Verhinderte Straßenumbenennung: Lieber Hindenburg als Sophie Scholl
In Northeim wollten SPD und Grüne die Hindenburgstraße in Sophie-Scholl-Straße umbenennen. CDU, FDP, AfD und eine Wählerliste machten da nicht mit.
Doch nun, nach 88 Jahren, sei es allerhöchste Zeit für einen neuen Namen, befanden SPD und Grüne im Northeimer Stadtrat. Die Hindenburgstraße solle künftig Sophie-Scholl-Straße heißen, forderten die Parteien in einem Antrag, die Umbenennung solle zum 100. Geburtstag der Widerstandskämpferin erfolgen. Doch der rot-grüne Vorstoß scheiterte im Kommunalparlament. CDU, FDP, AfD und die Freie Unabhängige Liste (FUL) lehnten den Antrag für ein Umbenennungsverfahren am 25. Februar mit 19 gegen 15 rot-rot-grüne Stimmen ab.
Paul Ludwig Hans Anton von Beneckendorff und von Hindenburg, dem 1933 gemeinsam mit Hitler und Göring auch die Ehrenbürgerwürde der Stadt Northeim verliehen worden war, verdiene keine Ehrung, so der Grünen-Ratsherr Hans Harer, der den Antrag initiiert und bei der Einbringung in den Stadtrat am 25. Februar begründet hat. In den beiden letzten Jahren des ersten Weltkriegs hatte Hindenburg als Chef der Obersten Heeresleitung quasi diktatorisch die Regierungsgewalt ausgeübt. Im Herbst 1918 erklärte er, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen sei.
Vor dem Untersuchungsausschuss der Weimarer Nationalversammlung verbreitete er 1919 gleichwohl die so genannte Dolchstoßlegende, wonach das Heer „im Felde unbesiegt“ von den Novemberrevolutionären und Politikern durch einen Waffenstillstand „von hinten erdolcht“ worden sei. Mit dieser Behauptung trug er in der Folge wesentlich zum Legitimationsverlust und zur Destabilisierung der Weimarer Republik bei.
Als Reichspräsident ernannte Hindenburg am 30. Januar 1933 Hitler zum Reichskanzler. Damit sowie durch die Dolchstoßlegende trug er wesentlich zum Untergang der Weimarer Republik und zum Entstehen der totalitären NS-Diktatur bei. Hindenburg starb im August 1934 im Alter von 86 Jahren.
Die Northeimer CDU-Fraktion brachte zur betreffenden Ratssitzung einen Gegenantrag ein. Demnach sollten die Bürger bei einer Befragung mit der Kommunalwahl im September entscheiden, ob die Straße umbenannt werden solle.
Inhaltlich wandten sich die Christdemokraten gegen eine Umbenennung. Zwar könne die Rolle Hindenburgs bei der Machtübernahme Hitlers „als mitentscheidend angesehen“ werden, auch „legitimieren wir damit keinesfalls die Handlungen von 1933, noch heißen wir sie gut“. Aber: „Ob es uns gefällt oder nicht, Paul von Hindenburg war Teil der deutschen Geschichte“: „Löschen wir nun diesen Namen aus dem Stadtbild, so löschen wir Teile unserer Erinnerungskultur aus, die uns anhält, uns mit dem Thema im Alltag auseinanderzusetzen.“
Im Übrigen, gab die CDU zu bedenken, müsse im Fall einer Umbenennung der Straße die Frage der Kostenübernahme für die Anwohner geklärt werden. Das gelte „insbesondere natürlich für die ansässigen Arztpraxen“. In der Hindenburgstraße wären 94 Haushalte und drei Praxen betroffen. Tatsächlich entstehen für eine Ummeldung im Bürgerbüro keine Kosten. Ausgaben für neue Visitenkarten etwa können Ärzte von der Steuer absetzen.
In der Ratssitzung wurde zunächst über den rot-grünen Antrag abgestimmt. Nach der Ablehnung zog die CDU ihren Antrag zurück. Eine Bürgerbefragung wird es also nicht geben. „Gegen unseren Antrag haben sich alle ohne Ausnahme rechts von der SPD versammelt“, sagte Grünen-Ratsherr Harer der taz.
Inhaltlich sei nicht darüber diskutiert worden: „Man faselte von der Entsorgung der Geschichte, verwies auf den Bürgerwillen und zog dann die Forderung nach der Befragung aller Bürger zurück.“ Unterm Strich habe der Rat am 25. Februar mit Mehrheit einen Ehrungsbeschluss des NS-Stadtrats vom April 1933 bestätigt, dass Hindenburgs Verhalten mit der Machtübertragung an Hitler im Zusammenhang gestanden habe.
Aus Sicht von Harer eifern die Northeimer Christdemokraten ihren Parteifreunden in Hannover nach. Auch dort hat sich die CDU lange gegen die Umbenennung der Hindenburgstraße gewehrt. SPD, Grüne und Linke konnten aber durchsetzen, dass die Straße dort künftig Loebensteinstraße heißt. Die neue Namensgeberin Lotte-Lore Loebenstein lebte als Kind mit ihrer jüdischen Familie in der Straße und wurde 1943 von Nationalsozialisten in einem Konzentrationslager ermordet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen