Unwort des Jahres 2022: „Klimaterroristen“ kriminalisiert
Sprachwissenschaftler:innen küren „Klimaterroristen“ zum Unwort des Jahres. Es stelle berechtigten Widerstand in einen staatsfeindlichen Kontext.
![Eine Person mit Warnweste wird von Polizisten weggetragen Eine Person mit Warnweste wird von Polizisten weggetragen](https://taz.de/picture/6022788/14/31100628-1.jpeg)
Mit der Gleichsetzung der Klimaaktivisten mit Terrorismus würden gewaltloser Protest und demokratischer Widerstand in einen staatsfeindlichen Kontext gestellt. Der Fokus der Debatte verschiebe sich zudem von den aus Sicht der Jury „berechtigten inhaltlichen Forderungen“ zum Umgang mit den Aktivisten.
Die globale Bedrohung durch den Klimawandel gerate in den Hintergrund – das gelte auch für die Forderung der Aktivisten, die Krise durch wirksame politische Maßnahmen zu bekämpfen. Im Vordergrund stehe, wie mit den Protestierenden politisch und juristisch umzugehen sei.
Der Begriff „Klimaterroristen“ wurde in den letzten Jahren immer wieder von Politikern der AfD genutzt. Politiker anderer Parteien versteiften sich zuletzt eher auf Begriffe wie „Klima-RAF“ oder „Grüne RAF“.
Letzterer war ursprünglich von dem Klima- und LGBT-Aktivisten Tadzio Müller aufgebracht worden, der vor anderthalb Jahre zunächst in der taz für „friedliche Sabotage“ plädiert hatte und im Dezember 2021 in einem Spiegel-Interview prophezeite: „Wer Klimaschutz verhindert, schafft die grüne RAF“. Das Label löste größere Diskussionen auch in der Klimabewegung aus, war aber auch eine Steilvorlage für alle, die Klimaaktivist:innen Gewalt unterstellen wollten. Im Dezember 2022 hatte Müller in einem weiteren Interview seine Aussagen als Fehler bezeichnet.
„Sozialtourismus“ auf Platz 2
Auf Platz zwei setzte die Jury in diesem Jahr den Ausdruck „Sozialtourismus“, der 2013 zum „Unwort“ gekürt worden war. CDU-Chef Friedrich Merz hatte das Wort im vergangenen September im Zusammenhang mit Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine verwendet und sich später dafür entschuldigt. Die Jury sah in dem Wortgebrauch „eine Diskriminierung derjenigen Menschen, die vor dem Krieg auf der Flucht sind und in Deutschland Schutz suchen“. Zudem verschleiere das Wort ihr prinzipielles Recht darauf.
Auf Platz drei kam die Formulierung „defensive Architektur“, die als irreführend und beschönigend kritisiert wurde. Der Ausdruck bezeichnet eine Bauweise, die verhindert, dass sich etwa Wohnungslose länger an öffentlichen Orten niederlassen können.
Beim Unwort des Jahres werden seit 1991 nach Auffassung der Fachleute unmenschliche oder unangemessene Begriffe ausgewählt, die gegen das Prinzip der Menschenwürde verstoßen, in irreführender Weise etwas Negatives beschönigen oder diskriminieren. Die überwiegend aus Sprachwissenschaftler:innen zusammengesetzte Jury will damit insgesamt auf „undifferenzierten, verschleiernden oder diffamierenden öffentlichen Sprachgebrauch“ aufmerksam machen und Menschen für das Thema sensibilisieren.
Das „Unwort des Jahres“ wurde nach verschiedenen Kriterien aus Vorschlägen ausgewählt, die Interessierte bis zum 31. Dezember 2022 eingereicht hatten. Insgesamt gab es 1.476 Einsendungen mit 497 verschiedenen Begriffen, von denen knapp 55 den Kriterien der Jury entsprachen.
Im vergangenen Jahr wurde der Begriff „Pushback“ zum Unwort des Jahres gekürt. Damit werde ein menschenfeindlicher Prozess des Zurückdrängens von Flüchtenden an den Grenzen beschönigt, erklärte das Gremium damals zur Begründung.
2020 gab es mit „Corona-Diktatur“ und „Rückführungspatenschaften“ erstmals ein Unwortpaar. Die Unwörter der Vorjahre lauteten “Klimahysterie“ (2019), „Anti-Abschiebe-Industrie“ (2018) und “alternative Fakten“ (2017).
Vor einem Monat hatte die Jury der Gesellschaft für deutsche Sprache in Wiesbaden „Zeitenwende“ zum Wort des Jahres 2022 gekürt.
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