US-Handel mit Erdgas: Kauft! Unser! Gas!
Die USA schwimmen in flüssigem Erdgas. Gut und günstig soll es sein. Und es muss weg. Droht eine neue Energiekrise durch ein Zuviel an Energie?
Was hier im Besucherzentrum der Firma Freeport LNG auf Quintana Island an der Südküste von Texas qualmt, ist flüssiges Erdgas (LNG), abgekühlt auf minus 163 Grad Celsius, das an der Luft verdampft. Vu, ein junger Ingenieur mit einer Begeisterung für technische Wunder, hat alle seine Tricks gezeigt: das gekühlte Gas aus einer Thermoflasche auf den Boden gegossen und dabei verdampfen lassen, eine Rose schockgefroren und dann eine brennende Zigarette in einem Glas mit der Flüssigkeit ausgedrückt. Zum Schluss hebt er das Glas, in dem sich das Gas-Wasser-Gemisch befand, an den Mund und trinkt das verbliebene Wasser in großen Schlucken aus. Die Botschaft ist deutlich: Unser Gas ist sauber. Unser Gas ist sicher. Kauft unser Gas!
Der flüchtige Stoff befeuert gerade eine Revolution in der weltweiten Energiepolitik. Er macht die USA zur Rohstoffsupermacht, die die Welt mit billigem fossilem Brennstoff überflutet – nicht per Pipeline, wie die umstrittene Nordstream-2-Leitung durch die Ostsee, sondern über riesige Kühlschiffe, für die in Freeport ein Hafen entsteht. Das Gas sorgt je nach Blickwinkel für neue Hoffnung oder düstere Vorahnung im Klimaschutz. Es bringt neue Spannungen zwischen den USA und Russland und beeinflusst den Handelskrieg mit China. Und es führt zur schwersten Krise seit Langem im deutsch-amerikanischen Verhältnis.
Der Streit über Nordstream 2 hat die Beziehungen zwischen Washington und Berlin deutlich abgekühlt (siehe Kasten). In den USA selbst ist der Gasrausch vor allem ein Multimilliardengeschäft, das von der Regierung, den Bundesstaaten und der Industrie mit Macht vorangetrieben wird. Aber jetzt leidet der Boom unter seinem eigenen Erfolg. Es droht eine Energiekrise der ganz besonderen Art: nicht wie sonst, wenn die Preise für Öl und Gas rasant steigen, sondern weil Gas zu billig wird. Es braucht dringend neue Märkte.
Das Projekt: Der größte Streit zwischen Deutschland und den USA wird derzeit in der Ostsee ausgetragen: Die Gaspipeline „Nordstream 2“ soll über gut 2.500 Kilometer jährlich 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus Sibirien nach Deutschland bringen – parallel zur ersten Gasleitung, „Nordstream 1“, die seit 2011 liefert. Das 10-Milliarden-Euro-Projekt wird von einem Konsortium finanziert, dem neben dem russischen Staatskonzern Gazprom die Unternehmen Wintershall, OMV, Shell und Engie angehören. Vorsitzender des Verwaltungsrats ist Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD). „Nordstream 2“ soll bis Ende des Jahres fertig sein. Noch stehen allerdings letzte Genehmigungen in Dänemark aus.
Der Widerstand: Das Projekt stößt seit langem auf Kritik: Die Ukraine befürchtet, Russland wolle das Land von der Gasversorgung und den Transitgebühren abschneiden. Die EU-Kommission, die das Projekt ablehnt, hat ihre Regeln so geändert, dass auch andere Anbieter die Pipeline benutzen können und eventuell Gazprom sie nicht mehr betreiben dürfte. Umweltschützer wehren sich gegen die Eingriffe in die Natur und die Festlegung auf Gas als fossilen Brennstoff. Am stärksten sind seit Langem die Bedenken in den USA: „Nordstream 2“ destabilisiere die Ukraine und Osteuropa und mache Deutschland und Europa durch Russland erpressbar. Die Regierung droht mit „Reaktionen“ für den Fall, dass die Leitung fertiggestellt wird.
Exportieren um fast jeden Preis
Auf der Baustelle in Freeport heißt die Devise daher: exportieren, fast um jeden Preis. Jenseits des brackigen Bazos River schlummert das Städtchen Freeport in der schwülen Hitze der texanischen Golfküste. Es ist eine gesichtslose Ansammlung von bescheidenen Holzhäusern zwischen Palmen und blassgrünem Rasen, die drei Meter hohe Stelzen gegen die Fluten des nahen Ozeans schützen. Auf der Baustelle wachsen drei riesige Kühlanlagen aus verschlungenen silbernen Röhren aus dem Boden, die das Gas aus der Pipeline zu flüssigem LNG herunterkühlen sollen. Männer in neongelben Warnwesten stapfen in der grellen Sonne durch den weißen Staub, Bulldozer brummen. Drei riesige Tanks aus Beton ragen bereits neben dem Deich aus dem Boden. Jenseits des Zauns fliegen Pelikane, und immer wieder schaffen es Alligatoren durch die Absperrung, erzählen Arbeiter.
13 Milliarden Dollar pumpt Freeport LNG hier in den sumpfigen Boden, um aus einem elf Jahre alten Importhafen für Gas ein Exportterminal zu machen. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit und die Konkurrenz, aber Freeport LNG liege gut im Rennen, sagt John Tobola, Vizepräsident des Unternehmens. „Im September wollen wir die ersten Schiffe losschicken.“
Wohin sie dann fahren sollen, ist die große Frage. An der Küste von Texas und Louisiana ist die Antwort derzeit etwa 100 Milliarden Dollar wert – so viel wird an privatem Kapital in neue Häfen, Pipelines und Kraftwerke investiert. Und sie hängt auch davon ab, ob es gelingt, Deutschland und die übrige EU dazu zu bringen, das Gas aus Freeport und anderen US-Häfen zu kaufen.
USA schwimmen in Rohstoffen
Daran arbeitet Barry Worthington. Der ältere Herr sitzt etwa 2.000 Kilometer von Freeport entfernt in einem bequemen Bürosessel in der US-Hauptstadt Washington. Er leitet die kaum bekannte Vereinigung USEA, einen Lobbyverband der US-Energiewirtschaft mit guten Drähten zur Regierung.
Worthington ist der Typ netter Onkel: dunkler Anzug, weißes Hemd, blau gestreifte Krawatte, graue Haare, er sitzt ruhig am Tisch, die Hände gefaltet, und erzählt mit tiefer Stimme vom „Technologiewunder“, das den USA und der Welt unbegrenzte billige Energie schenke: Neue Bohr- und Erkundungstechniken, das „Fracking“, haben eine Revolution in der Öl- und Gasindustrie gebracht. Die USA, noch vor einem Jahrzehnt kurz vor einer Öl-und Gasknappheit, schwimmen jetzt in den Rohstoffen. Worthington schwärmt: „Wir haben uns vom Zeitalter der Energieknappheit auf ein Zeitalter der Energie im Überfluss zubewegt.“
Wenn Worthington „Energie“ sagt, meint er Öl und Gas. Die US-Regierung macht bei jeder Gelegenheit klar, dass die Zukunft in Kohle, Öl und Gas liegen sollte. Aber sie ist flexibel: Den Europäern, die immer nach diesem Klimading fragen, verkauft sie das Flüssiggas mit einem Öko-Argument: „Unser Gas ist ein Beitrag zum Klimaschutz, denn es ersetzt die Kohle und reduziert die Emissionen.“
Nicole Ghio vom US-Umweltverband Friends of the Earth
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
In den USA hat das bisher auf dem Papier gut geklappt. Die offizielle Reduktion der Treibhausgase um 14 Prozent gegenüber 2005 geht zum Großteil auf das billige Gas zurück, das die Kohle verdrängt hat. „Wir nehmen die Klimaziele sehr ernst“, sagt Worthington. Ein paar Tage zuvor hat der Chef der Umweltbehörde EPA gesagt, Klimaschutz gehöre nicht zu seinen Prioritäten. Und die US-Umweltverbände laufen Sturm gegen den Kurs auf immer mehr Gas, der schon unter der Obama-Regierung begonnen hat.
„Es ist ein Märchen, dass Gas eine saubere Energie und eine Brücke ins Zeitalter der Erneuerbaren ist“, sagt etwa Nicole Ghio von Friends of the Earth in San Francisco am Telefon. Gas erzeugt im Vergleich zu Kohle bei der Verbrennung zwar nur halb so viel CO2, aber aus den Quellen und Leitungen geht viel Methan verloren, was die Bilanz wieder trübt – eine Gefahr, vor der auch das deutsche Umweltministerium warnt. Die USA könnten durch bessere Kontrolle des Gassystems also deutlich mehr für den Klimaschutz tun – aber diese Regeln hat die Trump-Regierung gerade aufgeweicht.
„Die umfangreichen Investitionen in die Gas-Infrastruktur legen für weitere Jahrzehnte die fossilen Strukturen fest“, warnt Ghio. Anders als von Regierung und Industrie behauptet, sei Gas deshalb kein Freund der Erneuerbaren, sondern verhindere einen echten Umbau des Energiesystems. „Statt eine stabilere Welt zu garantieren, führen mehr LNG-Exporte zu einer instabileren Welt“, kritisieren in einem offenen Brief etwa 150 Umwelt- und Sozialverbände ein Gesetz, mit dem der Kongress den LNG-Export subventionieren will.
Und eine aktuelle Studie der Forschungsgruppe Global Energy Monitor warnt vor dem weltweiten Boom von LNG aus finanzieller und ökologischer Sicht: Würden die Projekte für weltweit mehr als 500 Milliarden Dollar umgesetzt, wäre der Einfluss auf die Erderhitzung „so groß oder größer als der durch den geplanten Ausbau der weltweiten Kohlekraftwerke“, heißt es da. Und weil erneuerbare Energien günstiger werden, steige das Risiko, dass sich diese Investitionen nicht auszahlen.
Umwelt-Studien ohne Effekt
Fragt man Barry Worthington nach diesen Studien, kennt er sie nicht oder tut sie ab. Lieber setzt er ein paar Spitzen gegen die Deutschen, die viel Geld in Ökoenergien stecken, hohe Strompreise zahlen und ihre CO2-Emissionen nicht senken – und sich auch noch abhängig machen von Russland. Deutschland brauche amerikanisches statt russisches Gas aus der neuen Nordstream-2-Pipeline, die gerade in der Ostsee fertiggestellt wird. „Anders als Russland hat die amerikanische Regierung keinen Einfluss auf die Gaslieferungen aus unserem Land“, sagt Worthington. „Wir haben noch nie Energie als politische Waffe eingesetzt.“ Im Gegensatz zu Russland, das bei der Ukraine gern an der Gaszufuhr drehe, um politischen Druck auszuüben.
In Washington geht das andersherum: Eine Woche vor diesem Gespräch hat US-Energieminister Rick Perry in Brüssel indirekt mit Zöllen auf Autos gedroht, sollte die EU künftig nicht mehr US-Gas kaufen. Und zwei Wochen nach diesem Gespräch bringen Demokraten und Republikaner im US-Kongress ein Gesetz ein, das Sanktionen für europäische Firmen vorsieht, die an Nordstream 2 beteiligt sind. So verfeindet die politischen Lager in Washington sonst auch sind – in ihrem Widerstand gegen Nordstream 2 sind sie sich einig.
Das explosive Thema ist der US-Administration unter Präsident Donald Trump, der sich gern mit der neuen „Energiedominanz der USA“ brüstet, sehr wichtig: Die Regierung hat eine kleine Gruppe deutscher Journalistinnen und Journalisten eingeladen, um sie über ihre LNG-Politik zu informieren. Sie hat hochrangige Gesprächspartner im Außen- und Energieministerium organisiert, fliegt ihre leitenden Beamten für Interviews ein, ermöglicht Besuche auf sonst gesperrten Anlagen, organisiert Treffen mit Lobbygruppen für Öl, Gas und Atomkraft und einer Umwelt-NGO, die die Gasindustrie grüner machen will. Auch die meisten Besuche und Interviews für diesen Artikel kamen so zustande.
Dabei nimmt es die US-Seite mit den Fakten nicht immer sehr genau: USEA-Chef Worthington etwa behauptet, die deutschen CO2-Emissionen hätten wegen des Atomausstiegs zugenommen, was nicht stimmt. Ein Vertreter der Gaslobby behauptet, Europa brauche dringend neue Häfen für seine Gasversorgung, aber die EU und Experten in Europa rechnen damit, dass die Kapazitäten völlig ausreichen. Der US-Botschafter für die EU sagt voraus, Europa werde in der Zukunft zum „größten Käufer von US-LNG“, wogegen Experten Asien als den Hauptabnehmer sehen. Und immer wieder behaupten US-Offizielle, etwa im Energieministerium, „die USA führen weltweit bei der Reduktion von Klimagasen“. Das aber stimmt nur für die absoluten Zahlen: Prozentual und pro Kopf sind andere Länder, auch Deutschland, beim Klimaschutz weitaus erfolgreicher.
Macht, um Deals zu erzwingen
Der Tenor und die Argumente ähneln sich überall: Wir haben das Gas, wir investieren viel Geld – es wäre klug, ihr würdet auf unser Gas setzen. Aber das ist nicht so einfach. Denn russisches Gas kostet in Deutschland derzeit etwa 5 Dollar pro Einheit und damit knapp die Hälfte der US-Importe per Schiff. Um diese ökonomischen Argumente zu entkräften, arbeitet die Trump-Regierung mit Druck. Wie in anderen Handelsfragen auch könnten die USA über die Drohung mit Zöllen und Sanktionen einen Deal erzwingen. Bereits im letzten Sommer hat EU-Kommissionspräsident Juncker im Zollstreik zugesagt, dass die EU die Gas-Importe steigern werde. Seitdem haben sie sich auf niedrigem Niveau verdreifacht.
Für die harte Haltung der USA gibt es einen guten Grund: Der Druck auf die Gasindustrie steigt und steigt. Die Frackingrevolution ersäuft ihre Kinder in billigem Gas. Die revolutionäre Technologie spült vor allem im Westen von Texas so viel Öl und Gas an die Oberfläche, dass es zu einem billigen Nebenprodukt wird. Die Industrie steht vor der Wahl: Flüssig oder überflüssig? „Der Export von Gas ist für uns kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit“, bestätigt Bob Harvey, Chef der Wirtschaftskammer in Houston. Das überflüssige Gas könne man nicht mehr wie früher einfach abfackeln, das verhindern Umweltgesetze und die öffentliche Meinung. Aber immer mehr Gas könne den amerikanischen Gasmarkt durch Niedrigpreise ruinieren. „Die Antwort auf unser großes Angebot ist die globale Nachfrage“, sagt Harvey.
Doch da gibt es gerade das nächste Problem: Weil die USA den Handelskrieg mit China eskalieren, belegt das asiatische Land – ein weitaus größerer Markt als Europa – die Importe aus den USA mit 25 Prozent Zöllen. Auch die Trump-Freunde in den Energiekonzernen zeigen sich da „tief besorgt“.
Eine Energiekrise durch ein Zuviel an Energie? Umso wichtiger werde Europa, sagt David Dismukes, Professor und Direktor des Zentrums für Energiestudien an der Louisiana State University in Baton Rouge. Die Hauptstadt von Louisiana liegt am Mississippi, 200 Flusskilometer vom Meer entfernt. Aber der Strom ist mächtig und tief genug, um Ozeanschiffe hierherzutragen. Der Hafen und die Chemie sind wichtig, Baton Rouge ist Regierungsstadt, während im bekannteren New Orleans 100 Kilometer flussabwärts das Leben tobt.
David Dismukes, US-Energieexperte
„Europa ist ein verlässlicher Markt mit solventen Käufern und einem funktionierenden Rechtssystem“, sagt Dismukes. „Das ist, als mache man mit seinem Cousin Geschäfte.“ Den Europäern sei nur nicht richtig bewusst, wie stark ihre Stellung gegenüber den USA sei. „Es ist eindeutig ein Käufermarkt. Wir sind von euch mindestens so abhängig wie ihr von uns.“
Dismukes ist an diesem Freitag im Mai für ein Treffen ins Büro gekommen, obwohl draußen ein tropischer Wolkenbruch den Campus der Uni überschwemmt. Blitze zucken, der Donner rollt, die Pfützen umgeben das Gebäude wie ein Wassergraben. Dismukes zieht seine gelbe Regenjacke aus, er sitzt in schwarzem Polohemd und braunem Raulederjackett am Tisch, die Jeans stecken in Cowboystiefeln. Er erinnert ein bisschen an den Schauspieler John Belushi, redet schnell, gestikuliert viel und lacht laut. Sein Institut wird vom Ölstaat Louisiana und von der Energieindustrie finanziert, aber er redet dennoch offen.
„In Texas gibt es jetzt ab und zu negative Preise für Gas: Sie bezahlen dich dafür, dass du es ihnen abnimmst“, sagt Dismukes. „Niemand dort will Gas, sie wollen es nur loswerden.“ Von den geplanten Projekten für Gasexporte werde höchstens die Hälfte realisiert, ist er überzeugt. „Aber auch das wären noch Investitionen von 50 Milliarden Dollar.“ Er sei kein Experte für Geopolitik, sagt Dismukes, aber dass Russland als „böser Bube“ dargestellt werde, „das hat schon damit zu tun, dass wir in Europa Marktanteile stehlen wollen.“
Der jährliche Energiebericht aus seinem Institut sagt voraus, die „Energie-Zukunft der Golfküste liegt nicht mehr in der Versorgung des heimischen Marktes, sondern darin, die Welt mit Energie und Chemieprodukten zu versorgen“. Wird das billige Gas nicht exportiert, wird es in der Chemieindustrie verfeuert oder als Grundstoff für Kunststoffe eingesetzt, meint Dismukes. „In den letzten acht Jahren sind allein in Louisiana 65 Milliarden Dollar in die Petrochemie geflossen, 150 Milliarden an der ganzen Golfküste. Jeder einzelne Dollar davon hat seinen Grund in dem billigen Gas.“
Umwelt und Bewohner leiden
3,1 Milliarden dieser Dollars hat der koreanische Chemiekonzern Lotte Chemical in Louisiana investiert. In Lake Charles, 200 Kilometer westlich von Baton Rouge, ist an diesem Tag offizielle Eröffnung eines weiteren, riesigen Chemiewerks. Auch hier geht auf das Festzelt ein Wolkenbruch nieder, der die dröhnende Musik des Imagefilms teilweise übertönt. Während draußen im sumpfigen Wald schwüle Saunastimmung herrscht, feiern die Investoren im gut gekühlten Zelt mit eiskalten koreanischen Softdrinks ihren Erfolg.
Der Imagefilm zeigt den Bau der riesigen Anlage zur Produktion von Monoethylenglycol, einem Grundstoff der chemischen Industrie für Papier, Textilstoffe, Anstriche oder Klebstoff und Asphalt: Im Zeitraffer richtet ein riesiger Kran die mächtige turmhohe Anlage des „Cracker“ auf, der aus Gas Kunststoff macht. Der Premierminister von Korea ist extra angereist und lobt die größte Auslandsinvestition seines Landes, US-Präsident Trump zeigt sich per Grußwort begeistert und Lotte-Chef Doug-Bin Shin preist die guten Bedingungen in Louisiana und die „reichlich vorhandenen natürlichen Ressourcen“. Er meint damit nicht den Sumpf und den Wald, sondern das billige Gas.
Die Lotte-Fabrik fügt sich nahtlos ein in die Landschaft rund um Lake Charles. Die Stadt an dem Inlandssee, die durch ein sumpfiges Schwemmland mit seltenen Bäumen und Tierarten und durch einen Kanal mit der Golfküste verbunden ist, reiht eine petrochemische Anlage an die nächste; überall stehen große Tanks, chemische Anlagen, Pipelines, nur unterbrochen von Spielkasinos, wo die Angestellten das Geld aus den gut bezahlten Jobs wieder loswerden können. Allerdings gibt es in der kapitalintensiven Industrie nur wenige dauerhafte Jobs: Die 3,1 Milliarden schaffen nur 250 permanente Arbeitsplätze im Lotte-Werk. Dazu kommt: Louisiana lockt mit Steuernachlässen und schlampigen Umweltkontrollen.
Umwelt und Bewohner zahlen dafür einen hohen Preis. Das hat die US-Soziologin Arlie Russell Hochschild 2016 eindrucksvoll in ihrem Buch „Strangers in Their Own Land“ beschrieben. Hochschild wohnte lange in Lake Charles, interviewte die Bewohner, gewann als Linke viele Freunde unter den extrem konservativen Einwohnern. Ihr Fazit: Louisiana belegt den letzten Platz unter den US-Staaten, was die Gesundheit seiner Bürgerinnen und Bürger angeht, Platz zwei bei den Krebserkrankungen von Männern, bezieht 44 Prozent seines Staatseinkommens aus Bundesmitteln. Die Gegend um Lake Charles ist nach den Daten der Umweltbehörde EPA eine der am stärksten mit Umweltgiften verseuchten Regionen der USA, acht von neun Gewässern gelten als „belastet“, die Bewohner gehen nicht mehr schwimmen und essen von den Fischen nur kleine Teile. 18 Prozent der Bevölkerung lebten 2014 unter der Armutsgrenze, etwa so viele wie vor dem Boom.
Trotzdem konnte Hochschild kaum Ökoproteste feststellen. Es gebe „starke Verschmutzung und starken Widerstand dagegen, die Verschmutzung einzudämmen“, schreibt sie. Und die Vertreter der örtlichen Wirtschaft preisen bei einem Treffen die Vorzüge von Lake Charles an, wo gerade überall neue Chemieanlagen und Terminals für den Export des billigen Gases in die ganze Welt gebaut werden: Vollbeschäftigung, gute Aussichten und „keine Umweltschützer“, wie ein Berater sagt. Er fügt noch scherzhaft hinzu: „Das soll auch so bleiben. Zeigen Sie denen nicht, wo auf der Karte wir zu finden sind.“
Die Recherche für diesen Text wurde teilweise durch eine Besichtigungstour auf Einladung des US-Außenministeriums ermöglicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos