Verbotene Lautstärke von Motorrädern: „Da halten Sie sich die Ohren zu“
In einigen Fällen wird Motorradlärm als viermal so laut empfunden wie zulässig. Das zeigen Messergebnisse, die die taz exklusiv einsehen konnte.
Umfragen zufolge fühlen sich etwa drei Viertel der Bevölkerung durch Straßenverkehrslärm gestört oder belästigt, also in ihrer Lebensqualität eingeschränkt. Dabei können chronische Lärmbelastungen Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Schlaganfälle verursachen, warnt das bundeseigene Robert-Koch-Institut. Dennoch bauen BMW und andere Konzerne Motorräder oder Autos so, dass sie lauter sind als zum Fahren nötig. Der Grund: Gerade männliche Kunden finden es schön, wenn die Fahrzeuge einen kräftigen „Sound“ haben. Legal ist das, weil der Schallpegel für die Zulassung nur in „zahmen“ Situationen wie bei niedrigen Drehzahlen und Geschwindigkeiten von 50 Kilometern pro Stunde gemessen wird.
Ein Beispiel ist das Motorrad BMW R NineT Urban G/S. Im Lärmtest für die Typzulassung nach EU-Recht kam das Modell laut Umweltbundesamt bei 50 Kilometern pro Stunde in 7,5 Meter Entfernung auf rund 74 Dezibel. 77 Dezibel waren für diesen Typ erlaubt. Als der von der Behörde beauftragte Testfahrer aber absichtlich hochtourig fuhr, um richtig Krach zu verursachen, maß das Amt gleich 99 Dezibel.
Eine Zunahme von 10 Dezibel entspricht ungefähr einer Verdopplung der empfundenen Lautstärke. „Ein Fahrzeug mit dem gemessenen Wert verursacht einen Geräuschpegel wie rund 160 Fahrzeuge mit 77 Dezibel“, erläutert Michael Jäcker-Cüppers, Vorsitzender des Arbeitsrings Lärm der Deutschen Gesellschaft für Akustik. Ein anderer Experte sagt: „Das ist richtig laut. Da halten Sie sich die Ohren zu. Wenn so ein Ding um die Ecke kommt, erschrecken Sie sich.“
Auch Autos betroffen
Die ebenfalls vom Umweltbundesamt getestete Kawasaki Ninja ZX-10R KRT kam sogar auf 102 Dezibel. Wenn sie im offiziellen Zulassungsverfahren gemessen wird, war sie nur rund 76 Dezibel laut, also etwa in Höhe des Grenzwerts. Auch die Harley Davidson Softail Heritage Classic lag bei den „Worst Case“-Fahrten weit über dem in den offiziellen Testfahrten erlaubten Limit.
Das trifft nicht nur bei den drei getesteten Motorrädern zu, sondern auch bei den drei untersuchten Autos. Das Audi TT RS Coupé etwa verursachte bei der provokativen Fahrt einen Geräuschpegel von 102 Dezibel. In der Zulassungsprüfung sind nur rund 76 Dezibel zulässig.
Der Audi lässt sich per Schalter vom Fahrer in einen „Sportmodus“ versetzen. Dann öffnet sich eine Klappe im Auspuff, sodass die Geräusche aus dem Motor weniger stark gedämpft entweichen. Die Messwerte bestätigen nun, dass damit tatsächlich der Lärmpegel zunehmen kann, was Autolobbyisten gern anders darstellen. Der Audi verursachte im Sportmodus einen Lärmpegel von 97 Dezibel – bei nur 50 Kilometern pro Stunde wie im Zulassungstest verlangt. „Der war wirklich brüllend laut, als die Klappe aufging“, sagt einer, der bei den Fahrten des Umweltbundesamts dabei war.
Das ist nach Rechtsauffassung der Zulassungsbehörden völlig legal, da der Audi nach einer alten Regelung getestet wurde, für die der Sportmodus nicht genutzt werden muss. Das Fahrzeug wurde gemäß der von der EU übernommenen UN-Norm ECE R51.02 nur im leiseren Modus überprüft. Erst die neue Norm R51.03 fordert, Fahrzeuge in allen Betriebszuständen zu messen. Doch die Hersteller dürfen sich laut Kraftfahrt-Bundesamt immer noch für die alte Norm entscheiden, falls es sich um einen bereits bestehenden Fahrzeugtyp handelt. Bei der Frage, was ein bereits bestehender Typ ist, haben die Unternehmen einen großen Ermessensspielraum. Zudem werden noch viele Jahre lang Millionen Fahrzeuge auf den Straßen sein, die nach der alten Norm zugelassen worden sind.
Die Untersuchung des Umweltbundesamtes bestätigt das Ergebnis von Tests anderer Institutionen, dass manche Motorräder und Fahrzeuge lauter sind als der Grenzwert, wenn sie etwas anders gefahren werden als im amtlichen Zulassungstest. Neu ist, wie hoch die Abweichungen sind. Die kompletten Testergebnisse will das Umweltbundesamt offiziell Ende des Jahres veröffentlichen.
Die Hersteller schieben die Schuld an dem Lärm auf ihre Kunden. „Die Geräuschemission wird a priori durch den Fahrer bestimmt“, sagte Hans-Martin Gerhard, Fachreferent Technische Vorschriften für Verkehrsgeräusche der Porsche AG, vor Kurzem bei einer Berliner Tagung des Umweltbundesamtes zum Thema. „Man kann mit jedem Fahrzeug andere belästigen.“
Ein Experte verglich das mit der Argumentation der US-Waffenlobby NRA. „Die sagen bei ihren Schnellfeuerwaffen auch immer: Nicht die Waffe ist schuld, sondern der Benutzer.“ Aber die Hersteller würden es eben ermöglichen, dass die Fahrer dermaßen hohe Lautstärken verursachen können. „Man stellt Fahrzeuge her, die nicht den Sinn des Transports erfüllen, sondern diese Möglichkeiten explizit bieten und auch so beworben werden.“
Gesundheitsrisiko Lärm
Dabei sind die Folgen von Straßenverkehrslärm gravierend. Ein Lärmpegel von 65 Dezibel ganztägig außen an der Hausfassade erhöhe das Risiko einer Erkrankung der Herzkranzgefäße, die beispielsweise zu einem Herzinfarkt führen kann, um 10 Prozent, sagte Umweltpsychologin Jördis Wothge vom Umweltbundesamt auf der Tagung. Sie beruft sich auf Berechnungskurven der Weltgesundheitsorganisation. Dem fraglichen Pegel seien in Deutschland täglich mehr als 2,5 Millionen Menschen ausgesetzt. Andere Studien zeigten einen Zusammenhang zum Beispiel mit Depressionen.
Auf der Kampagnenplattform „WeAct“ werden gerade Unterschriften gesammelt für die Petition „Motor-Lärmterror aus Wohngebieten verbannen“. Kommunen sollten ermächtigt werden, Fahrzeugen mit extra lauten Klappenauspuffen die Zufahrt zu Umweltzonen zu verbieten, heißt es in dem Appell an Bundestag und Verkehrsminister. „Alternativ sollen Grenzwerte für Lärmemissionen von Fahrzeugen in allen Drehzahlbereichen festgelegt werden, deren Überschreitung zum Erlöschen der Betriebserlaubnis führt.“ (
„Uns wird die Gesundheit genommen und wir werden enteignet“, klagte Bärbel Lehmann von der Interessengemeinschaft Müglitztal bei der Tagung. Lehmann wohnt an einer Straße nahe Dresden, die Motorradfahrer als Rennstrecke nutzen. Die Häuser der Anwohner seien wegen der Lärmbelastung fast unverkäuflich, so Lehmann. Es sei normal, dass alle eineinhalb Minuten Motorräder mit mehr als 78 Dezibel an ihrem Haus vorbeifahren. „Wenn andere sich auf Wochenende und Sonnenschein freuen, sagen wir: Herrgott, lass es regnen!“, rief Lehmann. Nur schlechtes Wetter halte die „Biker“ auf. Das Müglitztal ist kein Einzelfall: Mehrere Referenten verwiesen auf die Karte der taz mit Protesten gegen Lärm von Motorrädern und unnötig lauten Autos in Deutschland. Sie enthält bereits etwa 300 Orte.
Die EU müsse endlich einen Grenzwert von 80 Dezibel für Autos und Krafträder festlegen, der bei allen Geschwindigkeiten und Umdrehungszahlen gilt, forderte Holger Siegel, Sprecher des Arbeitskreises Motorradlärm beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, in einem auf der Tagung gezeigten Video. Dann könnten die Hersteller Autos und Motorräder nicht mehr so bauen, dass sie nur bei den im Zulassungstest relevanten Bedingungen leise genug sind. Der Baden-Württemberger fährt selber Motorrad. Er ist also nicht gegen jegliche Motorräder oder Autos, sondern nur gegen unnötig laute.
Mutwillige Lärmspitzen
Bei Porsche beißt Siegel mit seiner Forderung aber auf Granit. „80 Dezibel entspricht etwa 90 bis 100 km/h Abrollgeräusch bei Reifen, die heute durchaus gebräuchlich sind“, sagte Konzernlobbyist Gerhard. Soll heißen: 80 Dezibel seien illusorisch niedrig, weil sie allein schon durch die Reifen verursacht würden.
Motorräder würden nahezu keine Abrollgeräusche verursachen, kontert Umweltschützer Siegel. Bei Autos lasse sich dieser Faktor durch schmalere Reifen zudem deutlich reduzieren. „Das Problem, das die Bürger haben, sind nicht die Abrollgeräusche, sondern die mutwillig erzeugten Lärmspitzen“, ergänzte Siegel. Das „unnötig-krawallige Lärmen“ überlagere das Geräusch durch die Reifen bei Weitem.
Kennen Sie Orte, wo es Proteste gegen unnötigen Motorrad- und Autolärm gibt, die auf unserer Karte fehlen? Dann schicken Sie bitte Ort, Straße, Postleitzahl und Quelle (zum Beispiel Link zu einem Medienartikel) an kfzlaerm@taz.de.
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