromiss der Ampel, höhere Freibeträge bei der Erbschaftsteuer mitzutragen, wenn es eine entsprechende Gesetzesinitiative der Bundesländer gibt. Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner hat dazu gesagt: Der Ball liegt auf dem Elfmeterpunkt. Würden Sie den Ball reinschießen?
Gerhard Schick: So nicht.
Warum nicht?
Bisher diskutieren wir nur die Höhe der Freibeträge, die länger nicht angepasst worden sind. Und diese Diskussion ist legitim. Aber es gibt einen zweiten Punkt: Wir haben seit Jahren ein verfassungswidriges Erbschaftsteuerrecht. Wenn man jetzt bei der Erbschaftsteuer gesetzgeberisch tätig wird, dann muss auch dieses Thema gelöst werden.
Was müsste gelöst werden?
Dass wir Privilegien für Milliardäre in unserem Land haben.
Heißt, wir können über höhere Freibeträge sprechen, aber wir müssen dann auch an anderer Stelle tätig werden?
Exakt.
Bleiben wir erst mal bei den Freibeträgen. Der Hintergrund der Aufregung ist, dass nach einem Verfassungsgerichtsurteil die Wertermittlung bei Immobilien angepasst wird. Erben von Immobilien müssten dann mehr Erbschaftsteuer zahlen. Ist das denn verkehrt?
Es ist völlig richtig, dass jedes Vermögen zu seinem Marktwert einbezogen wird. Das hat das Bundesverfassungsgericht schon mehrfach bestätigt: Der Gesetzgeber darf Freibeträge einziehen und begründete Ausnahmen schaffen. Aber was nicht geht: willkürlich einen Wert ermitteln. Dieser verfassungsrechtlichen Vorgabe muss man folgen. Die Immobilienpreise sind gigantisch gestiegen in vielen Orten in den letzten Jahren. Und das führt jetzt bei der Erbschaftsteuer dazu, dass man mehr Steuern zahlen muss, wenn man größere Vermögen vererbt.
Die FDP argumentiert so: Wenn man die Freibeträge nicht erhöht – seit 2009 wurden sie nicht angepasst –, dann werden Miethäuser aus Familienbesitz in die Hände von Investoren fallen. Das würde der gesamten Gesellschaft schaden.
Erstens: Das ist überhaupt nicht belegt. Zweitens ist es schon merkwürdig, von der FDP plötzlich Argumente gegen Finanzinvestoren zu hören. Ich habe das mit einem Schmunzeln aufgenommen. Wissen Sie, was man thematisieren müsste? Wenn jemand 300 Wohnungen erbt, wird das als Betrieb gewertet und praktisch steuerfrei übertragen. Wenn jemand fünf Wohnungen erbt, muss er es versteuern. Das kann nicht gerecht sein. Um diese Debatte mogelt sich die FDP mit solchen Äußerungen herum.
Die FDP ist aber nicht allein. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) will auch die Freibeträge erhöhen und prüft eine Verfassungsklage. Wie finden Sie das?
Seit 2006 haben wir ein verfassungswidriges Erbschaftsteuerrecht. Ich kenne keine Initiative von Herrn Söder, diese Verfassungswidrigkeit zu überwinden. Allein seit 2009 sparten Superreiche aufgrund der höchsten Steuersubvention unseres Landes über 74 Milliarden Euro, dank der sie quasi steuerfrei Vermögen an die nächste Generation weitergeben können. Das ist eine Riesenungerechtigkeit. Aber bei den Freibeträgen will er vor das Verfassungsgericht gehen, weil es ihm politisch in den Kram passt. Dieses Rosinenpicken in der Verfassung, das muss jeder Demokrat im Rechtsstaat ablehnen. Söder und FDP suchen sich nur einen kleinen Ausschnitt raus, wo jetzt Vermögende stärker belastet werden. Wir müssen uns das Gesamtpaket angucken.
Wie sieht das aus?
Die allermeisten Menschen erben überhaupt nichts. Auf der anderen Seite haben wir Menschen mit Milliardenvermögen, die nichts zahlen, obwohl sie Milliarden erben. Wenn wir diese beiden großen Felder in dieser Erbschaftsdiskussion ausklammern, dann haben wir eine völlig schiefe Debatte.
Was müsste sich denn ändern, damit das Erbschaftsteuerrecht wieder verfassungskonform wird?
Es gibt zu viele Ausnahmen bei den ganz großen Vermögen. Sie betreffen die großen Betriebsvermögen in unserem Land und die großen Immobilienbestände. Diese Privilegien müssen abgeschafft werden, damit unser Erbschaftsteuerrecht wieder verfassungskonform wird. Wie soll ich jemandem erklären, dass auf kleinere Erbschaften und Schenkungen im Schnitt ein höherer Steuersatz erhoben wird als auf größere? Das Prinzip der Leistungsfähigkeit sagt uns doch: „Starke Schultern tragen mehr als schwache Schultern.“ Im Erbschaftsteuerrecht ist dieses Prinzip aber umgekehrt worden. Das müssen wir korrigieren.
Union und FDP argumentieren gegen eine höhere Besteuerung von Betriebsvermögen, weil daran ja auch Arbeitsplätze hängen.
Dieses Argument ist aber in den Bereich der Fake News einzuordnen. Es gibt ein Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium, das zu einem anderen Ergebnis kommt. Bei einer Erbschaftsteuer für Betriebsvermögen gibt es auch Stundungsregelungen. In Deutschland ist noch kein einziger Betrieb durch die Erbschaftsteuer ins Schlingern gekommen. Das ist ein Scheinargument, um den Leuten Angst zu machen. Die Stiftung Familienunternehmen, wo viele der größten Milliardärsfamilien dieses Landes organisiert sind, hat systematisch versucht, Angst zu schüren, dass bei einer sinnvollen Erbschaftsbesteuerung Arbeitsplätze verloren gehen. Und dieses Argument ist weitverbreitet in unserem Land, ist aber trotzdem falsch.
Die FDP möchte eine Erhöhung der Freibeträge um 25 Prozent und dann eine künftige Anpassung an die Inflation. Für sie ist das eine Frage der Anerkennung von Leistung. Jemand hat sich etwas erarbeitet und das darf der Staat ihm dann nicht durch hohe Steuern wegnehmen.
Das ist eine völlig schiefe Debatte! Über die Hälfte des Vermögens, das es heute in Deutschland gibt, ist nicht durch persönliche Leistung, sondern durch Erben entstanden. Das heißt, wer sich für mehr Leistungsgerechtigkeit einsetzen will, muss dafür sorgen, dass Erbschaften höher besteuert und Einkommen weniger belastet werden.
Sie haben die Vermögensungleichheit in Deutschland angesprochen: Wie verändert das unsere Gesellschaft?
Wenn Vermögen sich zu stark konzentrieren, ist das nicht gut für die demokratische Gesellschaft, weil dann Menschen mit sehr viel Geld einfach auch sehr viel Einfluss nehmen können. Deswegen steht in unserem Grundgesetz: Eigentum verpflichtet. Deswegen sagt das Verfassungsgericht: Wir dürfen nicht einfach Milliardäre willkürlich privilegieren. Das sind Grundlagen unseres Rechtsstaates, die wir nicht ignorieren dürfen.
Sie haben selbst Ihr Bundestagsmandat niedergelegt. Sind Sie eigentlich enttäuscht über die Kompromissbereitschaft von den Grünen?
Es ist ja klar, dass die Grünen in der Ampel Kompromisse machen müssen. Spätestens bei der Verfassung muss aber Schluss sein. Und das ist ohnehin ein parteiübergreifendes Thema. Winfried Kretschmann hat sich für die verfassungswidrigen Privilegien genauso eingesetzt wie Markus Söder. Es ist eine gesellschaftliche Diskussion: Wollen wir zulassen, dass sich das große Geld durchsetzt gegen die Regeln unserer Verfassung? Ich habe im Bundestag selbst erlebt, dass die Lobby so stark war, dass man da nichts erreichen konnte. Das ist der Grund, warum wir die Bürgerbewegung Finanzwende als Gegengewicht gegründet haben.
Das ist ja eine interessante Perspektive als Ex-Parlamentarier – wie genau hat sich der Lobbyismus bemerkbar gemacht?
Wenn sich ein Milliardär, der ein großes Unternehmen leitet, meldet, dann bekommt er sofort einen Termin bei vielen Politikern. Es hat über die Jahre eine Art Brainwashing der gesellschaftlichen Diskussion stattgefunden. Heute fragt doch kaum jemand nach dem Verhältnis zwischen denen, die erben, und denen, die nichts erben. Alle haben einfach nur Angst, dass Arbeitsplätze verloren gehen, wenn die Erbschaftssteuer erhoben wird. Davon muss sich diese Gesellschaft wieder befreien. Wenn das Signal unserer Gesellschaft ist: Du kannst nur gut leben, wenn du erbst, dann ist das leistungsfeindlich. Und das ist der Weg, auf den uns FDP und CSU gerade treiben.
Ein anderes Argument lautet: Die Erbschaftssteuer ist eine doppelte Besteuerung.
Wenn ich mir ein Stück Kuchen kaufe, zahle ich darauf Mehrwertsteuer und die zahle ich aus meinem bereits versteuerten Einkommen. Das ist oft so in unserem Steuerrecht, erst recht bei einem Eigentumsübertrag. Das kann also kein Argument gegen die Erbschaftssteuer sein.
Wie geht es jetzt politisch weiter? Werden sich die Bundesländer einigen können?
Ich bin gespannt. Denn es ist auch eine Frage der Gerechtigkeit zwischen einzelnen Landesteilen, zwischen Ost und West, zwischen reichen und ärmeren Regionen in unserem Land. Mir ist wichtig, dass wir nicht nur über die Freibeträge reden. Die Länder haben da teilweise in der Vergangenheit eine problematische Rolle gespielt: Immer wieder haben sie geklagt, dass sie zu wenig Geld haben, um ihren Aufgaben gerecht zu werden, und gleichzeitig bei der Erbschaftssteuer immer wieder nette Ausnahmen ins Gespräch gebracht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken