Straßenumbenennung in Bremen: Eine Nazi-Würdigung weniger
Der Nazi Hinrich Wriede wird in Bremen nicht mehr mit einer Straße geehrt. Die Umbenennungen von kolonialistischen Orten klappen weniger gut.
Bremen taz | „Achterhook“ kommt aus dem niederdeutschen und bedeutet so viel wie „hintere Ecke“. Ein kurzer Name für eine kurze Straße: Nach einer Beiratsinitiative und einem Beschluss des Bremer Senats Anfang Mai heißt die bisherige Hinrich-Wriede-Straße jetzt so. Denn Wriede war Anfang des 20. Jahrhunderts nicht nur Schulleiter und plattdeutscher Dichter, sondern auch ein „sehr betonter und primitiver Nationalsozialist“.
So steht es in einem Schreiben des Ortsamts Horn-Lehe aus dem April 2019. „Die nach intensiven Recherchen öffentlich bekannten Verbindungen von Hinrich-Wriede zur Nazi-Diktatur legen es nahe, die Ehrung dieser Person durch eine Straßenbenennung nicht länger aufrechtzuerhalten“. Der Anstoß für die Umbenennung kam sowohl von Anwohner:innen, als auch von der grünen Beiratsfraktion, erzählt Ortsamtsleiterin Inga Köstner.
Nach einigen Verzögerungen ging es jetzt auf einmal fix: Ohne Anwohner:innen oder Senat zu informieren, hatte das Amt für Straßen und Verkehr (ASV) am 11. Mai das neue Straßenschild aufgestellt. Am Dienstag nun wurde das alte Schild übergangsweise wieder dazugestellt. Um die „Postproblematik“ zu vermeiden, aber auch für Rettungsdienst- und Feuerwehreinsätze, heißt es aus dem Ortsamt.
Wie lange diese Übergangszeit dauern wird und wann die Bremer Achterhook auch auf Google Maps zu finden ist, weiß man dort noch nicht. Trotz der Verzögerungen nennt Köstner den Prozess „exemplarisch“: „Viele Anwohner:innen standen der Umbenennung sehr positiv und aufgeschlossen gegenüber“. Sie hofft, dass eine offizielle Einweihung noch in diesem Monat möglich ist. Anfallende Kosten für die Änderung von Adressen auf Dokumenten wie Personalausweis oder Grundbucheintrag übernimmt das Amt.
„Bremen war nun mal eine Stadt, die sich aktiv am Kolonialismus beteiligt hat“
Dass Straßen nicht nach Nationalsozialist:innen benannt werden sollen, trifft auf Konsens. Anders ist es beim Thema Kolonialismus. Obwohl eine Umbenennung bereits 2017 im Beirat Schwachhausen diskutiert wurde und verschiedene Gruppen sich immer wieder dafür aussprachen, gibt es in Bremen nach wie vor eine Lüderitzstraße. „Eine Straßenumbenennung wird von einigen vor dem Hintergrund der hohen Kosten und des enormen Aufwands sowie gegen die Position der Anwohner/innen als zu weitreichend angesehen“, heißt es dazu im Beiratsprotokoll von 2017. Aktuell sei es in der Debatte „sehr ruhig“, teilt der Beirat mit; ebenso die Diskussion um andere Straßennamen wie Vogelsang.
Ralph Saxe, beirätepolitischer Sprecher der Grünen, habe eine Zeit lang in der Vogelsangstraße gewohnt und sich für den Namen geschämt. „Der Aufwand einer Umbenennung lohnt sich auch deshalb, weil man hinterher in einer Straße wohnen kann, auf deren Namen man vielleicht sogar stolz ist.“
Beim Thema Kolonialismus sei man noch nicht auf der gleichen Ebene des historischen Bewusstseins wie beim Thema Nationalsozialismus, sagt Saxe. „Unrecht kann man nicht vergleichen, aber Bremen war nun mal eine Stadt, die sich aktiv am Kolonialismus beteiligt hat.“ Wenn man eine antikoloniale Stadt sein wolle, könne man Namen wie Lüderitz oder Vogelsang nicht unkommentiert stehen lassen. Die beiden Bremer Kaufmänner waren durch ihre Aktivitäten im heutigen Namibia maßgeblich an der gewalttätigen Kolonialherrschaft in Deutsch-Südwestafrika beteiligt.
Diese Informationen lassen sich für interessierte Spaziergänger:innen mittlerweile in den Legenden unter den Straßenschildern finden. Aber reicht das? „Die Benennung einer Straße nach einzelnen Personen ist immer eine Ehrung“, sagt Kevin Lenkeit, innenpolitischer Sprecher der SPD. Die Straßenschilder lediglich mit Legenden zu versehen, sei deshalb nicht ausreichend. Der Beirat solle aber auch nicht über die Köpfe der Anwohner:innen hinweg entscheiden.
Unwillige Anwohner:innen
Das größte Hindernis in Sachen Umbenennung liegt laut Miriam Strunge, kulturpolitische Sprecherin der Linken, im Unwillen der Anwohner:innen, sich um die Formalia zu kümmern. „Aber es kann doch nicht sein, dass wir deshalb akzeptieren, dass es in Bremen eine Lüderitzstraße gibt.“ Das Wichtigste bleibe deshalb die aktive Diskussion. „Es muss für alle klar sein, dass die Anwohner:innen keine Kosten tragen“, sagt Strunge. Den Beiräten müsse zudem deutlich gemacht werden, dass der Senat die Umbenennung von Straßen politisch unterstützt. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass man weiterhin gegen eine Umbenennung ist, wenn man sich ernsthaft mit der Geschichte beschäftigt hat.“
Ursprünglich sollte die Achterhook in Horn-Lehe Magdalene-Thimme-Straße heißen. Wegen der Länge entschieden sich die Anwohner:innen allerdings dagegen. Der Beirat möchte Thimme trotzdem mit einem Straßenschild ehren und benennt nun einen bisher namenlosen Fahrradverbindungsweg nach der Bremer Pädagogin. Sie war eine bekennende Gegnerin und öffentliche Kritikerin des Nationalsozialismus, wurde deshalb aus dem Schuldienst entlassen und war als Vorsitzende des Bruderrats die erste Frau in leitender Position der Bremer Kirchengeschichte.
Leser*innenkommentare
Ralf Kusmierz
Es stimmt nicht, daß der Anstoß für die Umbenennung sowohl von Anwohner:innen, als auch von der grünen Beiratsfraktion kam. Die Veranlassung war vielmehr meine E-Mail-Nachricht von Juni 2018 an das Ortsamt mit der Bitte, den Beirat bzgl. des Namensgebers in Kenntnis zu setzen, nachdem ich mich aus Informationsinteresse bei Wikipedia über diese mir unbekannte Person informiert hatte; die Fraktion der Grünen hatte diese Anregung dann aufgegriffen. Es gibt auch andere "problematische" Straßennamen, bei denen aber nichts unternommen wird, weil die Namensgeber dafür nicht "skandalös genug" sind: nicht weit weg vom Achterhook gibt es die Heinrich-Goebel-Straße. Die erhielt ihren Namen wie die gleichnamige Straße in Lilienthal, weil offensichtlich eine "zuständige Stelle" den Namen in einem Lexikon als "wahren Erfinder der Glühlampe" gefunden hatte. Diese Einordnung entbehrt jeder sachlichen Grundlage: tatsächlich war Goebel ein Hochstapler und Kleinkrimineller, der sich als falscher Zeuge in letztlich erfolglosen Patentrechtsprozessen gegen Edison instrumentalisieren ließ. Ich hatte beim Beirat deswegen die Umbenennung beantragt, was abgelehnt wurde, weil ich dafür ein Votum der Anwohner beibringen müßte, was ich nicht als meine Aufgabe ansah. Entsprechende hatte ich in meiner Mitteilung an den Beirat auch geschrieben, daß ich auch im Fall der "Nazi-Straße" die Anwohner nicht agitieren würde. R. Kusmierz