UNO schlägt erneut Klima-Alarm: Bis zu fünf Grad mehr in der Arktis
Selbst wenn der CO2-Ausstoß drastisch sinkt, wird das Eis am Nordpol weiter schmelzen. Das bedroht nicht nur die Arktis, sondern den ganzen Planeten.
Die Arktis steht nach einem neuen Bericht der UNO vor einer drastischen Erwärmung und tiefgreifenden Veränderungen. „Selbst wenn die jetzigen Versprechen der Länder zum Klimaschutz eingehalten werden, werden sich die Temperaturen über dem arktischen Ozean bis Mitte des Jahrhunderts um 3 bis 5 Grad Celsius erhöhen“, heißt es dem Bericht „Global Linkages“, den das UN-Umweltprogramm Unep veröffentlicht hat. Weil der Permafrostboden auftaue und weitere Treibhausgase freisetze, sei das Ziel des Pariser Klimaabkommens gefährdet. „Die Veränderungen in der Arktis nehmen deutlich an Geschwindigkeit zu, und das hat globale Auswirkungen auf uns alle“, erklärte die geschäftsführende Generalsekretärin der Unep, Joyce Msyuya im Vorwort des Berichts.
Die Erwärmung in den nördlichen Polargebieten geht deutlich schneller als im weltweiten Durchschnitt. Während sich die globale Atmosphäre seit 1880 bisher um 0,8 Grad Celsius erwärmt hat, steigen die Temperaturen in der Arktis doppelt so schnell an. Schon bis 2050, so „Global Linkages“, werden sie im Winter um 3 bis 5 Grad steigen – selbst dann, wenn sofort mit drastischen Reduzierungen bei den Emissionen begonnen werde.
Die erste Version des Berichts hatte für Verwirrung in der Fachwelt geführt. Denn darin war behauptet worden, eine Erwärmung um bis zu 9 Grad Celsius sei nicht mehr zu vermeiden, selbst wenn das Pariser Abkommen erfüllt werde. Ein „Faktentcheck“ der Internetseite „CarbonBrief“ hatte allerdings darauf hingewiesen, dass diese Rechnung nicht zu halten ist. Denn sie stützte sich auf Modellrechnungen, die den höchsten möglichen CO2-Ausstoß berechneten und vernachlässigten, dass das Pariser Abkommen von den Staaten fordert, die globale Erwärmung bei „deutlich unter 2 Grad“ zu halten und 1,5 Grad anzustreben. Weil auch die taz diese drastischen Warnungen der Unep zitiert hatte, wurde dieser Artikel nachträglich geändert.
Zwischen 1982 und 2011 ging die Zahl der Tage mit Schnee auf dem Boden im eurasischen Teil der Polgebiete um 12,6 Tage im Jahr zurück. Das arktische Meer reagiere auch besonders anfällig gegenüber einer Versauerung durch die Aufnahme von CO2. Da es kälter sei und mehr Süßwasser durch geschmolzenes Eis enthalte als andere Meere, binde es mehr Kohlenstoff und versauere die Lebensräume von Korallen, Mollusken und Plankton.
„Ein schlafender Riese erwacht“
Die Erwärmung ist laut Unep-Bericht in Teufelskreisen gefangen: Weniger Schnee und Eis bedeuten mehr dunkle Land- und Meeresgebiete, die sich stärker aufheizen, weil sie weniger Wärme reflektieren als weiße Flächen. Mehr Wärme führt zu einem Auftauen der bislang ewig gefrorenen Permafrostböden, die die Klimagase Kohlendioxid und Methan ausgasen – was wiederum die Erwärmung der Atmosphäre befeuert.
„Ein schlafender Riese erwacht“, warnt der Bericht: „Neue Daten legen nahe, dass der Permafrost viel schneller auftaut als bisher gedacht.“ Die Fläche von Permafrost, die bislang 15 Millionen Quadratkilometer umfasse, werde bis 2040 auf 12 Millionen zusammenschmelzen – und bis 2080 sogar auf 5 bis 8 Millionen Quadratkilometer zurückgehen.
„Das hat Konsequenzen nicht nur für die Menschen und das Ökosystem in der Arktis, sondern wegen der Rückkopplung für den ganzen Planeten“, heißt es in dem Bericht. Während die Freisetzung dieser Gase den Klimawandel noch weiter beschleunigen könne, seien allerdings „Umfang und Zeitablauf dieser Emissionen und ihre Auswirkungen noch weithin unbekannt“.
Jens Strauss, Geoökologe und Permafrost-Experte vom Alfred-Wegener-Institut (AWI), weist darauf hin, dass auch bei den extrem tiefen Temperaturen im arktischen Winter eine solche Erwärmung von 3 bis 4 Grad einen großen Unterschied mache: „Der Permafrost braucht die kalten Winter, um die Sommer zu überstehen“, sagt Strauss auf Nachfrage.
Globale Konsequenzen zeichnen sich bereits ab
Die Erwärmung des arktischen Bodens gehe jetzt aber richtig los, hat der Experte beobachtet: „Die Temperaturen im Boden steigen deutlich schneller als in der Luft“, sagt er. Als Folge schmelze teilweise das Eis großflächig im Boden, bilde Seen und hinterlasse nach dem Abfluss des Wassers Senken, in denen die Landschaft „20 bis 30 Meter tiefer liegen kann“. Gebäude und Straßen sacken weg. Der Unep-Bericht warnt davor, das könne in der Arktis bis zu 4 Millionen Menschen und 70 Prozent der gesamten Infrastruktur bedrohen.
Die ungewohnte Wärme am Pol bringt offenbar auch zunehmend das Wetter in Eurasien und Nordamerika durcheinander. Anfang des Jahres belegte eine Studie der US-Klimawissenschaftlerin Jennifer Francis eine „robuste Beziehung“ zwischen einer sich schnell erwärmenden Arktis und einem Abschwächen des „Jet-Streams“. Dieses Band aus starken Winden in der Atmosphäre dominiert das Wetter rund um die Arktis und speist sich teilweise aus dem Temperaturunterschied zwischen Arktis und Tropen.
Weil sich die Arktis schneller erwärmt, lässt dieser Unterschied nach. Die Folge: Das Windband beginnt nach Nord und Süd zu „flattern“, wärmere Luft gelangt weiter nördlich als normal, kalte Luft weiter südlich. „Unsere Ergebnisse legen nahe, dass sich die Häufigkeit von Extremwetterereignissen durch dauerhafte Jet-Stream-Muster erhöhen wird, wenn die Arktis sich als Reaktion auf steigende Konzentrationen von Treibhausgasen weiter schneller erwärmt als anderswo“, lautet das Fazit der Studie.
Update 29.03., 9:45 Uhr: Die ersten drei Absätze dieses Berichtes wurden aktualisiert.
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