Todesgefahr durch „Kugelbomben“: Bombenstimmung nach Silvester
Nach Explosionen mit Todesopfern reden alle von Kugelbomben. Doch die seien nichts Neues, sagt ein Experte. Das Problem: ihre leichte Verfügbarkeit.
Die Kugelbombe, die in der Silvesternacht in Schöneberg gegen zwei Uhr in der Belziger Straße 1 gezündet worden war, hat eine ungeheure Sprengkraft entfaltet. Sieben Wohnhäuser im Umkreis von fast 100 Metern waren betroffen, 36 Wohnungen zunächst unbewohnbar. Fünf Menschen wurden verletzt, zwei davon mussten zur Behandlung ins Krankenhaus.
Das geschäftige Treiben der Handwerker mischte sich am Donnerstag mit Sensationstourismus. Fotos und Filme von den Häusern wurden gemacht. Ein Passant zeigte auf seinem Handy ein bei Tiktok gefundenes Video vom Moment der Detonation. Es sei ein Wunder, dass es keine Schwerverletzten oder Toten gebe, ist er sich mit den Umstehenden einig.
„Total verrückt“, sagt ein Mann im roten Anorak, der mit einem Fahrrad ankommt. „Da oben im ersten Stock ist mein Zahnarzt, ich wollte gerade einen Termin machen.“ In der Praxis ist kein Fenster heil geblieben. „Aber jetzt müssen sie es verbieten“, bricht es aus einer älteren Frau mit Wollmütze heraus. Sie meint das Silvesterfeuerwerk.
„Für den professionellen Einsatz“
„Der Begriff Kugelbombe ist veraltet“, sagt Felix Martens, „man spricht heute von Feuerwerkskugel.“ Der 36-Jährige ist Soziologe und staatlich geprüfter Pyrotechniker sowie Mitglied im Bundesverband für Pyrotechnik und Kunstfeuerwerk e.V. „Das Phänomen ist nicht neu, sagt Martens der taz, „es erfährt allerdings eine hohe Aufmerksamkeit.“ Auch, so vermutet er, weil der Begriff „Kugelbombe“ medial sehr gut funktioniere.
Feuerwerkskugeln sind „pyrotechnische Gegenstände für den professionellen Einsatz“ und „in Deutschland auf legalem Wege für Laien aus sehr guten Gründen nicht erhältlich“, erklärt der Fachmann. Gedacht sind sie als Höhenfeuerwerk, um in 100 Metern in alle Richtungen zu explodieren. Explodieren sie am Boden besteht eine besondere Gefahr.
Neben dem Vorfall in Schöneberg kam es nach Angaben der Polizei zu mehreren Vorfällen mit Feuerwerkskugeln. Im Bottroper Weg in Tegel erhielt ein Siebenjähriger bei einer Explosion lebensgefährliche Verletzungen und musste notoperiert werden. Sieben weitere Personen wurden ebenfalls verletzt. Schwere Beinverletzungen erlitt zudem ein Polizeibeamter bei einer Kugelbombendetonation an der Prenzlauer Allee. Gleich mehrere Explosionen gab es in der Neuköllner Schillerpromenade; dabei wurden Hausfassaden und zwei Wagen beschädigt.
Der bislang schwerste Vorfall in Berlin ereignete sich in der Silvesternacht 2021/22 in Friedrichshagen. Dabei wurden 16 Menschen zum Teil schwer verletzt. Zwar wurde damals ein Abschussgestell für die illegal in Polen erworbene Pyrotechnik verwendet, doch dieses kippte um, die Kugelbombe detonierte in der Menschenmenge. Das Landgericht verurteilte den Haupttäter dieses Jahr wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und neun Monaten.
„Da reicht ein halbes Gramm“
Relativ glimpflich kam ein 21-jähriger Berliner davon, der eine Kugelbombe verkaufte, bei deren Zündung 2023 ein Mann in Hennef ums Leben kam. Die Staatsanwaltschaft hatte ihn wegen fahrlässiger Tötung angeklagt, das Gericht folgte der Argumentation aber nicht. Für den illegalen Handel und einige weitere Delikte erhielt der Jugendliche vor einem Jahr letztlich eine Gesamtstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten.
Das Problem ist laut Martens die Verfügbarkeit. „Im Prinzip kann man sie mit ein paar Klicks übers Internet aus dem europäischen Ausland bestellen.“ Sie kommen über den normalen Postweg hier her oder werden über die Grenze geschmuggelt.
Das gelte auch für hierzulande illegale Blitzknallböller: Das sind Knallkörper mit einer pyrotechnischen Mischung, die viel stärker als herkömmliches Schwarzpulver ist. „Da reicht im Prinzip ein halbes Gramm, um sich eine Hand wegzufetzen.“ Martens glaubt, dass etliche Fälle mit Verletzten und Toten, die der „Kugelbombe“ zugeschrieben werden, eher auf das Konto von Blitzknallböllern gehen. Zu Schöneberg sagt er: „Das ist sehr sicher das Ergebnis eines Selbstbaus und keines einer Kugelbombe, sondern etwas viel Stärkeres und Fieseres. Das ist Sprengstoffkriminalität.“
Felix Martens, Experte
Generell gelte, dass Feuerwerkskugeln der Kategorie F4 nicht vergleichbar mit dem Kleinfeuerwerk der Kategorie F2 ist, das es legal zu Silvester zu kaufen gibt. Das sind Feuerwerkskörper, die für den Laien bestimmt auch ohne jegliche Fachkenntnisse benutzt werden können. Bei pyrotechnischen Gegenständen, die schwere Verletzungen oder sogar Todesfälle verursachen, die eine 100- oder bis zu 1.000-fache Explosivkraft haben, herrschen ganz andere Bedingungen. Sie setzen Fachkenntnisse voraus, um sicher verwendet zu werden.
Illegalen Handel eindämmen
Martens sieht ein politisches Problem: Es gab zwar gerade eine Strafrechtsverschärfung auf Bundesebene, doch von den Landeskriminalämtern sei zu hören, dass es im Prinzip eine zahnlose Verschärfung ist, weil kaum Ressourcen da sind, um auch grenzüberschreitend zu ermitteln, um diesen illegalen Handel einzudämmen.
Der innenpolitische Sprecher der CDU im Abgeordnetenhaus, Burkhard Dregger, forderte am Donnerstag schärfere Grenzkontrollen, um die Einfuhr von Kugelbomben zu verhindern. Bürgermeister Kai Wegner (CDU) verwies auf die Zuständigkeit von Bundesregierung und Bundespolizei und sprach sich zudem für eine Verschärfung des Waffenrechts aus. Ein generelles Böllerverbot lehne er dagegen ab.
Martens plädiert für „den richtigen kriminalistischen Ansatz, um den illegalen Handel trockenzulegen. Das wäre besser, als 3.000 Polizisten auf die Straße zu schicken“. Und besser als Böllerverbotszonen.
Noch besser wäre Prävention. Solange der Staat nicht in der Lage sei, die Bevölkerung in der Form zu schützen, die nötig wäre, sollte man zumindest sensibilisieren. Die Berliner Feuerwehr etwa macht das mit einem Präventionsprojekt, das auch Felix Martens unterstützt. Doch davon müsste es viel mehr geben.
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