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Ukrainische AngriffeEin Drittel von Russlands Bomberflotte zerstört

Die Ukraine feiert ihren bislang schwersten Schlag gegen das russische Militär: Mit ferngesteuerten Angriffe auf Luftwaffenbasen im ganzen Land.

Feuer in der Region Irkutsk nach dem Beschuss Foto: Gouverneur von Irkutsk/Telkegram/ap

Kyjiw taz | „Strategische Bomber haben sich vom Flugplatz Olenja in der Region Murmansk in die Lüfte erhoben und sind auf dem Weg zu den Abschusspositionen. Die ersten Raketen werden in den nächsten Stunden in den ukrainischen Luftraum eindringen. Suchen Sie Schutzräume auf!“ Diese Alarmmeldung haben die Ukrainer in den vergangenen drei Jahren Hunderte Male gelesen. Die Luftwaffenbasis Olenja im hohen Norden Russlands ist einer der Orte, von denen aus strategische Kampfflugzeuge am häufigsten ukrainische Städte mit Iskander-, Kinschal- und anderen Langstreckenmarschflugkörpern bombardieren.

Dieser und drei weitere Flugplätze – Belaja in der Region Irkutsk, Iwanowo in der gleichnamigen Region und Djagilewo in der Region Rjasan – wurden am 1. Juni Ziel eines äußerst effektiven simultanen ukrainischen Drohnenangriffs. Militärexperten bezeichnen die „Operation Spinnennetz“ als einzigartig und sind der Meinung, dass sie in die Geschichtsbücher eingehen wird.

Der ukrainische Inlandsgeheimdienst SBU, so berichten ukrainische Quellen über den Ablauf, brachte über einen längeren Zeitraum heimlich mehr als hundert Angriffsdrohnen nach Russland. Später wurden separat flache Holzcontainer nach Russland geliefert, in die die Drohnen dann verladen wurden. Diese Konstruktionen wurden auf den Dächern mehrerer Lkws montiert, die am Tag der „Spezialoperation“ in der Nähe der Flugplätze geparkt waren.

Im Moment des Angriffs wurden die Deckel der Container ferngesteuert geöffnet und die Drohnen gestartet. Aufgrund des Überraschungs­effekts und des gleichzeitigen Angriffs auf mehrere Ziele konnten die russischen Streitkräfte nicht rechtzeitig Alarm schlagen und damit ihre Flugzeuge nicht rechtzeitig in die Luft bringen oder sie aktiv verteidigen.

117 Drohnen und Piloten beteiligt

Wie der Leiter des SBU, Generalleutnant Wassyl Malyuk, später über die Einzelheiten der Operation berichtete, waren an den Angriffen 117 Drohnen und 117 Piloten beteiligt. Jeder Pilot hatte ein klares Flugmuster und einen bestimmten Ort zugewiesen bekommen, an dem er einen bestimmten Flugzeugtyp angriff, um maximalen Schaden anzurichten. Laut dem ukrainischen Geheimdienst wurden bei der Operation etwa 40 russische Bomber beschädigt oder zerstört. Der Gesamtschaden entspricht etwa 34 Prozent der strategischen Marschflugkörperträger Russlands.

Videoaufnahmen zeigen, dass sich unter den beschädigten Maschinen die teuren Typen A-50, Tu-95, Tu-22M3 und Tu-160 befinden. Diese Flugzeuge werden in Russland nicht mehr hergestellt, sondern es werden nur noch sowjetische Modelle modernisiert. Der Gesamt­schaden wird auf etwa sieben Milliarden Dollar geschätzt, während die durchschnittlichen Kosten für eine Angriffsdrohne bei 300 bis 600 Dollar liegen.

Die Vorbereitung der „Operation Spinnennetz“ dauerte eineinhalb Jahre und wurde von SBU-Chef Malyuk persönlich geleitet. „Die Zerstörung der feindlichen Bomber ist eine Aufgabe, die uns vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gestellt wurde. Er kontrollierte persönlich den Verlauf der Operation. Es war nicht nur ein vernichtender Schlag gegen feindliche Flugzeuge, sondern auch ein schwerer Schlag ins Gesicht des russischen Regimes und dessen terroristischen Wesens“, sagte er. Die Operation sei logistisch äußerst komplex, habe in drei Zeitzonen stattgefunden – und trotzdem sei es den beteiligten Agenten gelungen, Russland ohne Verluste zu verlassen.

Malyuk betonte außerdem, dass diese Operation voll und ganz mit dem Völkerrecht übereinstimmt, da der Angriff Militärflugplätze und Kampfflugzeuge traf, die zum Beschuss friedlicher ukrainischer Städte dienen.

Ein Signal auch die Gespräche in Istanbul

Russland bestreitet die ukrai­nischen Angaben und zugleich verbreiten russische Propagandisten die These, die Ukrainer seien nicht in der Lage, eine solche Operation selbst zu planen und durchzuführen. Einige Quellen behaupten jedoch, dass die US-Regierung von der ukrainischen Seite gar nicht vorab informiert wurde.

Neben der Verringerung der russischen Fähigkeit, Raketenangriffe auf die Ukraine zu starten, hat diese Operation weitere Nebeneffekte. Ihr Erfolg ist eine Ermutigung für die ­Ukraine, während ansonsten die russischen Streitkräfte am Boden in der Region Sumy, im Frontabschnitt von Charkiw und in der Region Donezk aktiv angreifen und sich der Grenze zur Region Dnipropetrowsk nähern.

Ein schwerer Schlag ins Gesicht des russischen Regimes

Wassyl Malyuk, Chef des ukrainischen Geheimdienstes SBU

Auch vor dem Hintergrund der zweiten russisch-ukrainischen Gesprächsrunde in Istanbul am Montag war dieser Angriff wichtig. Die Teilnahme der ukrainischen Delegation sowie die Angriffe auf russische Militärflughäfen sind zwei klare Signale an Donald Trump: Einerseits zeigt die Ukraine ihr Engagement für Friedensgespräche – andererseits zeigt sie ihre „Karten“, deren Vorhandensein der US-Präsident regelmäßig abstreitet. Diese Karten sind Drohnen.

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26 Kommentare

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  • Ein toller Erfolg. Endlich mal eine Aktion des SBU, die man in vollem Umfang begrüßen und mittragen kann.

  • Chapeau!

  • DAS ist die einzige Sprache, die Putin und seine Vasallen verstehen...



    Sollte es wirklich – wie großspurig verkündet – ein Drittel der russischen Flugzeuge getroffen haben, so braucht es doch nur noch zwei weitere Schläge und die Russen sind nicht mehr verteidigungsfähig.



    Ich kann mich noch sehr gut erinnern, das Putin einen Termin für friedlichere Verhandlungen einfach hat platzen lassen.

    Bislang hat Putin die Ukraine gezwungen sich zu ducken und zu verkriechen, es wird Zeit, dass die russische Bevölkerung versteht, wie man sich dabei fühlt.



    Dabei muss angemerkt werden, dass die russische Armee ganz bewusst Krankenhäuser, Schulen kindergärten, und viele private Ziele angreift, was die Ukraine bislang immer zu vermeiden wusste.



    Während die tötungsaktionen von Putin als glorreiche kriegsgewinne dargestellt werden, wird bei jedem Defensiv-Angriff der Ukraine von Terrorismus gesprochen, – da kommt einem das Würgen.



    ... Und dann kommt zeitgleich eine Nachricht von einem "nachdenken"-Kanal, der verbreitet, die Ukraine würden friedensgespräche sabotieren und einen atomkrieg heraufbeschwören. Haben diese Idioten noch immer nicht verstanden, dass die Ukraine um ihr Überleben kämpft?

  • Respekt, ausschließlich militärische Ziele bekämpft, und dabei hauptsächlich Material, keine zivilen Opfer. Hätte nie gedacht, dass ich mich über eine militärische Aktion so freuen kann.

  • Das darf wirklich als gelungener Coup der Ukraine gewertet werden.



    Besonders gut gefällt mir auch die Tatsache, dass der Angriff tödlichen Waffensystemen galt.



    Wenn sich hingegen herausstellt, daß die Angriffe auf Bahnbrücken ebenfalls ein Anschlag war, so lehne ich die Tötung von Zivilisten stets ab, egal von welcher Seite .

    • @Philippo1000:

      Russland führt Krieg. Das bedeutet, dass man auch auf Verluste im Inland in Kauf nimmt. Die Bahnlinien sind Infrastruktur, die vom Moskauer Regime wenigstens mittelbar zum Morden in der Ukraine gentzt wird. Insofern sind auch die Angriffe darauf legitim und geboten.



      Für das Moskauer Regime wäre es so einfach, zum Frieden zurückzukehren: einfach aufhören zu morden und sich auf das völkerrechtlich anerkannte eigene territorium zurückziehen.



      Stattdessen hat das Moskauer Regime schon dem Baltikum den Krieg erklärt: Man wolle sich überall für den "Schutz" russischsprachiger Menschen einsetzen. Vermutlich beinhaltet das u.a. auch Narwa.

  • Die Grünen forderten von der Bundesregierung, von der Beschaffung und dem Einsatz bewaffneter Drohnen abzusehen (www.bundestag.de/w...hr-drohnen-812890).

    • @JeanK:

      Das war 2020. Zeiten ändern sich.

      • @MeinerHeiner:

        Ja, aber das hatten sie 2020 schon getan. Die Kapazitäten zur Produktion und zum Einsatz von Drohnen im Ukrainekrieg fielen ja nicht 2022 plötzlich vom Himmel. Wir hinken nur - einmal mehr - hinterher, weil bei zu vielen unserer Entscheider Ideologie vor Realität geht.

        • @Normalo:

          Die Grünen waren 2020 aber noch nicht in der Regierung.

          • @Captain Hornblower:

            Nicht dass ich bezweifeln würde, dass es in der politischen Praxis so gehandhabt wird, aber finden Sie wirklich, gute Opposition könne ruhig weltfremd agieren?

    • @JeanK:

      Der Link funktioniert nicht mehr.

  • Angesichts der Gesprächsrunde hätte ich ja gedacht, dass hier die Pazifisten auf die Straße gehen und einen Abschluss durch Demonstrationen unterstützen.

    Vor russischen Botschaften, vor dem Russischen Haus, ....

    Immer wurde gefordert, man müsse mit Russland reden.

    Das passiert nun, ohne dass was bei rauskommt.

    Wo sind die Friedensforscher mit ihren Ratschlägen, wie man Putin zum Einlenken kriegt?

    • @rero:

      In den letzten Jahren wurde von Ihrer Seite aus stets behauptet, Moskau sei nicht zu Gesprächen bereit.



      Nun finden Gespräche statt.



      Der Austausch von Gefangenen ist ein sehr positives Ergebnis.



      Natürlich bedarf es mehr als einem Kaffee um einen Krieg zu beenden.



      Trump und Merz haben eben keine Ahnung von Diplomatie.



      Natürlich können Verhandlungen auch scheitern.



      Es sollte allerdings Alles versucht werden, das Blutvergießen zu beenden.



      Die Aktion ist ein gelungener Coup der Ukraine. Die sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Ukraine nicht in der Lage ist, den Konflikt militärisch zu lösen.



      Wer diese Lösung präferiert, redet letztlich Putin das Wort, da dieser derzeit dabei ist, den Konflikt militärisch zu lösen.

      • @Philippo1000:

        Es finden keine Gespräche statt. Oder wie definieren Sie "Gespräch"? Es werden Moskaus Maximalforderungen vorgelegt, in immer neuen Formulierungen, die den Verhandlungsgläubigen im Westen die Sinnesverwirrung versüßen sollen. Aktuell beliebt die Formulierung "Beseitigung aller Krisenursachen", gemeint immer: die vollständige Kapitulation der Ukraine.

  • Man kann den Planer:innen der Aktion nur gratulieren. Diese Operation bringt den Menschen in den Luftschutzkellern mehr Frieden als die (hier so oft stoisch geforderte) "Diplomatie" mit Russland.

  • Russland darf ihre restlichen zwei Drittel der Bomberflotte gerne sehr bald auch noch "abrüsten". Wir müssen die dabei mit voller Kraft unterstützen.

    • @Bauer Gerry:

      1/3 ist sowieso nie einsatzbereit und der Rest hat soviele Flugstunden auf dem Buckel die wird Russland bald verschrotten müssen.

  • Wenn es in ein paar Jahren noch eine Ukraine gibt, sollten wir Leute von der Bundeswehr hinschicken, um sie an Drohnen ausbilden zu lassen.

    • @rero:

      Nicht nur an Drohnen. Das was die ukrainischen Soldaten da leisten kennen hier die meisten nur in der Theorie.

    • @rero:

      Das was die Ukrainer da vorlegen in Sachen Improvisation, Waffentechnik und Taktik wird unsere Beamtenwehr niemals erreichen.

      • @B. Iotox:

        Es ist aber ein großer Unterschied ob ich im Frieden oder im Krieg bin.

        • @Captain Hornblower:

          Hm. Ich bezweifle, dass der Unterschied ein positiver wäre. Und dass er Ukraine-Niveau erreichen würde gleich zweimal.

  • BRAVO - für David gegen Goliath!

  • Ein Drittel von Russlands Bomberflotte zerstört?



    ---



    Standing ovation!



    Ein Beispiel wie "David gegen Goliath"!



    Kleine Steine können große Lawinen auslösen!

    Weiter so, vielleicht wird P etwas merken, bzw. es wird zu teuer! Wenn WIR die Ukraine nicht "im Stch" lassen!

  • Glückwunsch an die Ukraine für die Präzise "Spezialoperation".

    Es ist erstaunlich und wichtig von der Ukraine zu zeigen, dass sie noch wehrhaft ist. Gerade bei Menschen wie Trump. Und dies haben sie beeindruckend zur Schau gestellt.