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Ukraine-Gespräche in BerlinGroßer Schritt – oder nur eine Fußnote?

In Berlin ringen Vertreter von USA, Nato und EU um die Zukunft der Ukraine. Gebietsabtretungen sollen nach wie vor auf dem Verhandlungstisch liegen.

Das Tauziehen um sein Land geht weiter, aktuell auf Berliner Bühne: Selenskyj am Montag in Berlin Foto: Christoph Soeder/dpa

Sind die Berliner Gespräche ein entscheidender Schritt zu einem nachhaltigen Waffenstillstand oder nur eine Fußnote im Ringen um ein Ende des russischen Krieges gegen die Ukraine?

Selenskyi war bereits am Sonntagmorgen nach Berlin gekommen, seitdem sind er und seine Delegation zweimal zu langen Verhandlungen mit dem US-Sondergesandten Steve Witkoff und Jared Kushner, dem Schwiegersohn von US-Präsident Donald Trumps zusammengekommen. Zunächst zum Frühstück in einem Berliner Nobelhotel, später wechselten beide Seiten auf Einladung des deutschen Bundeskanzlers ins Kanzleramt. Gastgeber Friedrich Merz zog sich später zurück. Man unterstütze die Gespräche mit Ideen und Papieren, so Merz' Sprecher Stefan Kornelius

Im Mittelpunkt der Berliner Gespräche stand der sogenannte 20-Punkte-Plan, der den Weg zu einem Ende Krieges weisen soll. Der fußt auf einem Plan, den die USA vor gut drei Wochen vorgelegt hatten und dem zufolge die Ukraine auf einen Nato-Beitritt verzichten, ihre Streitkräfte verkleinern und den gesamten Donbass an Russland abgeben sollte. Auf Drängen Kyjiws und seiner europäischen Verbündeten wurde der Plan in zentralen Punkten überarbeitet.

Doch einer der zentralen Streitpunkte bleibt nach wie vor die Abgabe der Region Donbass im Osten der Ukraine an Russland, inklusive von Gebieten, die die Ukraine bis heute hält. Medienberichten zufolge beharrten die US-Unterhändler darauf, dass die Ukraine auf diese Gebiete verzichte, offiziell bestätigt wurden diese nicht.

Die Positionen seien nach wie vor unterschiedlich, sagte Selenskyj dazu am Montagabend. Dass die USA die Ukraine zu Gebietsabtretungen aufgefordert haben, dementierte er in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Kanzler Merz: „Ich bin nicht der Meinung, dass die USA etwas verlangt haben.“

Der Donbass ist nicht nur wirtschaftlich, sondern auch strategisch von immenser Bedeutung für die Ukraine. Einer anderen russischen Forderung war Selenskyj bereits am Sonntag nachgekommen: Wenn es ausreichende Sicherheitsgarantien gebe, wäre er bereit, auf einen Nato-Beitritt seines Landes zu verzichten. Am Montag allerdings folgte das Dementi: Entsprechende Medienberichte seien „nicht wahr“, sagte ein mit den Verhandlungen Vertrauter der Nachrichtenagentur afp.

Die Frage nach Sicherheitsgarantien bleibt also ein wichtiger Knackpunkt. Wer sichert einen Waffenstillstand ab und gebietet Putin Einhalt, falls diesem nach weiteren ukrainischen Territorien gelüstet? Europäische Truppen, US-Soldaten, die Nato oder doch allein die ukrainische Armee?

Das ist der Hebel, den die Europäer anwenden können, um in diesem Krieg Einfluss zu nehmen.

Regierungssprecher Stefan Kornelius zu den eingefrorenen russischen Vermögen

Ob Berlin dabei mitreden kann, ist eng mit der Frage nach der Nutzung der eingefrorenen russischen Vermögen für die weitere militärische Unterstützung der Ukraine verbunden. Regierungssprecher Stefan Kornelius unterstrich am Montagvormittag noch einmal, wie wichtig eine europäische Einigung in dieser Frage sei. „Das ist der Hebel, den die Europäer anwenden können, um in diesem Krieg Einfluss zu nehmen,“ sagte Kornelius. Er erwarte, dass die Europäer dem Vorschlag des deutschen Bundeskanzler folgen: Europas Glaubwürdigkeit stehe auf dem Spiel.

Merz' Vorschlag sieht vor, dass die EU einen Teil der russischen Zentralbankgelder in Höhe von insgesamt rund 200 Milliarden Euro als sogenannte Reparationsdarlehen für die finanzielle Unterstützung der Ukraine nutzt. Unter den EU-Ländern ist unter anderem Belgien, Sitz des Finanzdienstleisters Euroclear, wo das Geld gebunkert ist, gegen diesen Plan. Man fürchtet finanzielle und rechtliche Vergeltung von Moskau. Doch auch andere Mitgliedstaaten haben Bedenken angemeldet.

„Demonstration der Geschlossenheit“?

An einer Einigung sollte am Montagabend weiter gearbeitet werden. Dafür sollten zu einem Treffen zwischen Merz und Selenskyj weitere Gäste stoßen, darunter EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Nato-Generalsekretär Mark Rutte, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Unter anderem letztere galt es noch zu überzeugen, damit von den Berliner Gesprächen tatsächlich, wie vom Kanzleramt gewünscht, „eine Demonstration der Geschlossenheit“ ausgeht.

Unklar blieb bis zuletzt, ob die beiden amerikanischen Unterhändler zum Abendessen im Kanzleramt blieben. „Die Einladung steht“, sagte Kornelius am Mittag diplomatisch. Ein Ziel der Gespräche in Berlin sei es, den Amerikanern klar zu machen, dass bei den Verhandlungen um die Ukraine auch europäische Interessen auf dem Spiel stehen. Dabei sei die Frage der Sicherheitsgarantien für die Ukraine zentral. Sie entscheide darüber, „ob der Krieg tatsächlich zu einem Stillstand kommt oder wieder aufflammt“.

Unterdessen lehnt eine große Mehrheit der Ukrai­ne­r*in­nen die russischen Bedingungen für ein Friedensabkommen ab. Das geht aus einer am Montag veröffentlichten Umfrage des Kiewer Internationalen Instituts für Soziologie (KIIS) hervor. Demnach sind für drei Viertel der Befragten russische Forderungen nach Gebietsabtretungen, Verzicht auf Sicherheitsgarantien oder Obergrenzen für die ukrainische Armee völlig inakzeptabel. 72 Prozent der Ukrai­ne­r*in­nen wären demnach zu einer Vereinbarung bereit, die die derzeitige Frontlinie als Grenze zwischen den ukrainischen und russischen Herrschaftsbereichen festlegt und einige Kompromisse enthält.

Die Frage wird nun sein, wie Russland eingebunden wird – dort zeigt man bisher keine Bereitschaft zu verhandeln. US-Präsident Donald Trump kündigte an, noch am Montagabend mit Selenskyj und europäischen Spit­zen­po­li­ti­ke­r*in­nen telefonieren zu wollen. Insbesondere in der Frage der Sicherheitsgarantieren ist man offenbar vorangekommen: Die USA seien bereit, Sicherheitsgarantien zu geben, die Artikel 5 der Nato, also der Beistandsverpflichtung, entsprächen, sagte Selenskyj am Abend.

Kanzler Merz sagte auf Nachfrage, ein Waffenstilland solle durch substantielle materialle und rechtliche Garantien sowohl der USA und der Europäer abgesichert werden. „Die Ukraine wird dadurch auf Dauer verteidigungsfähig nicht nur aus eigener Kraft sondern auch mit Unterstützung der verbündeten Staaten“. Was die USA zudem „an rechtlichen und materiellen Garantien auf den Tisch gelegt haben ist wirklich beachtlich“, sagte Merz weiter – ohne allerdings ins Detail zu gehen. Er räumte ein, dass man noch lange nicht am Ziel sei. „Diese Verhandlungen sind das Bohren dicker Bretter. Russland spielt auf Zeit und setzt seinen Angriffskrieg fort.“ Gleichwohl strich er die „große diplomatische Dynamik“ heraus, die man in den vergangen zwei Tagen erlebt habe. Man habe „jetzt die Chance auf einen echten Friedensprozess für die Ukraine“.

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8 Kommentare

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  • "Sind die Berliner Gespräche ein entscheidender Schritt zu einem nachhaltigen Waffenstillstand oder nur eine Fußnote im Ringen um ein Ende des russischen Krieges gegen die Ukraine?"



    Letzteres. Solange Putin keinerlei Anzeichen gibt, vielleicht zumindest in Teilen zustimmen zu wollen, ist das Staub im Wind.



    Und der Donald wird nichts daran ändern.

  • Europa spielt da keine ernsthafte Rolle.



    Europa tut mal wieder so, als ob es in diesem Friedensprozess irgendetwas zu melden hätte. Hat es aber nicht, genau so wenig wie beim Friedensprozess Israel.



    Dieser Deal läuft zwischen den USA und Russland. Europa spielt da keine Rolle, tut aber so, als ob es etwas mitzureden hätte.

  • Wenn sie schon mit ihren Verbündeten so hart verhandeln müssen, dann brauchen die Ukrainer:innen keine Feinde mehr.

    Offenbar ist niemand mehr bereit, wirklich Ressourcen in diesen Krieg zu investieren. Warum sonst scheuen sich die Europärer



    wie der Teufel vor dem Weihwasser vor Eurobonds zur Finanzierung der Ukraine? Klar, keiner weiß, ob wir das Geld je wiedersehen. Aber angeblich sind die Kosten eines russischen Sieges doch vollkommen unüberschaubar. Zu günstigen Konditionen wird man einen russischen Nichtsieg (und nur darum geht es) aber nicht bekommen.

  • "....dort [in Russland] zeigt man bisher keine Bereitschaft zu verhandeln."



    Genau das ist doch der Punkt!



    Worum ging es also in den Verhandlungen?



    Ging es überhaupt um die Ukraine oder nur darum, dem US-Präsident zu schmeicheln, indem man der Ukraine Zugeständnisse in Sinne von "dessen" (und Putins) 28-Punkte-Plan abringt - Trump seinen Deal zu verschaffen und ihn dadurch davon abzuhalten, sich abzuwenden oder wieder die Zollkäule zu schwingen?



    Ging es - ganz nebenbei - dem blassen Merz darum, sich als großer europäischer Anführer zu profilieren?



    Selenskyj tut gut daran, vorsichtig zu sein, die Interessen seines Landes im Auge zu behalten und sich nicht auf vage Versprechungen einzulassen. Mit Versprechungen, an die sich niemand zu halten gedenkt, und mit Verträgen, die das Papier nicht wert sind, auf denen sie stehen, hat die Ukraine schließlich reichlich Erfahrung.



    Der Blitzlichterglanz und der unkritische Medienrummel sollten den klaren Blick nicht trüben!



    Vieles ist doch sehr durchschaubar.



    Hier kochen viele Köche ihr höchst eigenes Süppchen.

  • Kanzler Merz strich die „große diplomatische Dynamik“ der Gespräche von Sonntag und Montag heraus. So ein Nonsense! Diese Verhandlungen sind genauso dynamisch wie ein Hamster in seinem Rad. Der denkt auch, er kommt gut voran, dreht sich aber dabei nur im Kreis.

  • Einen Waffenstillstand fordern diejenigen, die Zeit fuer Regrupierung und Aufruestung brauchen, um dann den Krieg fortzusetzen. Derjenige, der im Krieg die Oberhand hat, will einen solchen Waffenstillstand nicht, da er nur dem Gegner nuetzt.



    Will man denjenigen, der die Oberhand hat, davon ueberzeugen den Krieg zu beenden, muss man ihm einen Friedensvorschlag machen, der nahe an seinen Kriegszielen ist, sonst wird er den Krieg so lange fortsetzen, bis die Kriegsziele erreicht sind.

    Zur Zeit debattieren in Berlin der Unterlegende und seine Unterstuetzer ueber die Friedensbedingungen. Das ist schoen. Aber nicht der Unterlegende bestimmt die Bedingungen fuer Frieden, sondern der Ueberlegende - oder anders ausgedrueckt: Der Koeder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler.

    Die EU wird jetzt erstmal der Welt zeigen, dass sie internationales Recht nach Gutduenken bricht und man in der EU besser kein Geld investiert oder anlegt. Dann werden sie stolz aufgrund dieser Leistung jubeln, ihre Forderung an Russland stellen und mit Waffenlieferung und Sanktionen drohen. Man hoert ein kleines Plumbs von dem umfallenden Sack Reis in China und der Krieg geht weiter.

    • @elektrozwerg:

      Russland will die Kapitulation der Ukraine darunter machen sie es nicht.

  • Wenn für Dreiviertel der ukrainischen Bevölkerung Gebietsabtretungen inakzeptabel sind braucht es auch keine Verhandlungen mit Russland mehr.

    Es ist generell schwer zu verstehen, das hier demokratische Rechtsstaaten über Maßnahmen diskutieren die gegen das Völkerrecht verstoßen.

    Wäre gut, wenn zumindest die Europäer sich rechtzeitig darauf besinnen, das auch sie nicht über der Rechtsordnung stehen und rechtswidrige Maßnahmen gar nicht durchsetzen können, ohne persönliche Verantwortung dafür zu übernehmen.

    Sich von Miniaturdiktatoren a la Trump oder von Despoten wie Putin die rechtswidrigen Regeln diktieren zu lassen, stellt eine größere Gefahr für die Stabilität Europas dar, als eine potentielle Konfrontation mit Russland.

    Oberst Priorität muss sein die internationale Ordnung aufrecht zu erhalten und dazu gehört auch das Völkerrecht zu achten und nicht die Kooperation mit jenen Kräften, welche diese Ordnung beseitigen wollen.

    Das wäre besonders für Europas Zukunft ein schlechter Deal.