Umstrittenes Gedicht „avenidas“: In Rehau nicht sexistisch
Das Gomringer-Gedicht, das die Alice-Salomon-Hochschule nicht mehr haben will, hat im fränkischen Rehau eine neue Heimat gefunden.
Das Schöne am Aussortieren ist der Trost, dass eine unnütz gewordene Habseligkeit woanders noch ihren Zweck dienen möge. Das Gefühl kennt jeder, der mal einen Rührstab oder ein Rennrad verkauft oder Klamotten in die nächste Tauschecke gelegt hat. Bei einem, sagen wir, aus der Zeit gefallenen Gedicht, das nicht mehr an der Hauswand stehen soll, ist das natürlich etwas schwieriger. Man streicht weiße Farbe drüber, bis die Worte nicht mehr zu lesen sind. Fertig. Weiterzugeben gibt es da nichts. Vielleicht ist das der Grund, warum die Alice-Salomon-Hochschule so lange mit diesem Schritt gerungen hat.
Nun hat uns die oberfränkische Ortschaft Rehau eines Besseren belehrt. Dort nämlich ist seit Samstag jenes Gedicht öffentlich zu lesen, das Berliner Studierenden zu sexistisch war. Und statt feministischer Schelte bekam Dichter Eugen Gomringer dort demonstrativ den Kulturpreis des Landkreises Hof verliehen.
Zur Erinnerung: Das auf Spanisch verfasste Gedicht „avenidas“ des Halbbolivianers Gomringer beschreibt aus Sicht eines „Bewunderers“ das Geschehen auf Barcelonas Flaniermeile „Las Ramblas“. Und zwar: „Alleen und Blumen und Frauen“. Was viele an dieser Reihung stört: Frauen werden Objekten gleichgesetzt und sind offenbar nur dazu da, einem männlichen Flaneur zu gefallen.
Nach langem Hin und Her hat sich die Berliner Alice-Salomon-Hochschule entschieden, das Gedicht auf der Fassade zu übermalen und dort ein neues aufzutragen. Im Herbst sollen das Uni-Gebäude keine sexistischen Verse mehr zieren.
Touristenmagnet
In Rehau scheint man die Kritik nicht zu teilen. Dort hat Gomringers Gedicht nun an der Hauswand des lokalen Kunstmuseums eine neue Heimat gefunden. Vielleicht lockt es ja mehr Gäste in das Museum?
Mit dem „internationalen“ Werk zeige Rehau, trällert CSU-Bürgermeister Michael Abraham, dass es sich um eine „weltoffene Stadt“ handle. Zum Beweis gab’s zur feierlichen Eröffnung spanische Musik und Tapas. Davon können die Nachbarortschaften Oberkotzau und Döhlau sicher nur träumen.
Im Kern steckt aber wohl dahinter, dass Eugen Gomringer seit mehr als vier Jahrzehnten im Ort lebt – und dort das Institut für Konstruktive Kunst und Konkrete Poesie gegründet hat. Die Rehauer zeigen sich solidarisch mit ihrem geschmähten Dichter. Gut so!
Denn erstens ist, was an einer Berliner Hochschule aufstößt, in einem Provinzmuseum gern gesehen. Und zweitens kann es auch nur im Sinn der Kritiker*innen sein, dass die Kontroverse um Gomringers Gedicht auch dort geführt wird, wo emanzipatorische Kritik offenbar weniger verbreitet ist.
Für Feminist*innen ist das doch eigentlich ein tröstlicher Gedanke.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül